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  • 04.02.2003 11:21

Mark Webber im Interview – Teil 2

Der junge Australier über die neue Zuversicht bei Jaguar, das neue Reglement und den immensen Druck der Formel 1

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Das Jaguar-Team hatte 2002 Probleme. Das ist kein Geheimnis."
Mark Webber: "Absolut nicht."

Titel-Bild zur News: Mark Webber

Voller Zuversicht: Mark Webber hat mit dem Jaguar R4 viel vor

Frage: "Bist Du irgendwie - direkt oder indirekt - in die Entwicklung involviert?"
Mark Webber: "Ich spiele eine sehr große Rolle dabei, weil ich mit dem neuen Auto schon viele Kilometer zurückgelegt habe. Diese Woche war ich zwei Tage in Valencia. Wir arbeiten noch immer an ein paar Sachen und lernen ständig, wie wir das Auto schneller machen können ? auf eine Runde und auf eine gesamte Renndistanz. Außerdem wollen wir auf allen Strecken konstant sein und ich muss daher meinen Job so gut wie möglich erledigen. Das bedeutet, ich muss den Jungs so viele Informationen wie möglich übermitteln und stets voll fahren."

Frage: "Es heißt, der wichtigste Gegner, den es zu schlagen gilt, ist der eigene Teamkollege. Du kommst mit Antonio Pizzonia gut aus, aber er wurde bei Williams schon als kommender Weltmeister gehandelt. Wie fühlst Du Dich mit einem Mann an Deiner Seite, von dem Du weißt, dass er Dir hart zusetzen kann?"
Mark Webber: "Um ganz ehrlich zu sein, mich hat es sehr gefreut, als ihn das Team bestätigt hat. Wenn sie mit Pedro weitergemacht hätten... Pedro ist gut, aber er hatte nicht den Respekt, den Antonio zeigt. Es ist gut, dass sie ihn für die andere Garage neben mir ausgewählt haben. Es stimmt, wir kommen gut miteinander aus und ich sehe, wie er seinen Job macht. Er hat ja bei Williams mit Ralf und Juan zusammengearbeitet. Williams ist es nicht so schlecht ergangen, daher ist es interessant, ihn bei der Arbeit zu beobachten. Wenn man auf der Strecke ist, eine gute Runde fährt, schneller ist, dann ist es ein schönes Gefühl und man weiß, man hat einen guten Job gemacht, aber es wird Tage geben, an denen er mir ganz schön zusetzen wird. Das kann interessant werden."

Freude über Pizzonia, Kritik an de la Rosa

Frage: "2003 wird es einen irren Kampf um das Mittelfeld geben. Ferrari sollte vorne wegfahren, aber dahinter streiten sich Jaguar, Jordan, BAR, Sauber und so weiter. Teilst Du diese Einschätzung?"
Mark Webber: "Ja, ich denke, das stimmt. Ich denke, es wird hinter den Top-Teams recht knapp zugehen, aber auch Williams und McLaren sollten Ferrari ein bisschen einheizen können. Dahinter sollte es ? wie gesagt ? eine Verfolgergruppe geben. Ich weiß natürlich nicht, wer diesem Paket angehören wird, aber ich hoffe, dass wir dabei sind, einen guten Job machen können. Das alles hängt natürlich auch stark mit dem Reifenkrieg zusammen und wir werden sehen, wie dieser sich entwickelt. Auch die Zuverlässigkeit ist in der ersten Phase der Saison für alle ein Thema, also warten wir ab, wie es losgeht."

Frage: "Was willst Du bei Jaguar erkannt haben, was Dir die Zuversicht gibt, dass das Team jetzt besser abschneiden kann als früher?"
Mark Webber: "Naja, sie gehen jetzt mit einer klareren Struktur an die Sache heran, was mich ehrlich gesagt schon mehr an ein Rennteam erinnert als früher. Es wurden diesbezüglich viele Hausaufgaben erledigt und ich muss sagen, ich bin ziemlich beeindruckt von den Jungs, weil sie alle möglichen Bereiche abgedeckt haben. Schon bevor wir mit dem neuen Auto gefahren sind, haben wir das neue Auto besser verstanden als den R3, bevor er getestet wurde. Die Vorgehensweise ist wissenschaftlicher und der Ingenieursbereich wurde gestärkt. Das alles müsste dazu beitragen. Es hat sich viel verändert und das wird wohl in den nächsten sechs bis acht Monaten auch so weitergehen. Man könnte sagen, dass noch ein wenig Staub gewischt werden muss, aber im Wesentlichen sind wir auf dem richtigen Weg und die Moral ist gut."

"Man könnte sagen, dass noch Staub gewischt werden muss..."

Frage: "Haben die Ingenieure schnell auf die Eingriffe ins Regelwerk reagiert?"
Mark Webber: "Man kann sie nur lesen ? genau wie das die Journalisten machen. Im Augenblick kann man gar nicht viel machen, bevor die Sachen nicht bei einem Rennwochenende in Kraft treten. Manche der Systeme, die wir jetzt noch verwenden, werden später verboten. Wir können also einige der Systeme testen, zum Beispiel das automatische Runterschalten, die Traktionskontrolle oder die Startautomatik. Aber davon kann ich mir nach den ersten drei Rennen ein besseres Bild machen."

