Marquardt im Interview: Die Logistik in der Formel 1
Toyota-Teammanager Jens Marquardt über die Logistik eines Formel-1-Teams und den Aufwand vor einem Rennen - Abu Dhabi als neue Herausforderung
(Motorsport-Total.com) - Wenn die Fahrer am Freitagmorgen mit dem Freien Training beginnen, dann nimmt das Rennwochenende auf der Strecke seinen Anfang - für die Logistikabteilung eines Rennstalls hat der Grand Prix aber schon viele Wochen im Voraus begonnen: Die Planungen der Teams reichen bis in die Vorsaison zurück, sodass vor einem Rennauftritt bereits viele Arbeitsstunden in das Rennen geflossen sind. Toyotas Teammanager Jens Marquardt erläutert die komplexe Logistik eines Teams.

© Toyota
Jens Marquardt ist bei Toyota für die Logistik des Formel-1-Teams verantwortlich
Frage: "Jens, was sind die ersten Schritt, wenn man sich in Punkto Logistik auf eine neue Rennstrecke vorbereitet?"
Jens Marquardt: "Zunächst einmal gilt es, vorab möglichst viele Informationen zu erhalten. Entweder geht man diesbezüglich direkt auf den jeweiligen Kurs zu oder - und das ist meistens der Fall - die Strecken lassen uns wissen, was ihr Status ist. Bei Suzuka wurden beispielsweise einige Änderungen an den Boxenanlagen vorgenommen."#w1#
"Sie haben uns daher Skizzen und Informationen über ihre Pläne zukommen lassen und auch eine Einladung, um dorthin zu fahren, eine Erkundung durchzuführen, Fotos zu machen, Fragen zu stellen, Vorschläge einzubringen und die Situation vor Ort zu verstehen. Unser Input ist wichtig - zum Beispiel in Bezug auf unseren Bedarf an Strom oder Netzwerkverbindungen. Solche Dinge eben."
Frage: "Wenn du drei Wünsche für einen neuen Rennplatz äußern könntest, was würdest du in diesem Fall zu Protokoll geben?"
Marquardt: "Erstens hätte ich gerne genug Platz, um zu arbeiten und alles komfortabel unterzubringen - vor allem wenn man an das kommende Jahr denkt, denn dann werden mehr Teams am Start sein."
"Ein weiterer Wunsch wäre, von Strecke zu Strecke auf Anlagen zu treffen, die so ähnlich wie möglich sind. So müssten wir unsere Ausrüstung nicht kontinuierlich verändern oder anpassen. Außerdem ist eine gute Infrastruktur unerlässlich, denn sonst kann das dem Team einige Unannehmlichkeiten bereiten."
Frage: "Wie ist es konkret um Abu Dhabi bestellt?"
Marquardt: "Bei Abu Dhabi haben wir es mit einem vollkommen neuen Rennplatz zu tun. Das ist also eine andere Situation als mit Suzuka, denn wir hatten keinerlei bestehende Informationen. Nach dem Rennen in Bahrain wurden wir auf einen Besuch eingeladen und uns wurde gezeigt, was zum damaligen Zeitpunkt schon zu sehen war und wie die Planungen aussahen."
"Sie haben sich unseren Input angehört und haben mit uns solche Themen wie Zutritt, Boxen oder Büroinstallationen besprochen. Abu Dhabi ist ein spezieller Fall, denn Richard Cregan und Andy Beaven sind an diesem Projekt beteiligt. Aufgrund ihrer Zeit bei Toyota haben wir guten Kontakt zu ihnen. Diese beiden Jungs kennen die Perspektive eines Rennstalls und wissen genau, was nötig ist."
Wer kommt wann mit was wohin?
Frage: "Was kannst du zur Logistik abseits der Rennstrecke erzählen?"
Marquardt: "Nachdem wir uns die Strecke an sich angesehen haben, geht es darum, die logistische Situation im Umfeld zu verstehen: Welche Hotels gibt es, welcher Flughafen liegt am günstigsten und wie transportiert man die Leute, wenn sie dort ankommen."
"Wir schauen nach, ob es irgendwelche Bestimmungen gibt, wenn Ausländer einen Mietwagen fahren und ob es Sinn macht, Busse zu verwenden. Wir treffen unsere Entscheidungen anhand von praktischen, effizienten und kosteneffektiven Vorgaben. So kommt sehr viel an langfristiger Arbeit zusammen, die meistens zwischen sechs Monaten und einem Jahr im Voraus absolviert wird."
