• 05.02.2003 09:05

Mark Webber im Interview – Teil 3

Der dritte und letzte Teil des ausführlichen Interviews mit Jaguar-Pilot Mark Webber im Vorfeld der neuen Formel-1-Saison

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Die Regeländerungen sehen auch ein Verbot des Boxenfunks vor. Erscheint Dir die Idee, bei 350 km/h alle notwendigen Informationen von einer Tafel ablesen zu müssen, nicht ein bisschen abwegig?"
Mark Webber: "Schon, aber die Jungs sind ziemlich clever. Wir könnten die Boxentafeln mit Plasma-Bildschirmen erweitern. Man weiß nie, was noch alles kommt. Das hört nie auf, das kann ich Euch sagen..."

Titel-Bild zur News: Mark Webber

Auf den Spuren von James Bond: Webber vor einem Jaguar-PKW

Frage: "Wie denkst Du eigentlich generell über die Änderungen? Gibt es dem Fahrer etwas zurück? 2004 kommt dann ja der einheitliche Heckflügel. Und welche Eingriffe ins Reglement würdest Du gerne noch sehen?"
Mark Webber: "Ich bin mit dem Meisten recht glücklich, wenn ich ehrlich sein soll. Das Einzelzeitfahren im Qualifying wird interessant, speziell deswegen, weil man sich schon vor dem Abschlusstraining auf die Rennabstimmung festlegen muss. Das bedeutet, dass die Getriebeübersetzungen, Bremskonfigurationen und einfach das ganze System am Samstag ganz anders sein werden als bisher. Sollten die Zeiten im Qualifying dennoch schneller sein als früher, dann nur wegen der Reifenentwicklung und wegen den Autos an sich. Das ist gut so. Ich bin mir nicht sicher, ob das mit dem Heckflügel 2004 passieren wird ? wirklich nicht. Viele der Ideen müssen von den Teams erst einmal richtig registriert werden, weil alles so schnell gegangen ist. Sie wollten die Kosten reduzieren und es wieder realistisch möglich machen, Rennsport zu betreiben, aber für die Action auf der Strecke wird sich nicht viel ändern, denn Überholen ist nach wie vor schwierig. Aerodynamisch haben sich die Autos ja nicht verändert, es sei denn, man kommt mit einem neuen Heckflügel an oder lässt sich sonst etwas einfallen. Es kann also gut sein, dass es auch dieses Jahr ein paar Rennen geben wird, in denen niemand überholt, aber vielleicht startet Michael dann ja von Platz sieben oder acht aus und das macht sicher Spaß beim Zuschauen. Vielleicht steht auch einmal jemand vorne, der normalerweise nicht dahin gehört, aber im Qualifying Glück mit einem einsetzenden Regenschauer hatte. Das sind viele nette Veränderungen. Ich persönlich befürworte sie und bin schon gespannt darauf, was sie alles auslösen werden."

Neues Reglement sollte mehr Spannung bringen

Frage: "Gibt es irgendetwas, was Du zusätzlich zu dem schon Beschlossenen gerne sehen würdest?"
Mark Webber: "Vor ein paar Tagen bin ich ohne Traktionskontrolle gefahren und das ist definitiv eine gute Sache. Das wird einige Fahrfehler hervorrufen, so mancher Pilot wird seine Reifen schonen wollen und so weiter. Das ist ein Schritt nach vorne. Darüber hinaus waren aber auch die alten manuellen Getriebeeinheiten besser. Es gab oft schöne Überholmöglichkeiten, wenn sich jemand verschaltet hat, weil er unter Druck stand oder einen Fehler beging. Ich glaube nicht, dass wir das je wieder sehen werden. Wahrscheinlich wird es für immer bei den Schaltwippen hinter dem Lenkrad bleiben, aber wie gesagt, es würde für gute Überholmöglichkeiten sorgen. Aerodynamisch sind die Autos super. Deswegen kommen ja so viele Menschen zu den Rennen, weil es einfach schnelle Geschosse sind. Das Überholen ist aber schwierig. Wenn wir das noch ausmerzen könnten, wäre das großartig. Ich hoffe aber nicht, dass die Formel 1 zu langsam wird."