Frage: "Letztes Jahr hieß es, durch die elektronischen Fahrhilfen wird den Piloten die Kontrolle weggenommen ? ob das nun stimmt oder nicht. Glaubst Du, dass das jetzt wieder anders wird?"
Mark Webber: "Gute Frage. Jedenfalls hat sich alles ein bisschen in die technische Seite entwickelt. Die Formel 1 ist so stark und technologisiert, dass dem Fahrer etwas weggenommen wurde. Aber jetzt ist ja für die nächsten Monate viel geplant und ab Saisonmitte müsste das Pendel dann wieder eher in Richtung Fahrer ausschlagen. Ich habe ein paar Versuche mit Systemen absolviert, die das Fahren schon viel einfacher machen. Wir werden härter arbeiten müssen ? und das ist eine gute Sache. Ich bin wirklich glücklich darüber. Ich finde, man soll für einen Fehler bestraft werden. In Zukunft wird das auch so sein. Es wird großartig. Ich bin diesbezüglich sehr optimistisch und freue mich."

Neues Reglement könnte kleineren Teams helfen

Frage: "Gibt es spezielle Regeländerungen, die den Teams im Mittelfeld vielleicht mehr entgegenkommen als den Teams an der Spitze?"
Mark Webber: "Ja, schon. Zum Beispiel muss man sich jetzt mit einem Auto in Rennspezifikation qualifizieren. Wir hatten bei Minardi überhaupt nie spezielle Teile für das Qualifying. Wir mussten einfach Benzin abpumpen, aber die anderen Teams konnten die Bremsen auswechseln, das Bodywork, den Motor ? alle Elemente, die von kurzer Lebensdauer sind. Das ist jetzt vorbei und davon werden die kleinen Teams und sogar die im Mittelfeld ein wenig profitieren. Das kann jedes Wochenende rund eine halbe Sekunde bringen, weil die Jungs an der Spitze einfach so viele Kniffe kannten, um auf eine Runde schneller zu werden."

Frage: "Ist die Zuverlässigkeit des R4 und speziell des Cosworth-Motors ein Thema, wenn Du einmal voll fährst?"
Mark Webber: "Das ist immer eine Sorge mit einem neuen Auto. Ich habe das bei Renault gesehen und jetzt sehe ich es bei Jaguar. Jenson Button hat in Valencia mit dem neuen BAR nur zehn Runden hinbekommen. Wenn man auf die Performance schaut, muss man manchmal die Standfestigkeit außer Acht lassen, denn in Le Mans ist es auch so, dass man vielleicht zuverlässig ist, dem Feld aber vier Runden hinterherhinkt. Da ist eine sehr dünne Linie zu ziehen. Cosworth hat einen sehr kleinen Motor für uns gebaut und jetzt wird daran gearbeitet, ihn bereichsweise ein wenig zu verstärken. Aber keine Frage, wir werden das mit der Zuverlässigkeit schon hinbekommen. Wir haben mit ein paar Motoren schon Renndistanzen geschafft, aber wir müssen auch immer weiter testen, denn hinter der nächsten Kurve kann schon ein neues Problem lauern. Gerade wenn man glaubt, dass alles aussortiert ist, tritt meistens der nächste Defekt auf. Letztes Jahr in Monaco sind die BMWs geplatzt, weil sie immer an die Leitplanken angeschlagen haben. In solchen Situationen am Limit hat man manchmal Probleme. Ich hoffe, dass wir mit Autos nach Melbourne kommen, die so zuverlässig wie möglich sind."

Frage: "Ist Jaguar längerfristig betrachtet Dein Sprungbrett zu einem Top-Team oder glaubst Du wirklich, bis Ende 2004 den Durchbruch hier geschafft zu haben?"
Mark Webber: "Es wird sehr schwierig, schätze ich, schon in zwei Jahren konstant vorne mitzufahren, aber mit den Leuten, die jetzt hier sind, mit dieser Entwicklung, mit dem, was ich in den letzten Monaten gesehen habe, kann ich mir durchaus vorstellen, dass hier auf längere Sicht meine Zukunft liegt. Ich muss natürlich meine Leistung bringen, aber ich fühle mich wohl."

Großer Optimismus im gesamten Jaguar-Team

Frage: "Jeder spricht über den Druck auf Deinen Schultern, aber wie sieht es mit dem Druck auf Jaguar seitens Ford aus? Spürt man den im Team?"
Mark Webber: "Wie man weiß, waren die letzten paar Jahre alles andere als rosig. Wenn es also einen richtigen Zeitpunkt gibt, um sich zu steigern, dann jetzt. Das könnte man aber auch über Williams oder McLaren-Mercedes sagen. Wir alle haben unsere unterschiedlichen Ziele und ich hoffe, dass wir unsere erreichen werden, um den Druck, der in der Formel 1 immer gegenwärtig ist, ein wenig abzubauen. Das Rezept dafür haben wir, jetzt müssen wir es nur noch umsetzen."

