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McLaren: Perfektes "Laborauto" scheitert in freier Wildbahn

Wie sich McLaren bei der Entwicklung des MP4-28 von den Daten und vom Vorjahresauto austricksen ließ und wieso die Durststrecke dauern könnte

(Motorsport-Total.com) - "McLaren wird zurückkommen", ist sich Red Bulls Motorsportkonsulent Helmut Marko sicher. Bleibt nur die Frage, wann dies geschehen wird. Die Mannschaft aus Woking gilt als eines der besten Entwicklerteams - kaum ein Team profitiert heute so stark von den Daten der Testära. Doch die Probleme beim MP4-28 scheinen dieses Jahr tiefer zu sitzen, denn bereits bei den Wintertests hatte man große Mühe, das Auto zu verstehen. In Sepang lief es immerhin besser als beim Saisonauftakt in Melbourne, doch das ist zum Teil auch auf den weniger welligen Asphalt zurückzuführen, der es dem Team erlaubt, das Auto mit weniger Bodenabstand zu fahren - und das liegt dem MP4-28 offensichtlich besser.

Titel-Bild zur News: Sergio Perez

Die Realität verwischt die perfekten McLaren-Daten aus dem Windkanal Zoom

Bisher hielt sich McLaren bedeckt, wo genau die Probleme liegen. Selbst Teamchef Martin Whitmarsh scheint im Dunkeln zu tappen: "Es gibt keine Belege dafür, dass mit dem Auto etwas nicht stimmt. Die Daten weisen keine mechanischen Fehlfunktionen aus. Das Fenster, in dem das Auto funktioniert, ist zu spitz." Man habe bereits einige Bereiche gefunden, wo man nun ansetzt, aber bei jeder Testfahrt könnte sich die Ausgangslage ändern, heißt es kryptisch.

Diese Worte rufen Experten auf den Plan. Doch selbst die sind sich derzeit nicht einig, wo die Problemzonen des MP4-28 wirklich liegen. Während 'BBC'-Experte Gary Anderson von einem Aerodynamikproblem ausgeht, das man laut Ansicht des Iren mit einer besonders harten Abstimmung kaschieren will, sieht der ehemalige Williams-Chefingenieur Mark Gillan auch im Bereich der Aufhängung Defizite.

McLaren noch länger in Problemen?

Zur Erinnerung: McLaren wechselte dieses Jahr nicht nur die Philosophie bei der Nase, die nun höher ausgefallen ist, sondern verwendet erstmals vorne eine Zugstreben-Lösung, die Ferrari 2012 an der Vorderachse eingeführt hat. Damit geht man als einziger Rennstall den Ferrari-Weg. Auch die "Scuderia" benötigte im Vorjahr einige Zeit, um die Umstellung zu schaffen. Ein Indiz dafür, dass die Aerodynamik zumindest nicht die einzige McLaren-Problemzone darstellt, ist für Gillan die Tatsache, dass man nun schon seit einiger Zeit strauchelt.

"Sie hatten ja bereits einige schwache Saisonstarts, bekommen das aber normalerweise sehr rasch hin ", sagt der Brite gegenüber dem Blog von Formel-1-Reporter James Allen. "Die Tatsache, dass sie sich um die Entwicklung Sorgen machen, deutet darauf hin, dass es etwas mit der Aufhängung zu tun haben könnte."

McLaren, Pullrod-Aufhängung, Zugstreben-Aufhängung

Die Zugstreben-Aufhängung macht die Lage in Woking nicht einfacher Zoom

Er geht ins Detail: "Die Anlenkpunkte des Chassis und die Geometrie können nicht auf die Schnelle verändert werden. Wenn nur aerodynamische Änderungen notwendig wären, dann würde ich damit rechnen, dass man das nach ein, zwei Rennen im Griff hat. Das wird sie aber wahrscheinlich noch eine Weile beschäftigen."

Vorjahresauto wurde unterschätzt

Kein Wunder, dass auch die Kritik nicht verstummen mag, man hätte doch ganz einfach das Vorjahresauto weiterentwickeln sollen, schließlich erwies sich dieses gegen Saisonende im Rennen zumindest auf Red-Bull-Niveau. Whitmarsh gibt nun gegenüber 'Autosport' zu, dass man diese Entscheidung im Nachhinein vermutlich auch getroffen hätte.