Frage: "Alle sprechen über Deinen Druck in Melbourne, aber wird es nicht beim Jaguar-Heimrennen in Silverstone ähnlich sein?"
Mark Webber: "Da liegst Du wahrscheinlich richtig. Im Vorfeld wird es vielleicht genauso stressig wie bei meinem eigenen Heimrennen, aber aus leicht unterschiedlichen Gründen. In Melbourne bin ich der Lokalheld, in Silverstone fahre ich nur für das lokal populärste Team. Die Briten sind ganz aufgeregt, dass es jetzt vorangehen soll, sie sind ewige Optimisten, und ich hoffe, dass ich ihnen allen Grund dazu geben kann. Aber logisch, dass es in Großbritannien Druck geben wird, keine Frage."

Frage: "Eines der Probleme mit dem neuen Reglement ist das Überwachen der Verstöße dagegen. Wie hart sollte mit denjenigen, die die Regeln brechen, verfahren werden?"
Mark Webber: "Es liegt an der FIA, so etwas zu entscheiden. Hoffentlich schicken sie ihre Bagger los, um entsprechende Löcher im Reglement sofort aufzufüllen, wenn sich jemand darin tummelt... Im Ernst, ich finde, da sollte sehr rigoros durchgegriffen werden, aber eigentlich liegt es rein an der FIA. Vermutlich werden sie ohnehin nicht lange herumfackeln, wenn es zu so einem Fall kommen sollte."

"Formel-1-Autos sind die teuersten Staubsauger..."

Frage: "Niki Lauda hat gesagt, dass er als Jaguar-Teamchef das Angebot mit zwei zusätzlichen Stunden am Freitag wahrgenommen hätte. Tut es Dir in Bezug darauf leid, dass Du in Melbourne diese zwei Stunden am Freitag nicht bestreiten kannst?"
Mark Webber: "Im Gegenteil, ich bin sogar sehr glücklich darüber, denn wir müssen ja das Auto während der Saison weiterentwickeln. Außerdem sind 80 oder 90 Prozent der Strecken in der ersten halben Stunde selbst bei optimalen Bedingungen mit einem dünnen Film überzogen. Formel-1-Autos sind aber die teuersten und besten Staubsauger und so werden die Strecken immer erst am Samstag perfekt zu befahren sein. In Sachen Entwicklung ist der Freitag daher meistens ein Tag, den man abschreiben muss. Trotzdem wird man an den Freitagen viel Aktivität erleben, denn die größeren Teams, die an diesen beiden Stunden nicht teilnehmen, müssen sich ja auch vorbereiten. Der erste Teil des Qualifyings (der nicht für die Startaufstellung herangezogen wird; Anmkg. d. Red.) ist ja auch am Freitag, also wird es sehr, sehr hektisch werden. Aber es freut mich, dass wir uns gegen die zwei freien Stunden entschieden haben."

Frage: "Wie steht es mit der Idee, zu Gunsten von einfacheren Überholmanövern wieder Slicks in die Formel 1 zu holen? Minardi ist in Valencia ja kürzlich notgedrungen mit profillosen Formel-3000-Reifen gefahren..."
Mark Webber: "Bernie hat schon klar gemacht, dass im Prinzip alle wieder gerne Slicks auf den Autos sehen würden, aber die Rillenreifen haben heutzutage schon einen erstaunlichen Grip. Es würde mich interessieren, was dabei herauskäme, wenn eine Reifenfirma wieder einen Slick konstruieren würde, denn jetzt waren wir ja über Jahre hinweg unterentwickelt, um es radikal auszudrücken. Dem Rennfahren würde es sicher zu Gute kommen, weil man in langsamen Kurven dank der größeren mechanischen Haftung näher an den Vordermann ranfahren könnte."

Webber fordert Rückkehr zu profillosen Reifen

Frage: "Du bist letztes Jahr für Minardi an den Start gegangen. Das Team hat jahrelang ums Überleben gekämpft. Siehst Du jetzt endlich Licht am Ende des Tunnels, kannst Du eine solide Basis erkennen?"
Mark Webber: "Das Ganze ist ein schwieriges Umfeld und man kann sich nicht selbst veräppeln und das Gegenteil behaupten. Sie haben dieses Jahr zwei tolle Fahrer und einen fantastischen Motor. Wenn einmal die Geschichte mit den Reifen bereinigt ist, wird das helfen. Dann ist die beste Saison der Teamgeschichte möglich. Für Paul wäre es logischerweise fantastisch, etwas mehr Unterstützung zu bekommen. Wir alle gönnen ihm das. Das Geschäft ist zäh, aber ich glaube wie gesagt, dass sie in der besten Ausgangsposition seit Jahren sind und darauf vielleicht ein Fundament bauen können, von dem aus sich das Team weiterentwickeln wird. Andererseits spüren ein paar Teams gewaltigen Druck. Eddie Jordan gehört auch dazu. So ist die Weltwirtschaft im Moment. Da tut man sich nicht leicht."

