Michael: "Wollen unter den besten drei Teams mitmischen"

Williams-Technikchef Sam Michael im 'F1Total.com'-Interview über die starke Pace des FW28, Zuverlässigkeitsprobleme, Motorenpartner, Fahrer und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - Wenn man den Namen Williams hört, denkt man spontan an Frank Williams und dessen 30-Prozent-Partner Patrick Head, doch der Mann, der eigentlich für die Verbesserungen des Teams in der laufenden Saison hauptverantwortlich ist, fristet eher ein Schattendasein: Sam Michael. Dabei gilt der Australier als einer der begabtesten Technischen Direktoren - und das im zarten Alter von 34 Jahren.

Titel-Bild zur News: Sam Michael

Sam Michael ist mit 34 Jahren der jüngste Technische Direktor der Formel 1

Michael kam bereits 1993 als Designingenieur des Lotus-Teams in die Formel 1 und wechselte 1994 zu Jordan, wo er später mit Ralf Schumacher und Heinz-Harald Frentzen als Renningenieur zwei Deutsche betreute. 2001 kam er dann zu Williams - zunächst als Chefingenieur, ab 2004 als Technischer Direktor. Damit folgte er Head nach, der vor zwei Jahren auf Druck des damaligen Motorenpartners BMW aus dem Tagesgeschäft an der Rennstrecke ausgelagert wurde.#w1#

Speed des FW28 sensationell, Zuverlässigkeit mangelhaft

Anfang dieser Woche nahm sich Michael Zeit, um im ausführlichen Interview mit 'F1Total.com' den bisherigen Saisonverlauf zu analysieren. Dabei zeigte er sich überaus optimistisch, was das Potenzial des FW28-Pakets angeht, sprach aber auch offen die Probleme mit der Zuverlässigkeit an - die Ausfallsquote des Traditionsteams aus Grove liegt nach drei Saisonrennen nämlich bei beunruhigenden 66,6 Prozent...

"Wir konzentrieren uns momentan darauf, die Zuverlässigkeit so schnell wie möglich hinzubekommen." Sam Michael

Frage: "Sam, die Saison hat für Williams eigentlich ganz gut begonnen, aber mit fünf Punkten seid ihr dennoch nur Siebenter in der Konstrukteurswertung. Angesichts der Pace des Autos ist das ein bisschen frustrierend, nicht wahr?"
Sam Michael: "Ja, das stimmt. Wir hatten vier Ausfälle: einen Motorschaden, einen fahrerisch bedingten Unfall und zwei Zuverlässigkeitsprobleme, an denen wir selbst schuld sind, nämlich einmal eine defekte Hydraulikpumpe und einmal ein Getriebeschaden. Das Auto machte von Anfang an einen schnellen Eindruck, und wir werden weitere Neuentwicklungen anbringen. Ich denke, dass wir damit in den nächsten paar Rennen ganz gut aussehen sollten. Wir konzentrieren uns momentan darauf, die Zuverlässigkeit so schnell wie möglich hinzubekommen. Da muss man sich einfach hinsetzen und nach Lösungen suchen."

Frage: "Patrick Head hat nach Bahrain gesagt, dass sechste und siebente Plätze nicht seinen Erwartungen entsprechen. Nach drei Rennen kann man schon ungefähr einschätzen, wie stark die Teams sind. Was sind also die Saisonziele von Williams?"
Michael: "Unser Ziel ist nach wie vor, unter den besten drei Teams mitzumischen. Was die Performance angeht, ist das Auto dazu in der Lage, aber wir müssen sicherstellen, dass es in den nächsten paar Grands Prix auch zuverlässig ist. Das Ziel ist klar: Das Auto hat schon ein paar Mal bewiesen, dass es sehr schnell sein kann, also wollen wir an der Spitze mitfahren."

Frage: "Ihr hattet wie angesprochen bereits einen Getriebeschaden, hattet auch im Winter immer wieder Probleme mit dem neuen Getriebe ohne Zugkraftunterbrechung. Bist du zuversichtlich, das für die Europarennen in den Griff zu bekommen?"
Michael: "Es war schon im Winter nicht so schlimm. Wir hatten Anfang und Mitte Januar einige Schwierigkeiten, aber ab Februar konnten wir mit dem Getriebe recht zuverlässig testen. Jetzt trat im Rennen ein Defekt auf, dessen Ursache wir kennen. Wir sind zuversichtlich, dass das Problem, das wir in Melbourne hatten, nicht wieder auftreten wird."