"Die Leute sagen, dass die Entscheidung verrückt und dumm war, denn es war das schnellste Auto", wiederholt er die Kritik. "Sie sagen, dass es nur darum gegangen wäre, es nicht zu verhauen." Er gibt nun eine Erklärung ab, wieso man sich für einen Neuanfang entschied: "Diese Entscheidungen werden normalerweise im August oder September getroffen - man muss sie immer in diesem Kontext sehen. Das geschah also vor dem letzten Entwicklungsschub beim MP4-27 am Ende des Jahres. Wir stellten uns damals die Frage, ob wir unser ursprüngliches Auto so weiterentwickeln können, dass wir damit stark 2013 genug sind."

Lewis Hamilton

McLaren machte beim Saisonfinale eine bärenstarke Figur Zoom

Bei McLaren glaubte man damals, dass der MP4-27 ausgereizt sei: "Am Anfang war der 27er konkurrenzfähig, aber dann flachte die Entwicklungskurve etwas ab. Es gelang uns, sie wieder steiler zu machen, aber dann flachte sie wieder ab." Dadurch verlor man in Woking das Vertrauen, dass noch ausreichend Potenzial im MP4-27 steckt - und entschied sich für einen Philosophiewechsel. Dass es am Ende dann noch einmal aufwärts ging, dürfte im McLaren Technology Center einige überrascht haben. "Im Nachhinein haben es die Kritiker immer leicht", lässt Whitmarsh etwas Verzweiflung durchklingen.

Technik trickste McLaren aus

Dennoch ist ein neues Konzept noch keine Erklärung für die schwache Performance. Aus irgendeinem Grund muss man bei der Entwicklung des MP4-28 vom rechten Weg abgekommen sein. Der Bolide funktioniert nur mit geringem Bodenabstand, war auf dem welligen Straßenkurs im Albert Park fernab der Spitze. Handelt es sich um ein Auto, das nur unter Laborbedingungen perfekte Werte liefert?

Whitmarsh deutet an, dass dieser Gedanke nicht ganz falsch sein könnte: "Man benötigt aerodynamische Performance in einem breiten Arbeitsfenster, und dort liegen unsere Probleme, obwohl die Spitzen passen. Können wir den Einrichtungen die Schuld geben? Nein. Sind der Entwicklungsprozess und die Interpretationen schuld? Ich denke, das müssen wir wohl einsehen. Es ist möglich, dass wir uns zu sehr von den Daten leiten lassen, zu analytisch sind und manchmal nicht genügend Abstand haben. In anderen Worten: Es besteht kein Vorteil darin, den Abtriebswert x zu haben, wenn man ihn nur einen geringen Prozentsatz der Runde lang hat."

Workshop von McLaren Electronic Systems in Woking

Bei McLaren dürfte das Vertrauen in die Technik zu weit gegangen sein Zoom

Whitmarshs Masterplan

Dass das böse Erwachen erst in Melbourne erfolgte und man bei den Wintertests noch gehofft hatte, dass man im Vorderfeld liegt, kann auch auf die schwierigen Bedingungen in Spanien zurückzuführen sein. Alle Teams litten bereits nach einer Runde unter dem Graining der Reifen, was ernsthafte Rückschlüsse auf die Performance der Autos erschwerte.

Dass man nach wie vor an der Basis des Autos tüftelt, gibt Whitmarsh sogar Hoffnung: "Das Auto hat immer noch fundamentale Probleme, was bedeutet, dass wir nicht annähernd unser Potenzial ausloten. Ich bin lieber in dieser Position als in einer, wo wir ein optimiertes Auto haben und alles gut aussieht, aber das Auto immer noch zu langsam ist. Das kann einen mehr entmutigen. Wenn wir das Auto jetzt schneller verbessern als die Konkurrenz, dann können wir sie noch einholen. So einfach ist das." Die nächsten Rennen werden zeigen, ob es sich hierbei um ehrliche Zuversicht oder um Durchhalteparolen handelt - und ob man im schlimmsten Fall sogar den MP4-27 aus dem Museum holen muss.

"Wenn wir das Auto jetzt schneller verbessern als die Konkurrenz, dann können wir sie noch einholen. So einfach ist das." Martin Whitmarsh