Frage: "Wie oft bist Du mit dem R3 gefahren und wie gut ist der neue R4 von Jaguar im Vergleich dazu?"
Mark Webber: "Ich habe etwa sechs oder sieben Tage im R3 verbracht. Eigentlich war es ein R3B und später sogar ein R3C, eine Übergangsversion. Damit habe ich lange gearbeitet, speziell am Motor. Man könnte das Fahrzeug als reines Testmodell bezeichnen, wenn man so will. Es ging darum, die Heckpartie ein wenig abzuklopfen, bevor der R4 ein paar Wochen später ganz zusammengebaut wurde. Man kann schwer sagen, das eine Auto ist so und so viel schneller als das andere, weil sie nie zur gleichen Zeit gefahren wurden. Ermutigend ist aber, dass wir derzeit schnellere Zeiten fahren können als mit dem R3 jemals möglich gewesen sind. Trotzdem müssen wir auf dem Boden bleiben und abwarten, wo sich der R4 im Vergleich mit der Konkurrenz einreiht. Im Moment zeichnen sich ein paar Stärken ab, aber es gibt auch Bereiche, an denen noch gearbeitet werden muss. Das ist aber sicher bei allen so."

Frage: "Hast Du schon so viele Kilometer in Jaguar-Autos absolviert wie das ganze letzte Jahr mit Minardi? Minardi hatte ja selten das Geld für Tests..."
Mark Webber: "Das stimmt vielleicht sogar. Wenn wir nach Melbourne kommen, habe ich vielleicht schon genauso viele Jaguar-Kilometer auf dem Buckel wie letztes Jahr in Minardis. Wir haben ganz schön gearbeitet."

Bald mehr Kilometer als 2002 bei Minardi

Frage: "Fährst Du an den meisten Tagen insgesamt eine Renndistanz oder sogar mehr oder doch nicht?"
Mark Webber: "Ja, eigentlich nehmen wir uns immer vor, zumindest um die 70 Runden am Tag zu fahren. Wenn das Ding einmal zuverlässig ist, lässt sich das natürlich noch erheblich steigern. Mit dem R3B habe ich vor Weihnachten einmal 97 Runden an einem Tag zurückgelegt und später dann noch einmal 97. Da schläft man dann wirklich gut..."

Frage: "An einem Dutzend Testtagen für Jaguar spulst Du also in etwa die Distanz ab, die Du letztes Jahr für Minardi absolviert hast, richtig?"
Mark Webber: "Ja."

Frage: "Was machst Du eigentlich, um vor einem Rennen noch einmal zu entspannen?"
Mark Webber: "Gegen Mittag nehme ich in der Regel ein Teller Pasta zu mir. Danach mache ich zwar keine klassische Siesta, aber ich lege mich hin, schließe die Augen und sondere mich von der Außenwelt ab, um zu relaxen. Die Jungs bereiten in der Zeit das Auto vor und ich muss dann rausgehen und meinen Job machen. In den Stunden vor einem Rennen versucht man wirklich, ein wenig entspannter zu werden. Manchmal nehme ich auch eine Massage, denn die zwei Stunden können schon ziemlich hart sein. Der Körper wird enorm belastet und es sind auch ein paar wichtige Entscheidungen zu treffen. Der Druck ist immens. Daher ist Entspannung angesagt. Auch während dem Rest des Wochenendes gehe ich manchmal ein paar Minuten in mich, um nicht durchzudrehen."

Frage: "Glaubst Du, dass irgendjemand ? vielleicht abgesehen von den Menschen, die schon einmal in einem Doppelsitzer mitfahren durften ? eine Idee davon haben, wie es ist, einen Formel 1 ein paar Stunden lang zu bewegen?"
Mark Webber: "Wenn man nicht schon einmal in einem Doppelsitzer chauffiert wurde, ist das schwer zu umschreiben. Mir macht es Spaß, denn die Leute, die aus solchen Doppelsitzern nach drei oder vier Runden aussteigen, sind meistens gut durchtrainiert und halbwegs fit, aber ihr Gesicht läuft dennoch weiß an, ihr Puls steigt rasend. Das ist nicht nur wegen der Geschwindigkeit und wegen der Fliehkräfte, sondern ganz einfach wegen der Belastungen für den Körper. Das ist harte Arbeit. Man muss schon halbwegs beisammen sein, um so etwas durchzustehen. Ich selbst konzentriere mich einfach immer darauf, so ruhig wie möglich zu bleiben, die richtigen Entscheidungen zu treffen. In Malaysia kann die Temperatur sogar auf 65 Grad klettern und es ist nicht gerade angenehm, mit drei Schichten Kleidung, dem Overall und so weiter im Cockpit arbeiten zu müssen, aber da muss man durch."