Frage: "Ferrari und McLaren werden wohl die Vorjahresautos nach Melbourne bringen. Denkt Jaguar auch darüber nach, mit dem R3 zu kommen, oder bleibt es beim neuen Modell?"
Mark Webber: "Keinesfalls werden wir einen R3 fahren. Es wird definitiv der R4 sein. Man muss dazu aber auch sagen: Wenn diese Teams sagen, sie kommen mit einem alten Auto, dann meinen sie ein altes Chassis, aber darunter wurden viele Schrauben ausgetauscht und viele Platten poliert. Die machen sich keine Sorgen darüber, mit dem alten Auto zu kommen..."

"Viele Schrauben ausgetauscht und viele Platten poliert..."

Frage: "In den letzten Jahren war Jaguar äußerst instabil, es gab zahlreiche personelle Veränderungen. Gibt es jetzt ein Gefühl im Team, dass das alles der Vergangenheit angehört? Und wie wurdest Du eigentlich aufgenommen?"
Mark Webber: "Naja, ich bin ja erst seit vier Monaten bei Ford und Jaguar, also sehe ich das noch neutral. Man muss die Augen aber offen halten. Hoffentlich ist das der Anfang dieser Stabilität, aber dazu kann ein Mark Webber nichts beitragen. Im Moment sehe ich aber keinen Grund, weshalb es wieder zu Instabilität kommen sollte. Ich habe mich auch sehr gut eingelebt. Wir kommen gut miteinander aus, Antonio und ich treiben uns im Auto gegenseitig an. Ich könnte gar nicht glücklicher sein, um die Wahrheit zu sagen."

Frage: "Du hast schon eine Saison hinter Dir, dein Teamkollege ist noch neu in der Formel 1. Für einen so jungen Fahrer ist es sicher eine ungewöhnliche Situation, de facto Teamleader zu sein. Behandelt Dich das Team auch als Leitfigur oder gibt es da keinen Unterschied?"
Mark Webber: "Wir beide werden gleich behandelt. Wenn es um Tests geht und die jeweiligen Programme, dann wird alles sehr, sehr fair aufgeteilt. Manchmal gibt es frustrierende Wochen, in denen ich nur grundlegende Arbeiten erledigen kann, und eine Woche später muss dann eben Antonio da durch. Er ist zwar noch keine Rennen gefahren, aber er hat 15.000 oder 16.000 Testkilometer mit Williams auf dem Buckel und Jaguar ist ganz scharf darauf, ihm sein Wissen zu entlocken, solange es noch aktuell ist."

Frage: "Du hast bei Renault viel getestet und mit Mercedes auch in der Sportwagenszene. Ist das eine Stärke dieser Fahrerbesetzung, weil so viel Background mit Testfahrten für die Weiterentwicklung gegeben ist?"
Mark Webber: "Der Schlüsselfaktor für sie war meiner Meinung nach, dass alles noch so frisch ist. Sie wollten frisches Blut holen, einen Neuanfang machen. Andererseits wollten sie aber auch keine völlig unerfahrenen Fahrer, also haben sie uns beobachtet, gedacht, dass wir reif sind, uns engagiert - und jetzt sind wir hier. Hoffentlich können wir ihnen im Laufe des Jahres ein paar nette Geschenke machen."

Minardi in einigen Bereichen besser als der R3

Frage: "Wie schwierig ist es, den R4 verglichen mit dem letztjährigen Minardi oder dem R3 zu fahren?"
Mark Webber: "Körperlich?"

Frage: "Zum Beispiel in einer Kurve."
Mark Webber: "Es haut mich immer noch um, wie sich Formel-1-Autos fahren. Der Renault hatte Schwächen und Stärken. Dann stieg ich in den Minardi. Ich behaupte, der Minardi war in einigen Bereichen besser als der R3, aber der R4 ist wahrscheinlich das beste Formel-1-Auto, das ich je gefahren bin. Alle Jahre verändern sich die Dinge sehr schnell und es wäre auch etwas nicht in Ordnung, wenn dem nicht so wäre. Die Reifen werden immer besser. Alles entwickelt sich weiter und es ist mehr Grip vorhanden als früher. Die Rundenzeiten werden immer schneller. Die Zeiten, die ich beim Test in Valencia gefahren bin, waren mit Abstand meine schnellsten auf dieser Strecke. Dabei wagt man sich in unbekannte Gewässer vor und man kann auch über sich selbst eine Menge lernen."

Frage: "Wirst Du inzwischen eigentlich auf der Straße überall erkannt?"
Mark Webber: "In Europa hat sich das schon ein bisschen verändert, ja. Die Formel 1 macht zwar eine schwierige Zeit durch, aber es ist immer noch ein sehr populärer Sport und Jaguar ist eine Traditionsmarke. Speziell in Großbritannien sind viele Menschen sehr aufgeregt darüber, dass da jetzt zwei neue Fahrer sind ? und ich bin einer davon. Da kommt es schon vor, dass einem Leute auf einmal über die Schulter schauen, also bin ich vorsichtiger geworden."