Neue Getriebetechnologie ein Versprechen für die Zukunft

"Es ist eine neue Technologie, verglichen mit dem Standardgetriebe noch ziemlich jung. Die Resultate dieser Technologie fahren wir auf der Strecke gerade ein, aber wir müssen unseren bestmöglichen Job schnellstmöglich auf die Reihe bekommen. Ich bin wie gesagt zuversichtlich, dass uns unser Problem von Melbourne nicht mehr aus einem Rennen werfen wird, aber man weiß nie, was als nächstes kommt. Es geht darum, genau das vorherzusehen und so viele Testkilometer wie möglich auf das Getriebe zu fahren."

"Zu denken, dass die Zuverlässigkeit unseres Getriebes grundlegend schlecht ist, wäre falsch. Das ist nicht der Fall." Sam Michael

Frage: "Kraftübertragung und Motor sind momentan eure Schwachpunkte, was die Zuverlässigkeit angeht. Beeinflussen die beiden Faktoren einander oder sind sie komplett unabhängig?"
Michael: "Sie sind komplett unabhängig voneinander. Wir hatten ja nur einen echten Getriebeschaden, denn das Problem mit der Hydraulik in Malaysia hatte mit dem Getriebe an sich nichts zu tun. Zu denken, dass die Zuverlässigkeit unseres Getriebes grundlegend schlecht ist, wäre falsch. Das ist nicht der Fall. Wir hatten einen Defekt, den wir bereits im Griff haben."

Frage: "Meines Wissens hatte BMW in der Vergangenheit großen Einfluss auf eure Kraftübertragung und auf das Getriebe. Inwieweit arbeitet ihr in diesem Bereich nun mit Cosworth zusammen?"
Michael: "Sie helfen uns bei den Prüfstandstests. Wir können da viel mit Cosworth zusammenarbeiten, was recht hilfreich ist. Das heißt, dass wir das Getriebe gemeinsam mit dem Motor auf den Prüfstand stellen und testen können. Damit haben wir gemeinsam mit Cosworth schon im November begonnen, also sobald unsere Zusammenarbeit offiziell war. Das ist ihr Hauptbeitrag. Sie geben uns auch in einigen Bereichen Ratschläge, was das Getriebe angeht - hauptsächlich natürlich aus Motorensicht, also in Bezug auf Vibrationen und derartige Dinge. So können wir Einstellungen vornehmen, um Motorenproblemen vorzubeugen. Das funktioniert bis jetzt wirklich gut."

Frage: "Wie zufrieden seid ihr insgesamt mit Cosworth und deren V8-Motor?"
Michael: "Cosworth hat einen guten Job gemacht. Der Motor war von der ersten Runde an stark. Ich denke, dass es einer der besten drei Motoren ist. Je länger sie dieses Niveau halten können, desto besser. Was Leistung, Fahrbarkeit und Drehmoment angeht, gibt es nichts, worüber man sich beschweren könnte. Es ist wirklich ein ziemlich guter Motor. Ich hoffe, dass sie das beibehalten können. Das wäre gut für uns."

Keine Bedenken wegen Cosworths beschränkter Ressourcen

Frage: "Alexander Hitzinger (Cosworth-Entwicklungschef; Anm. d. Red.) hat mir vergangene Woche verraten, dass sie im Rennen 19.500 Touren drehen, was beeindruckend ist. Allerdings gibt es Befürchtungen, dass Cosworth im Laufe der Saison zurückfallen könnte, weil die Werke einfach mehr Ressourcen haben. Teilst du diese Befürchtung?"
Michael: "Sie (Cosworth; Anm. d. Red.) werden zu den nächsten paar Rennen immer ein paar Upgrades bringen - klarerweise nur zu jedem zweiten Rennen, weil es das Motorenreglement nicht anders zulässt. Angesichts der geplanten Entwicklungen, die ich bisher gesehen habe, glaube ich aber, dass sie ihre Position beibehalten können. Auch wenn die Hersteller vielleicht aufholen werden, ändert das nichts an unserer Situation, denn wir drehen jetzt 19.500 Touren, aber es ist ja nicht so, dass wir das reduzieren müssten. Dieser Wert wird entweder gleich bleiben oder steigen."

Cosworth-V8-Motor

Mit den Cosworth-Motoren ist man bei Williams momentan mehr als zufrieden Zoom

Frage: "Vergangenes Jahr gab es viele Gerüchte um Toyota und Honda. Wollt ihr euch für 2007 einen Werkspartner suchen oder besteht die Möglichkeit einer Fortführung der Zusammenarbeit mit Cosworth?"
Michael: "Es besteht definitiv die Möglichkeit, mit Cosworth weiterzumachen. Wir haben diesbezüglich noch keine Entscheidung getroffen. Wir sind völlig zufrieden mit Cosworth und werden in Zukunft darüber nachdenken."