65 Grad in Malaysia: "Da muss man durch!"

Frage: "Du hast Eddie Irvine bei Jordan abgelöst und erinnerst viele in Deiner Heimat ein bisschen an Jack Brabham. Gibt es irgendein großes Vorbild, ein Idol, in dessen Haut Du gerne stecken möchtest?"
Mark Webber: "Auf der Rennstrecke ist es natürlich so, dass man sich an den Legenden orientiert. Man versucht, da auch hinzukommen. Die Art und Weise, wie Michael an seinen Job herangeht, ist erstaunlich ? und nur deswegen hat er es so weit gebracht. Die Tiger Woods' und Michael Jordans und Michael Schumachers dieser Welt sind phänomenal talentiert, aber sie arbeiten auch sehr hart. Das muss man anerkennen und ich ziehe das auch in Betracht, wenn ich selbst an mir arbeite. Ich verstehe, dass die großen Champions nicht einfach ankommen und gewinnen, nein, die stellen sich optimal auf alles ein. Abseits der Rennstrecke ist es aber eine rein persönliche Angelegenheit, wie man ist, und man sollte sich nicht verstellen. Wenn Du versuchst, jemand anders zu sein, kann das kräftig in die Hose gehen. Ich bin ich selbst, schätze ich."

Frage: "Nach Deinem fünften Platz in Melbourne hat Michael Schumacher Dich und Paul Stoddart in die Ferrari-Garage zu einer Unterhaltung eingeladen. Hattest Du später in der Saison noch einmal Kontakt zu ihm?"
Mark Webber: "Ja, wir hatten viele nette Unterhaltungen in Brasilien und bei den anderen Rennen. Wenn wir uns über den Weg laufen, reden wir meistens über Thredbo und den Mount Buller, denn er absolviert dort an den verschiedensten Orten einen Teil seines Trainings. Er schaut sich vor dem Rennen auch oft Australien an. Er ist ein ganz normaler Kerl, ein phänomenaler Sportler und ein guter Kumpel. Von ihm kann man etwas lernen."

Persönlicher Sponsor jetzt ohne Aufkleber am Helm

Frage: "Der Aufkleber von 'Telstra' ist nicht mehr auf Deinem Helm. Wirst Du trotzdem noch in gleichem Ausmaß unterstützt?"
Mark Webber: "Im Moment ziehen wir noch verschiedene mögliche Arrangements in Betracht. Wir haben ja auch 'AT&T', einen Sponsor des Jaguar-Teams. 'Telstra' hat mich ? übrigens genau wie die 'Gelben Seiten' ? für sechs, sieben oder acht Jahre unterstützt, eine fantastische Partnerschaft. Wir denken darüber nach, wie wir in Kontakt bleiben können."

Frage: "Wenn man Deinen fünften Platz in Melbourne einmal außen vor lässt, bleiben viele zehnte, elfte und zwölfte Plätze übrig. Ohne Melbourne würde sich Dein Lebenslauf nur halb so spektakulär lesen. Wie wichtig war dieses eine Rennen auf dem Sprung in ein besseres Team?"
Mark Webber: "Natürlich war das ein großartiger Saisonauftakt. Wichtig für mich war auch, dass ich Mika Salo hinter mir halten konnte. Das passiert im Leben immer wieder ? man muss nach oben steigen und Leistung bringen. Wenn sich eine Möglichkeit bietet, muss man sie sich schnappen. Ich hätte damals auch Fehler machen können. Klar, ich hatte Glück, dass diese Möglichkeit überhaupt auftrat, aber man muss das erst einmal nach Hause fahren. Das hat geklappt. Ich denke aber auch, dass ich in Monte-Carlo und vielleicht noch bei ein paar anderen Rennen so aufgefallen bin, dass das Interesse der Großen geweckt wurde."