Marussia: Formel 1 sollte sich an Hinterbänklern orientieren

Marussia-Sportdirektor Graeme Lowdon argumentiert, warum diese Saison nur am Ende des Feldes spannend blieb und erhofft sich in Zukunft mehr Aufmerksamkeit

(Motorsport-Total.com) - Während an der Spitze in der Formel-1-WM in Brasilien längst alles klar war, flatterten bei den Hinterbänklern die Nerven. Marussia fürchtete, wie im Vorjahr beim letzten Saisonrennen von Caterham noch in der Konstrukteurs-WM überrumpelt zu werden und dadurch Platz zehn und den letzten Anteil von Bernie Ecclestones TV-Geldern zu verlieren.

Titel-Bild zur News: Jules Bianchi

Spannung pur: Die Rad-an-Rad-Duell in Austin wurden von vielen übersehen Zoom

Als in den letzten Runden des Rennens in Interlagos dann auch noch Regen drohte, waren die Nerven bei Teamchef John Booth und Sportdirektor Graeme Lowdon zum Zerreißen gespannt. Diesmal ging aber alles gut, der beste Caterham-Pilot Giedo van der Garde passierte die Zielflagge nur als 18. und war damit vom nötigen 13. Platz weit entfernt. Dementsprechend groß war die Freude bei den beiden Briten an der Spitze von Marussia.

"Das gibt uns Selbstvertrauen - jedem der 200 Leute, die in der Firma arbeiten", freut sich Booth, der das kleinste Team in der Formel 1 leitet. Für Marussia wiegt der Erfolg daher noch schwerer. "Wir machen Fortschritte, obwohl wir jetzt weniger ausgeben", ergänzt Lowdon, der auch als Präsident fungiert. "Das ist für jeden, der beteiligt ist, eine ziemliche Errungenschaft."

Marussia und Caterham als Vorbilder?

Er würde sich wünschen, dass die Formel 1 aus dem spannenden Duell der beiden Hinterbänkler-Teams etwas lernt, denn er hält es nicht für einen Zufall, dass die WM an der Spitze dieses Jahr rasch entschieden war. "Vielleicht sollte man irgendwann weiter nach hinten schauen und sich fragen, warum diese engen Duelle weiter hinten stattfinden", empfiehlt Lowdon. "Vielleicht liegt es daran, dass die aufgewendeten Ressourcen etwas ausgeglichener sind. Ich würde meinen, dass das für Spannung und wahren Rennsport sorgt."

Eine Anspielung darauf, dass die Budgets der Spitzenteams unterschiedlicher sind als am Ende des Feldes. "Bitte nicht falsch verstehen", sagt er. "Es hat auch an der Spitze tolle Duelle gegeben, aber es gibt vorne recht große Speed-Unterschiede."

Einziges Problem: Die heißen Duelle am Ende des Feldes wurden fast ausschließlich von den Zuschauern vor Ort wahrgenommen, denn die internationale Regie konzentrierte sich auf das Geschehen an der Spitze oder im Mittelfeld. Der Marussia-Sportdirektor hofft aber, dass dies nicht immer so bleiben wird.

Marussia: Hoffnung durch neue Medien

"Die Medien befinden sich im Wandel, und es findet eine Defragmentierung statt", spielt er darauf an, dass das Fernsehen zunehmend von Multimedia-Angeboten ergänzt wird. "In allen Sportarten werden neue Wege beschritten, um mit den Fans in Kontakt zu treten. Vor allem die junge Generation der Fans rezipiert den Sport auf eine andere Art und Weise."

Er sieht dies als Chance für sein Team: "Beim Rennen in Austin fuhren Jules und van der Garde Rad an Rad - einige Male tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes. Die Boxenstopps waren sehr eng, und es war wirklich fantastisch, wenn man die Möglichkeit hatte, das zu sehen. Die Technologie wird nun zunehmend verfügbarer, um das zu sehen. Wir hoffen, dass es in Zukunft viele Innovationen geben wird, die es den Fans erlauben, die enorme Tiefe dieses Sports mitzuerleben. Es handelt sich um den besten Teamsport der Welt, und es wäre fantastisch, wenn die Fans auf viel individuellere Art und Weise daran teilhaben könnten."

Durch die neue Strukturierung der Entscheidungsprozesse der Formel 1 mit der Strategiegruppe haben Teams wie Marussia allerdings an Einfluss verloren. Immerhin hat man aber in der Formel-1-Kommission weiterhin ein Stimmrecht - dort wird über die Vorschläge der Strategiegruppe abgestimmt. "Unsere Anwesenheit verleiht der Kommission eine gewisse Glaubwürdigkeit", findet Lowdon.

Wie Marussia mit der Kritik umgeht

Grundsätzlich findet er, dass der Triumph Marussias über Caterham Formel-1-intern und -extern zu wenig wertgeschätzt wird. Dieser Ansicht ist auch Teamchef Booth. Als er damit konfrontiert wird, dass sein Team kürzlich kritisiert wurde, 100 Millionen Dollar pro Jahr dafür auszugeben, um am Ende pro Runde nur vier Sekunden schneller zu sein als die GP2, geht er in die Gegenoffensive: "Einige Teams geben 500 Millionen Dollar pro Jahr aus, um sechs Sekunden schneller als ein GP2-Auto zu sein."

Auch die Tatsache, dass sein Team in rund 150 Grands Prix nie in die Punkte kam, obwohl im Gegensatz zu den 1990er-Jahren nicht mehr nur die Top 6, sondern die Top 10 WM-Zähler erhalten, relativiert er: "Ich erinnere mich, dass Sauber im ersten Rennen einen Punkt geholt hat, aber zwei Runden Rückstand hatte und nur sieben Autos ins Ziel kamen. Jetzt ist die Zuverlässigkeit eines Formel-1-Autos unglaublich. Wenn wir uns an diese Zeiten zurückerinnern, dann hatten die Autos, die nicht in den Punkten waren, mehrere Runden Rückstand. Außerdem gab es damals keine Motoren, die so lange halten mussten."