F1-Fahrer kritisieren Racing: "Mag nicht, wie derzeit gefahren wird"
Viele Formel-1-Fahrer kritisieren das aktuelle Racing in der Meisterschaft, das von Wortklaubereien bestimmt wird, andere fahren aber trotzdem einfach nach Gefühl
(Motorsport-Total.com) - "Ich mag ehrlich gesagt nicht, wie derzeit gefahren wird", sagt Williams-Pilot Alexander Albon. Das Racing in der Formel 1, es hat sich verändert. Wurde früher nach Instinkt und gegenseitigem Respekt gefahren, so fahren die Piloten heute vor allem nach Regelbuch: Wer hat an welchem Punkt der Kurve irgendetwas vorne gehabt und wer hat dadurch das Recht, dem anderen keinen Platz zu lassen?

© LAT Images
Alexander Albon und Liam Lawson haben ihre Vorgeschichte Zoom
So oder so ähnlich fühlen sich die Formel-1-Piloten derzeit mit den Racing-Regeln. "Manchmal muss man in Rad-an-Rad-Situationen wirklich überlegen: 'Okay, was sagt Punkt drei der Richtlinien? Okay, ich muss ihn vorbeilassen', meint Haas-Pilot Oliver Bearman und hat ein Fazit: "Solche Sachen fühlen sich manchmal etwas unnatürlich an."
Unnatürlich - dieses Wort haben wir in der jüngeren Vergangenheit häufiger gehört, wenn es um Zweikämpfe geht. Und das nicht nur von den Fahrern, sondern auch von Teamchefs wie Christian Horner. Wird der Sport mittlerweile manchmal etwas überkompliziert?
"Ja, ich denke, das geht definitiv in diese Richtung", kritisiert auch Lance Stroll. "Es gab mal eine Zeit, da war es ziemlich einfach - einfach eine Wagenbreite Platz lassen", sagt er. "Und ich weiß nicht - inzwischen ist es schon zu einer Art Wissenschaft geworden."
"Es ist schon so, dass man sich manchmal denkt: 'Wo ist mein Rad im Verhältnis zum Spiegel?' - solche Sachen eben", gibt der Aston-Martin-Pilot zu, der sich aber einfach daran orientiert. "Das ist einfach die Richtung, in die sich das entwickelt hat. Ich meine, ich mache die Regeln nicht, ich fahre einfach nur."
Die FIA hatte vor dem Wochenende in Spielberg ein Dokument veröffentlicht, in dem die Racing-Regeln niedergeschrieben sind. Auf fünf Seiten stehen dort die genauen Anweisungen, was im Zweikampf erlaubt ist und was nicht. Doch was Klarheit bringen soll, ist für die Fahrer in der Realität eher hinderlich.
"Es ist auf jeden Fall schwierig, wenn man mit 300 km/h in die Bremszone fährt, den Gegner in der Kurve bekämpft - und man sich fragt: 'Was genau steht jetzt in dem Dokument?' Das ist schon etwas viel, um da ständig dran zu denken", so Stroll.
Albon: Im Zweifel lieber Kollision?
Und vor allem sorgt es für eine Art Racing, das nicht jedem Fahrer gefällt. Denn im Zweifel kann sich ein Fahrer wortklauberisch immer an die Formulierungen halten - auch wenn das eigentlich nicht immer sinnvoll erscheint.
Albon hat dafür auch ein prägnantes Beispiel und erinnert sich noch gut an die erste Kurve in Barcelona. "Wenn dich das andere Auto rausdrückt, die Bremse löst und dir keinen Platz lässt, dann gehört ihm natürlich die Kurve." Das andere Auto habe sich aber schon für die Außenbahn entschieden und dann keine andere Wahl, als von der Strecke und durch die Auslaufzone zu fahren.
"In Kanada war es das gleiche", sagt er. "Wenn ich in das Auto einlenke, das auf der Innenbahn die Bremse löst, dann bekommt er eine Strafe, wenn ich ganz außen bin", sagt der Williams-Pilot. Das heißt für ihn: Er könnte zu seinem eigenen (sportlichen) Vorteil in das andere Auto einlenken, obwohl er weiß, dass das eigentlich nicht geht und es zur Kollision kommt.
"Dadurch machen wir das Ganze zu einem Kontaktsport", kritisiert der Thailänder. "Ich habe versucht, Kollisionen zu vermeiden, habe mich rausgehalten - und wurde dafür in Barcelona sogar bestraft. Und in Kanada habe ich einfach die Position verloren."