Frage: "Bis wann muss diese Entscheidung fallen?"
Michael: "Dazu kann ich nichts sagen, weil ich es nicht genau weiß."

Frage: "Aber die Entwicklung des neuen Autos wird im Mai, Juni beginnen, nicht wahr?"
Michael: "Wir haben damit bereits begonnen."

Frage: "Wenn wir schon von Werkspartnern sprechen: Ist es nicht ironisch, dass Williams ausgerechnet im ersten Jahr nach der Partnerschaft mit BMW vom ersten Rennen an ein schnelles Auto hat?"
Michael: "Ich glaube nicht, dass die Sache mit BMW irgendetwas damit zu tun hat. Die Motorensituation ist mit dem V8 für alle komplettes Neuland. Außerdem ist die Arbeit, die wir mit dem Chassis leisten, sowieso vom Motor unabhängig. Keine Frage: Unser diesjähriges Chassis ist besser als im vergangenen Jahr. Unterm Strich ist die Partnerschaft mit BMW beendet, daher reden wir nicht allzu gerne darüber - und wir verschwenden auch nicht unsere Zeit damit, groß darüber nachzudenken. Sie haben einen neuen Weg eingeschlagen und wir auch. Ich möchte nicht mit den Worten zitiert werden, dass ohne BMW alles besser für uns ist, denn das ist nicht der Fall. Es ist halt anders."

Jedes Rennen sollen neue Teile für den FW28 kommen

"Wir planen für jedes Rennen einige Entwicklungsteile." Sam Michael

Frage: "Von Cosworth soll es sehr bald einen Entwicklungsschritt geben, aber wie sieht es auf Williams-Seite aus? Sind demnächst größere Modifikationen geplant?"
Michael: "Wir planen für jedes Rennen einige Entwicklungsteile, hatten bisher bei jedem Grand Prix mechanische Weiterentwicklungen. Das Entwicklungsprogramm läuft seit Anfang des Jahres, und wir spielen alle geplanten Schritte aus. Wir bekommen wie gesagt für jeden Grand Prix einige neue Teile, aber das ist ganz normal und läuft bei allen Teams so."

Frage: "Vergangenes Jahr hattet ihr gegen Saisonmitte eine B-Spezifikation, die nicht so erfolgreich war wie erhofft. Wird es auch dieses Jahr eine B-Version des FW28 geben?"
Michael: "Wir hatten keine B-Spezifikation während des Jahres, sondern nur umgebaute Seitenkästen. Das kann man aber nicht als B-Auto bezeichnen, denn es war im Grunde genommen das gleiche Chassis, der gleiche Motor, das gleiche Getriebe. Wenn man einmal eine neue Motorenabdeckung anschraubt, einen neuen Unterboden oder einen neuen Frontflügel, dann ist das nur ein Upgrade der Aerodynamik. Von einer B-Spezifikation spricht man erst, wenn ein neuer Motor drin steckt, eine neue Radaufhängung oder etwas in diese Richtung."

"So gesehen hatten wir keine B-Spezifikation. Naja, eigentlich schon, aber erst bei den Tests mit dem V8-Motor. Dieses Auto hat aber nie ein Rennen bestritten. Es gab also nur die übliche aerodynamische Weiterentwicklung, die wir auch dieses Jahr planen. Im Laufe des Jahres könnte das viele verschiedene Bereiche umspannen."

Frage: "Ich habe ausgerechnet, dass Mark Webbers Pace im Qualifying in Melbourne gewichtsbereinigt sehr nahe an den Renaults dran gewesen wäre. Wächst Williams momentan über sich hinaus oder ist das tatsächlich der Bereich, in dem man euch sehen muss?"
Michael: "Unsere Pace ist schon richtig. Wir sind sicher nicht so schnell wie Renault. Im Moment sind sie um drei bis vier Zehntelsekunden schneller als wir, würde ich sagen. In Sachen Rennspeed sind wir aber definitiv so stark wie jedes andere Team. Ich hoffe, dass wir das noch steigern können, dass wir im Laufe des Jahres schneller werden und zu Renault aufschließen können. Momentan ist niemand so schnell wie Renault, aber genau das ist unser Ziel: Wir wollen den Abstand zwischen ihnen und uns verringern. Renault wird freilich alles daran setzen, dass uns das nicht gelingt."

Michael betrachtet Williams als echtes Topteam

"Ich glaube nicht, dass wir momentan über uns hinauswachsen, denn wir haben 500 Mitarbeiter, sind eine sehr große Firma. Auch wenn wir keinen Hersteller im Rücken haben, genießen wir ausgezeichnete finanzielle Unterstützung durch unsere Sponsoren. Wir haben ein volles Budget beisammen, also gibt es keinen Grund, weshalb wir nicht an der Spitze mitmischen sollten."

