Marmorini: "Standfestigkeit nicht für Leistung opfern"
Der Motorenbauer von Toyota beleuchtet im Interview den Entwicklungsprozess des RVX-05 und spricht über das erste Rennen
(Motorsport-Total.com) - Frage: "Luca, wie ist die Toyota-Motorenabteilung an die neue Regel, dass ein Motor jetzt an zwei Rennwochenenden verwendet werden muss, herangegangen?"
Luca Marmorini: "Wir haben seit Ende 2003 am Design des RVX-05-Motors gearbeitet, aber wirklich intensiv haben die Versuche erst mit den ersten Streckentests im September 2004 begonnen. Zu dem Zeitpunkt war es noch eine Hybridversion, weil wir uns nach den Montagepunkten des TF104B-Chassis' richten mussten. Der Motor war zwar schon fast in seiner finalen Konfiguration, dennoch haben wir mit dem Feintuning erst im Januar beginnen können, als wir endlich die Montagepunkte des TF105 verwenden konnten. Das Konzept ist eine Ausweitung dessen, was wir für 2004 ausgearbeitet haben, als ein Motor ein ganzes Rennwochenende aushalten musste. Um die Lebensdauer des Motors zu verlängern, mussten wir die neuen Regeln berücksichtigen und jede einzelne Komponente in unserer Fabrik in Köln hin rigoros auf Zuverlässigkeit testen."#w1#

© Toyota
Ex-Ferrari-Mann Luca Marmorini baut die Formel-1-Motoren für Toyota
Frage: "Welche Simulationstechniken habt ihr in der Entwicklung des RVX-05-Motors verwendet?"
Marmorini: "Wir haben unsere eigenen Forschungs- und Entwicklungsanlagen voll ausgeschöpft und natürlich Prüfstände verwendet, um den RVX-05 zu entwickeln. Seit dem ersten Moment, als wir die Teile zuverlässiger machen wollten, haben wir uns schrittweise den zwei erforderlichen Grand-Prix-Distanzen angenähert. Auf der Strecke sind wir aggressiver vorgegangen, um potenzielle Probleme sofort zu erkennen. Dennoch können die Tests nie die Unvorhersehbarkeit eines Rennens simulieren. Jetzt muss ein Motor sogar zwei Rennwochenenden halten, wodurch diese Unvorhersehbarkeit noch größer wird. Wir machen keine Long-Runs mit dem Motor für jede einzelne Strecke, sondern wir programmieren die Prüfstände auf besonders anspruchsvolle Streckenprofile für den Motor, zum Beispiel den alten Hockenheimring oder Spa. So gewinnt man repräsentative Daten. Der Homologierungsprozess ist unverändert geblieben, aber manche Details werden nun genauer an die jeweiligen Strecken angepasst."
Frage: "Wo liegen die Unterschiede zwischen Tests auf dem Prüfstand, Tests auf der Strecke und einem Rennen?"
Marmorini: "Es gibt viele Teile, die man ohne einen Testkilometer auf der Strecke mit dem Prüfstand testen und homologieren kann - zum Beispiel die beweglichen Teile im Motor. Andere Elemente wie etwa der Auspuff sind an einem Rennwochenende aber anderen Belastungen ausgesetzt und müssen daher sorgfältiger getestet werden. Dass wir Gangwechsel simulieren können, ist ebenfalls fantastisch, aber die Fahrer schalten im Rennen nicht so hart, was man beim Einstellen des Prüfstands in Betracht ziehen muss."
Mit dem neuen Motor gab es "die üblichen Kinderkrankheiten"
Frage: "Auf welche Probleme seid ihr während des Testprozesses gestoßen?"
Marmorini: "Genau wie erwartet hat es bei der ersten Ausfahrt des Motors im TF105 ein paar kleinere Probleme gegeben, aber das hat nichts mit dem Auto zu tun, sondern das ist ganz normal, die üblichen Kinderkrankheiten. Beim ersten Test in einem neuen Auto kommen meistens unerwartet starke Vibrationen oder ähnliche Unbekannte vor. Diese Dinge kann man relativ einfach in den Griff bekommen, also haben wir uns gleich auf jene Bereiche gestürzt, die in einem Rennen einen Ausfall verursachen könnten. Es war entscheidend, so viele Kilometer wie möglich mit dem Motor zu fahren, und ich bin ermutigt, in welchem Ausmaß uns das seit Januar gelungen ist."
