powered by Motorsport.com

Marussia ohne Financial-Agreement: Was steckt dahinter?

Marussia besitzt als einziges Team kein Financial-Agreement mit Bernie Ecclestone - Lässt er das Team für ein Kundenteam-Modell über die Klinge springen?

(Motorsport-Total.com) - Langsam aber sicher dürften die Verhandlungen um das neue Concorde-Agreement in die Zielgerade einbiegen. FIA-Präsident Jean Todt hat bereits angekündigt, er wolle sich nicht mehr in die Kostenkontrolle der Formel 1 einmischen, im Gegenzug müssen die Topteams aber mit höheren Nenngebühren rechnen - ein klassischer Kuhhandel. Überschattet von den Berichten über eine nahende Einigung fällt auf, dass das kleine Marussia-Team nach wie vor von Formel-1-Boss Bernie Ecclestone ignoriert wird und über kein Financial-Agreement verfügt - und zwar als einziges Team.

Titel-Bild zur News: Graeme Lowdon

Marussia-Geschäftsführer Graeme Lowdon versteht Ecclestones Hintergedanken nicht Zoom

Die Truppe aus Banbury, die von John Booth geleitet wird und derzeit das stärkste Hinterbänkler-Team darstellt, würde dadurch auch bei einem finalisierten Concorde-Agreement nicht berücksichtigt werden, solange es keine Einigung mit Ecclestone gibt.

Werden Marussias Rechte missbraucht?

Was das bedeutet: Marussia hat keinen Zugriff auf den Formel-1-Einnahmentopf, würde also in letzter Konsequenz, selbst wenn man dieses Jahr Zehnter in der Konstrukteurs-WM wird, bei der Verteilung der TV-Gelder leer ausgehen. Wenn der Formel-1-Boss weiterhin stur bleibt, könnte dies zu einer umstrittenen Situation führen, denn Marussia ist grundsätzlich Teil des Formel-1-Pakets, mit dem Ecclestone in Verhandlungen mit den TV-Anstalten zieht.

Und solange es zwischen Ecclestone und Marussia keine Einigung gibt, behält das Team das Recht am eigenen Bild, das von keiner anderen Partei mit kommerziellen Hintergründen ohne ausdrückliche Erlaubnis missbraucht werden darf. Doch genau diese komerziellen Hintergründe bestehen im Fall von Ecclestones FOM. Das Team, das unter russischer Lizenz antritt, könnte FOM also verbieten, TV-Bilder vom Marussia-Boliden zu senden. Derzeit ist die Lage entspannt, aber sollte der finanzielle Druck auf Booth & Co. steigen, wäre es nicht auszuschließen, dass man auch rechtliche Mittel in Betracht zieht.

Verwunderung bei Marussia

Bei Marussia zeigt man sich über Ecclestones Zickzack-Kurs verwundert. "Uns wurde bereits zwei oder drei Mal gesagt, wahrscheinlich sogar öfter, dass wir jetzt ein Angebot erhalten, aber wir können nichts unterschreiben, was wir nicht haben", schildert Marussia-Geschäftsführer Graeme Lowdon die aktuelle Lage. "Während die anderen Teams ein bilaterales Abkommen unterschrieben haben, das die Zeit zwischen dem alten und dem neuen Concorde-Agreement abdecken soll, haben wir aus unbekannten Gründen nichts erhalten."

Der Brite vermutet hinter Ecclestones Verhalten - der 82-Jährige verhandelt für den Inhaber der kommerziellen Rechte CVC Capital Partners - eine Strategie: "Am Ende führt CVC sein Geschäft, so wie sie es wollen - ich gehe also davon aus, dass es für diese Vorgehensweise einen Grund gibt."