Frage: "Wie sieht die Logistik im Fall von Abu Dhabi aus und wie bekommt man die Leute dorthin?"
Marquardt: "Ich würde sagen, auf logistischer Seite sieht es für Abu Dhabi sehr gut aus. Unser Hotel liegt zwischen dem Flughafen, der Stadt und der Strecke. Wir sollten insofern also gute Transportmöglichkeiten haben. Das Fahren sollte kein Problem sein."
"Wir hatten kleine Sorgen in Bezug auf die Einreise und den Zutritt zu Yas Island, wofür man normalerweise eine Genehmigung braucht. Diese Geschichte wurde aber zwischen der FOM und der Regierung aussortiert. Für das Team sollte das also recht einfach werden."
Die Hotelfrage ist gelöst
Frage: "Wie entscheidet ihr darüber, welches Hotel ihr bucht?"
Marquardt: "Das ist mehr oder weniger ein Kompromiss zwischen den Kosten, der Lage und dem Komfort. Wir haben gewisse Standards, die wir dem Team bieten wollen. Gleichzeitig haben wir ein gewisses Budget, das pro Rennevent veranschlagt ist. Wir müssen also finden, was am besten passt."
"Bei Abu Dhabi haben wir sogar die Möglichkeit in Betracht gezogen, unser Lager in Dubai aufzuschlagen und täglich zu pendeln - für den Fall, dass die Hotels dort besser geeignet wären. Das hätte aber nicht viel Sinn gemacht. Die Transferzeit ist zu lang und es besteht zudem die Möglichkeit auf Sandstürme oder Zwischenfälle auf der Straße. Letztendlich haben wir uns daher für ein Hotel direkt in Abu Dhabi entschieden."
"Unsere Philosophie ist, dass wir eine bessere Arbeitsqualität von unseren Leuten erhalten, wenn sie in einer passenden Entfernung zur Rennstrecke angemessen untergebracht sind. Wenn du ohnehin schon einen langen Arbeitstag hast, dann wäre eine weitere Stunde Transfer zum Hotel eine recht große Last."
Frage: "Bereitet euch die die abendliche Startzeit Probleme oder wird dadurch eure Routine durcheinander gebracht?"
Marquardt: "Das Gute daran ist, dass es das letzte Saisonrennen ist. Die etwas nach hinten verschobene Startzeit ist also kein logistisches Problem im Hinblick auf das Zusammenpacken der Ausrüstung."
"Beim Nachtrennen in Singapur war das anders, denn das hat natürlich auch das direkt am folgenden Wochenende stattfindende Rennen in Japan beeinflusst. Da hatten wir am Sonntag durchaus ein logistisches Problem, denn wir hatten ein spätes Rennen und mussten unsere Fracht trotzdem zur üblichen Zeit bereit haben - gegen vier Uhr früh am Montagmorgen."
"Für die Jungs war es sehr anstrengend, alles rechtzeitig zu verpacken. In Abu Dhabi werden wir dieses Problem nicht haben. Es ist das letzte Rennen, also hat man es nicht eilig, die Ausrüstung zum nächsten Rennplatz zu schaffen. Unsere Flüge gehen erst Montagnacht, also haben wir reichlich Zeit."
Abu Dhabi: Die Spannung steigt...
Frage: "Wie sind die Rennwagen von Brasilien nach Abu Dhabi gelangt?"
Marquardt: "Die Autos wurden per Luftfracht der FOM direkt von Brasilien nach Abu Dhabi gebracht. Sie sind am Ende der vergangenen Woche angekommen und werden in Abu Dhabi gelagert, bis unsere Jungs am Montagmorgen mit den Arbeiten beginnen."
Frage: "Was sind deine generellen Eindrücke vom Yas Marina Circuit?"
Marquardt: "Der Kurs ist einfach extrem. Als ich im April zu einer Erkundung dort war, haben sie schon in jeder verfügbaren Minute daran gearbeitet - natürlich nicht zur heißesten Tageszeit, denn das ist nicht möglich. Was wir seither anhand der Updates erkennen konnten, ist einfach unglaublich. So etwas habe ich bei einer Formel-1-Strecke bislang noch nicht gesehen."
"Die Hafenanlage, um welche der Kurs herumführt, das Hotel mit der Brücke über der Strecke - sie haben jede Menge in den gesamten Event investiert und es ist ganz sicher etwas anderes. Sie haben große Anstrengungen unternommen, um alles so vorzubereiten, wie es die Teams haben wollten. Hoffentlich wird das für uns der einfachste neue Rennplatz für lange Zeit."