"Jenson Button ist - genau wie BMW - Vergangenheit." Sam Michael

Frage: "Jenson Button trägt dieses Jahr auch zu eurem Budget bei, nicht wahr?"
Michael: "Jenson Button ist - genau wie BMW - Vergangenheit."

Frage: "Zu den Bridgestone-Reifen: Im Vergleich zu Ferrari und Toyota macht ihr momentan einen recht konkurrenzfähigen Eindruck..."
Michael: "In den Rennen waren wir sehr stark, aber wir müssen abwarten, ob das so bleibt. Die beiden Teams, die du angesprochen hast, sind sehr gut finanziert und auch sehr erfahren. Sie werden sicher alles daran setzen, uns zu überholen - in der Konstrukteurswertung stehen sie ja ohnehin vor uns, weil wir bisher nicht zuverlässig genug waren. Was die reine Performance angeht, muss man sehen, ob wir unseren Vorsprung verteidigen können."

Frage: "Lass uns über die Fahrer reden. Nico Rosberg war eine der großen Überraschungen der ersten drei Rennen. Hättest du damit gerechnet, dass er auf Strecken, die er nicht einmal kennt, von Anfang an so schnell sein kann?"
Michael: "Nein, so schnell hätte ich ihn nicht erwartet. Wir wollten ihm sechs bis acht Rennen geben, in denen er ein paar Fehler machen darf - er hat ja auch Fehler gemacht -, aber mit einer so starken Pace hätten wir zumindest am Saisonbeginn nicht gerechnet. Die Fehler, die er gemacht hat, waren auch nicht schlimm - es ist ganz normal, dass man Situationen in den ersten Rennen manchmal ein bisschen falsch einschätzt. Insgesamt bin ich aber sehr von ihm beeindruckt. Er ist klug, besonnen - und vor allem schnell! Wie du richtig gesagt hast, ist er auf Strecken schnell, auf denen er zuvor noch nie gefahren ist. Wenn er so weiterfährt, hat er in der Formel 1 eine große Zukunft vor sich."

Ist Rosberg ein zukünftiger Formel-1-Weltmeister?

Nico Rosberg und Mark Webber

Die Leistungen Nico Rosberg und Mark Webber waren bisher beeindruckend Zoom

Frage: "Fehler wie der am Start in Bahrain sind ja reine Erfahrungssache, nicht wahr? Und wenn man bedenkt, dass er erst 20 Jahre alt ist, dann muss man ihn wohl als potenziellen Weltmeister bezeichnen..."
Michael: "Alle Anzeichen sind sehr gut, aber nach drei Rennen ist es vielleicht noch ein bisschen früh, ihn schon als nächsten Champion zu bezeichnen. Er selbst will sicher beweisen, dass er das ist, aber seine Aufgabe ist, uns diesen Eindruck das ganze Jahr hindurch zu vermitteln. Er befindet sich da auf dem richtigen Weg. Die Fehler, die er gemacht hat, waren wie gesagt nicht gravierend. Das gehört dazu, wenn man den Grand-Prix-Sport lernt."

Frage: "Du bezeichnest Alexander Wurz als den Weltmeister der Freitagsfahrer. Er ist auch eine positive Überraschung, nicht wahr?"
Michael: "Alex hat sich als wirklich gut herausgestellt. Er hat uns schon in vielen Bereichen nach vorne gebracht - angefangen beim Setup über die Elektronik bis hin zu Reifentests. Er ist ein sehr positiv eingestellter Kerl, sehr schnell und intelligent, denn er weiß genau, was ein Auto schnell macht. Ich habe großen Respekt vor ihm."

Frage: "Seine Fähigkeiten als Testfahrer stehen außer Frage, aber siehst du ihn in Zukunft auch wieder in einem Renncockpit?"
Michael: "Ich weiß es nicht. Wenn er das will, dann wünsche ich ihm, dass er ein Cockpit findet, denn er würde es auf jeden Fall verdienen, wieder Formel-1-Rennen zu fahren. Ob es klappen wird, musst du aber Alex selbst fragen, nicht mich."

Frage: "Mark Webber wird von Nico Rosberg unter Druck gesetzt. Glaubst du, dass er unter diesem Druck bessere Leistungen zeigen wird als vergangenes Jahr?"
Michael: "Mark macht einen großartigen Job. Er ist bezüglich des Autos sehr positiv eingestellt. In Melbourne ist er fantastisch gefahren - dort wäre sicher auf das Podium gekommen. Wenn er so weiterfährt, hat er eine großartige Saison vor sich. Unsere Hauptaufgabe ist, ihm ein zuverlässiges Auto zu geben, dann wird er seine Leistungen bringen."

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