"Ich gehe davon aus, dass es für diese Vorgehensweise einen Grund gibt." Graeme Lowdon

Er schließt aus, dass das Verhalten von Marussia die Ursache für die missliche Lage ist, schließlich habe man sich immer wieder um Gespräche mit Ecclestone bemüht. "Zahlreiche Mitglieder unseres Managements und unserer Eigentümer hatten bereits zahlreiche Gespräche, die über Monate zurückgehen, bis ins vergangene Jahr", erklärt Lowdon. "Unterm Strich heißt es immer, dass es kein bilaterales Dokument gibt, das wir begutachten oder unterschreiben könnten. Diese Antwort ist eine Tatsache."

Nachteil bei Sponsorenverhandlungen

Die Gründe sind ihm schleierhaft. "Wir haben bereits unterstrichen, dass wir ein rechtmäßiger Teilnehmer an der Weltmeisterschaft sind - ich weiß nicht, was wir noch tun sollen?", ist Lowdon verzweifelt. "Wir treten bei den Rennen an, wir sind Teil der Weltmeisterschaft, wir sind ein gutes Team, das einige hundert Leute beschäftigt. Das Management trägt die Verantwortung für diese Menschen und ihre Familien. Wir kümmern uns um unsere Angestellten, und wir etablieren ein Business."

Daher fragt sich der Marussia-Geschäftsführer: "Warum wir? Wir engagieren uns sehr stark in diesem Sport, also sehe ich keinen Grund, warum wir von CVC nicht gleich behandelt werden sollten wie die anderen Teams." Er fürchtet, dass ein länger anhaltender Status quo sogar geschäftsschädigend wäre: "Die anderen Teams besitzen ein Abkommen, das bei Sponsorenverhandlungen Thema sein könnte. Es verunsichert, dass wir anders behandelt werden als die anderen. Es steht außer Frage, dass das eine Kettenreaktion auslösen könnte. Die Haltung von CVC hat darauf einen Einfluss. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt."

"Es verunsichert potenzielle Sponsoren, dass wir anders behandelt werden." Graeme Lowdon

Kundenauto-Modell: Opfert Ecclestone Marussia?

Vielleicht ist es sogar das Ziel Ecclestones, Marussia finanziell ins Eck zu drängen. Es gibt die Vermutung, dass der Formel-1-Boss in Zukunft ein Modell mit A- und B-Teams in der Formel 1 etablieren will. Demnach würde jedes Konstrukteurs-Team ein Kundenteam besitzen, an das ein Vorjahres-Chassis verkauft werden würde.

Bernie Ecclestone

Passt Marussia nicht in Bernie Ecclestones Kundenauto-Modell? Zoom

Dieses Modell funktioniert aber nur bei gleicher Anzahl von A- und B-Teams. Das wäre auch eine Erklärung, warum sich Ecclestone hinter den Kulissen so sehr darum bemühte, dass kanadische Investoren unter dem Namen Scorpion Racing die HRT-Boliden kaufen dürfen und trotz verpasster FIA-Nennfrist 2013 antreten dürfen.

Williams könnte Ecclestones Plan durchkreuzen

Da dieses Vorhaben aber nicht zustande kam, treten dieses Jahr elf Teams an - eine ungerade Zahl. Würde Marussia also auch noch wegfallen, hätte Ecclestone mit Red Bull und Toro Rosso, Ferrari und Sauber, McLaren und Force India, Lotus und Caterham sowie Mercedes und Williams fünf Partner - ein Modell, das für finanzielle Stabilität sorgen würde, schließlich würden die großen Teams mit dem Verkauf der Chassis' Geld verdienen und die kleinen müssten nicht mehr so viel Geld ausgeben, um ein eigenes Auto zu konstruieren.

Das Modell ohne HRT und Marussia hätte aber einen Haken: Ecclestone müsste bei Frank Williams vermutlich viel Überzeugungsarbeit leisten, damit dieser den Status als Konstrukteur aufgibt. Der stolze "Rollstuhlgeneral" gilt bekanntlich seit Jahren als vehementer Gegner des Kundeteam-Modells und würde vermutlich nur ungern mit Mercedes-Jahreswagen antreten.