• 16.09.2012 10:29

  • von Felix Matthey & Dieter Rencken

Mehr Saisonrennen nur durch Strukturänderungen möglich

Der Rennkalender in der Formel 1 umfasst derzeit 20 Rennen und könnte in Zukunft noch erweitert werden - die aktuellen Ressourcen sind dafür aber nicht ausreichend

(Motorsport-Total.com) - Für die Formel-1-Teams steht nun die wohl stressigste Zeit der ganzen Saison an: Sie befinden sich nicht nur in der letzten, entscheidenden Phase der Weltmeisterschaft und führen dafür letzte Entwicklungsstufen an ihren Autos ein. Sie stehen darüber hinaus auch vor der logistischen Herausforderung, innerhalb kürzester Zeit von einem Kontinent zum nächsten zu reisen.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg

Herausforderung Logistik: Die Formel 1 reist 2012 zu zwölf Überseerennen

Nach dem letzten Grand Prix in Übersee in Monza vor einer Woche geht es nun nach Asien, genauer gesagt nach Singapur. Anschließend haben die Teams zwei Wochen Zeit, um nach Japan zu reisen, wo in Suzuka der 15. Saisonlauf ausgetragen wird. Kurz nach Rennende am Sonntagnachmittag befinden sich die Teams unter einem besonderen Zeitdruck, findet doch nur fünf Tage später das erste Freie Training zum Großen Preis von Südkorea statt. Ähnlich eng sieht der Zeitplan zwischen dem Premierenrennen in Austin und dem Saisonfinale in Brasilien aus. Auch diese Rennen trennt lediglich eine Woche.

Um der logistischen Herausforderung Herr zu werden, haben die Formel-1-Teams eigene Abteilungen eingerichtet, die sich ausschließlich um die logistischen Angelegenheiten kümmern. Die Teams legen pro Saison etwa 160.000 Reisekilometer zurück, was ungefähr der vierfachen Länge des Äquators gleichkommt. Pro Team müssen insgesamt 7.000 Reisen gebucht werden, inklusive Hotelzimmern, Flügen und mancherorts nötigen Visaanträge.

Während die Formel-1-Rennställe bei den Rennen in Europa eigene LKW einsetzen, um das Material von einer Rennstrecke zur anderen zu transportieren, gestaltet sich der Transport bei Überseerennen um einiges aufwändiger - und teurer. Deshalb wird das Personal für Grands Prix außerhalb Europas auf ein Minimum reduziert. Ohnehin wurde die Obergrenze von Mitarbeitern bei einem Formel-1-Rennen in den vergangenen Jahren vom Motorsport-Weltverband FIA im Zuge der Kostenreduktion limitiert: Während früher noch weit über 100 Mitarbeiter mitreisten, dürfen es heutzutage gerade einmal 45 sein.

Ressourcen für 20 Saisonrennen sind ausreichend

Momentan besteht der Rennkalender der Formel 1 aus 20 Grands Prix, darunter zwölf außerhalb Europas. Er wurde in den vergangenen Jahren aufgestockt: Mit Singapur, Indien, Südkorea und nun Austin kamen einige neuentworfene Strecken hinzu. Es wird deutlich, dass die Königsklasse des Motorsports mehr und mehr den asiatischen Kontinent erobert. 2014 soll zudem ein Rennen in Russland, in der Olympia-Stadt Sotschi ausgetragen werden.

Momentan finden nur noch acht der 20 Grands Prix in Europa statt. Und es könnten sogar noch weniger werden, sollten weitere Rennen in Asien in den Rennkalender aufgenommen werden. Um eine Streichung der teilweise sehr traditionellen Europa-Rennen zu verhindern, wäre eine Erweiterung des Rennkalenders denkbar.

Im Falle einer deutlichen Kalendererweiterung würde jedoch eine Umstrukturierung der Teams von Nöten, wie Eric Boullier findet: "Wir haben aktuell 20 Rennen und die Ressourcen, um diese zu bewältigen", sagt der Lotus-Teamchef. "Würde man allerdings darüber hinausgehen und 21 oder 22 Rennen fahren, hätten wir ein Problem, denn wir können unsere Leute nicht noch mehr beanspruchen."

Boullier weiter: "Falls wir 25 oder 26 Rennen fahren sollten, müssten wir damit zurechtkommen und die Organisation und Struktur unseres Renn-Teams anpassen, um diese Anzahl von Rennen zu bewältigen. Eine Erhöhung auf 21 oder 22 Rennen wäre sinnlos, denn wir arbeiten schon jetzt am Limit. Im Grunde genommen sollten wir deutlich mehr Rennen fahren."

Momentane Strukturen reichen nur für 20 Rennen

Boulliers Kollegin Monisha Kaltenborn sieht die Situation ähnlich. Die Sauber-Geschäftsführerin ist der Ansicht, dass man nach einer drastischen Reduzierung der Kosten im Zuge des Ressourcen-Restriktions-Abkommens (RRA) nun nicht plötzlich wieder einen anderen Kurs einschlagen könne. Mehr Rennen bedeuteten logischerweise höhere Kosten und erforderten weiteres Personal. Kaltenborn verweist in diesem Zusammenhang auf das RRA, welches die Beschäftigung weiterer Angestellter untersagt.

"Die Kosten sind ein Faktor, weil das alles recht teuer ist", so Kaltenborn. "Diese Dinge legt man zu Beginn der Saison fest. Ich denke, dass 20 Rennen bei den existierenden Strukturen das Limit darstellen. Wenn man noch mehr Rennen fahren würde, müsste man die Teamstruktur ändern. Das wäre das Gegenteil von dem, was wir in den letzten Jahren gemacht haben: Wir haben die Tests begrenzt, um Kosten zu sparen und Personal abzubauen. Wir haben das Testteam mehr oder weniger abgeschafft. Es wäre die falsche Richtung, wenn man diesen Weg einschlagen würde."

Eine Möglichkeit, mit der bisherigen Personalstärke die Mehrbelastung durch zusätzliche Saisonrennen stemmen zu können, wären Überstunden. Deren Umsetzung wäre laut Kaltenborn aber schwer durchzuführen. Man werde laut ihr durch Gesetze limitiert, wenngleich ihr Schweizer Sauber-Team einen gewissen Vorteil gegenüber anderen Teams aus Europa habe: "Die Schweiz hat im Vergleich zum Rest von Europa andere Regeln, die einem etwas mehr Flexibilität geben", so die österreichische Unternehmerin. "Wir haben seit vielen Jahren ein System, mit dem wir Überstunden durch mehr Freizeit oder mehr Geld ausgleichen. Das sind aber grundsätzlich zusätzliche Herausforderungen."

Monisha Kaltenborn

Monisha Kaltenborn sieht eine Erweiterung des Rennkalenders mit Skepsis Zoom

"Wenn man durch Gesetze limitiert wird, kann man diese Dinge nicht mehr kompensieren", gibt Kaltenborn zu bedenken. "Dann muss man mehr Leute einstellen. Das kann das RRA verletzen. Deswegen müssen wir eine gute Balance finden. Wir sollten nicht mehr Rennen haben, die mehr Kosten verursachen, die wir dann wieder senken wollen." Zusätzliche Rennen bedeuteten dabei nicht immer höhere Einnahmen: "Das hängt davon ab, was man für ein Rennen bekommt. Man muss wissen, wie der Deal aussieht", so Kaltenborn.