Frage: "Was waren diese größeren Probleme, die du eben angesprochen hast?"
Marmorini: "Beim TF105 verwenden wir eine andere Auspuffform, daher hatten wir anfangs Probleme mit dem Feintuning des Auspuffsystems. Dann hat es mit anderen Teilen Schwierigkeiten gegeben, was an deren Produktionsqualität lag. Ich bin froh, dass wir diese Herausforderungen rasch gemeistert haben, und bin zuversichtlich für Melbourne."
Temperaturen in Australien und Malaysia ein großes Fragezeichen
Frage: "Welche Anforderungen stellt der Kurs im Albert Park an den Motor?"
Marmorini: "Der Grand Prix von Australien findet unter wärmeren Bedingungen statt. Obwohl wir im Winter in Spanien testen, ist es dort nicht so warm wie in Melbourne - und schon gar nicht so extrem heiß wie in Malaysia zwei Wochen später. Das erste Saisonrennen ist immer so etwas wie eine Lotterie, aber ich habe das Gefühl, dass wir uns als Team so gut wie möglich vorbereitet haben. Abgesehen vom Motor werden wir auch sehen, wie sich das neue Reifenreglement auswirkt, denn das entscheidet in diesem Jahr großteils über die Performance im Rennen. Was den Motor angeht, haben wir bei den Tests alle möglichen Perspektiven analysiert, um gut vorbereitet zu sein, aber der Tag der Wahrheit kommt erst noch."
Frage: "Und wie anspruchsvoll ist der Kurs?"
Marmorini: "Der Kurs ist eigentlich nicht allzu anspruchsvoll, aber wir fahren dort das erste Rennen in dieser Saison und das macht die Sache so schwierig. Erst nach dem Grand Prix von Australien wissen wir, in welche Richtung wir gehen müssen, und was wir falsch und was richtig gemacht haben. Die Strecke ist mittelschwer, was die Belastung für den Motor angeht, und der Volllastanteil liegt bei ungefähr 60 Prozent. Es ist aber die Unsicherheit bei allen Teams, die dieses Rennen so einzigartig macht."
Zuverlässigkeit wird nicht für ein paar PS geopfert
Frage: "Wie sieht euer Fahrplan für die Motorenentwicklung während der Saison aus?"
Marmorini: "Wegen der neuen Regeln dürfen wir den Motor zwischen Melbourne und Malaysia nicht wechseln - es sei denn, es gibt einen Motorschaden, aber das gehört nicht zu unserem Entwicklungsplan! Bei den Überseerennen sammeln wir in der Regel so viele Informationen wie möglich, um alles genau analysieren zu können. Erst wenn wir mit der Zuverlässigkeit zufrieden sind, führen wir Performance-Ausbaustufen ein. Wir planen den Einsatz eines verbesserten Motors beim Europaauftakt, was angesichts der neuen Regeln ein Debüt beim Grand Prix von Spanien bedeuten würde."
Frage: "Ab welchem Zeitpunkt werdet ihr eure Aufmerksamkeit der Performance widmen und nicht mehr der Zuverlässigkeit?"
Marmorini: "Wir werden nie Zuverlässigkeit für Performance opfern, daher müssen alle Ausbaustufen beide Parameter berücksichtigen. Es ist durch die neuen Beschränkungen schwieriger geworden, an Leistung zuzulegen. Wir haben schon einige Entwicklungsschritte für diese Saison in der Tasche, aber erst einmal müssen wir abwarten, was die Auswertung der ersten vier Rennen ergibt. Ich bin diesbezüglich zuversichtlich, aber Zuverlässigkeit bleibt immer erste Priorität, denn ohne Zielankunft gibt es auch keine Punkte."
Frage: "Was erhoffst du dir beim Grand Prix von Australien?"
Marmorini: "Als Technischer Direktor für den Motor bei Toyota dehnen sich meine Erwartungen aus auf den zweiten Grand Prix in Malaysia, denn ich hoffe, dass wir nach Sepang noch dieselben Motoren in Verwendung haben werden wie in Melbourne. Obendrein ein paar Punkte wären natürlich nicht schlecht."