Für Albon heißt das im Umkehrschluss vor allem eines: "Ich glaube, nach den letzten beiden Rennen muss auch ich meine Herangehensweise ändern und mich strikter an das Regelbuch halten", sagt er.
Lawson gibt zu: Als Albon wäre ich auch angepisst
"An seiner Stelle wäre ich auch angepisst", muss Liam Lawson zugeben, der mit Albon in Barcelona genau dieses Szenario hatte.
"Als Fahrer versuchen wir natürlich immer, das Maximum rauszuholen - wir wissen, wie die Regeln geschrieben sind, und versuchen sie zu unserem Vorteil auszulegen. Und so, wie sie aktuell formuliert sind, lässt sich das auch machen. Zum Beispiel: Wenn man leicht die Bremse löst, um gerade noch genug Überlappung zu erreichen, gibt es eben Möglichkeiten, das auszunutzen."
Ähnlich sei es laut ihm mit Fernando Alonso in Miami gewesen, wo der Spanier am Ende in der Mauer gelandet war. "Das war nie meine Absicht. Aber dass ich überhaupt leicht rausgedrückt wurde, rausfahren und wieder zurückkommen konnte - das ist durch die Regeln so möglich", sagt der Racing-Bulls-Pilot.
"Er wusste, dass er die Bremse lösen muss, um vor mir zu sein am Scheitelpunkt - nur so kann er verhindern, dass ich ihn außen überhole. Ich war selbst schon in dieser Lage. Ich verstehe es voll. Aber im Rennen machst du, was du machen musst", so Lawson.
Muss das Racing wieder simpler werden?
Die Regeln zwingen die Fahrer eben zu solchen Maßnahmen, und das ist die Frage: Braucht es überhaupt so ein genaues Regelwerk?
"Vor ein paar Jahren war es ziemlich simpel - einfach etwas Platz lassen, eine Wagenbreite", sagt Stroll. "Wenn man in der Bremszone ist, einfach den anderen nicht von der Strecke drücken. Und das war fair. Das war einfach, auch im Cockpit, solche Entscheidungen zu treffen. Und ich denke, das hat lange gut funktioniert."
Auch Lawson sehnt sich nach einfacheren Zeiten zurück: "Wenn ich an meine Kart-Zeit zurückdenke - da gab es keine exakten Richtlinien, wann man Überlappung hatte oder nicht. Aber das Racing war super", sagt er. "Man wusste einfach instinktiv: Die Kurve gehört mir, oder eben nicht."
"Heute kommt noch das Thema Tracklimits dazu. Früher - wenn du mitgezogen bist und es war nicht deine Kurve - dann hast du ein Rad abbekommen und du warst im Gras. Heute kannst du einfach außen raus und wieder reinkommen. Die Regeln erlauben das", so der Neuseeländer. "Ich glaube, wir Fahrer wissen schon, wie man fair fährt. Aber vielleicht wären einfachere Regeln die bessere Lösung."
Piastri: Sind Richtlinien, keine Gesetze
Doch es gibt auch diejenige, die das Thema nicht so eng sehen: Oscar Piastri zum Beispiel. Der WM-Leader betont, dass es sich bei den FIA-Richtlinien um eines handelt, nämlich eben Richtlinien und keine Regeln, die in Stein gemeißelt sind. "Jedes einzelne Racing-Szenario in Worte zu fassen, ist unmöglich", sagt er.
"Ich denke, die Richtlinien geben den Kommissaren einige Hilfsmittel, was erlaubt sein sollte und was nicht", so der Australier, der es auch positiv findet, zu wissen, was eben möglich ist. "Es ist einfach wichtig, dass Leute es nicht als schwarz und weiß behandeln, was passieren muss, denn selbst wenn du zehn Seiten schreibst, finden Fahrer Grauzonen heraus."
Pierre Gasly sagt, dass er persönlich nicht das Gefühl hat, dass das Racing unnatürlich geworden ist. "Es fühlt sich natürlich an", so der Franzose. "Man fährt hart und weiß, wo das Limit ist. Es herrscht gegenseitiger Respekt unter den Fahrern, und du versuchst, ans Limit zu gehen - und manchmal geht man halt leicht darüber hinaus."
"Wie wir das bestrafen, das ist dann eine andere Frage."
Alonso: "Ich fahre einfach wie immer"
Auch Fernando Alonso relativiert das Thema und sieht kein großes Problem: "Zumindest bei mir hat sich nicht viel geändert. Ich fahre mehr oder weniger noch wie früher", zuckt er mit den Schultern. "Klar, von Saison zu Saison gibt es kleine Anpassungen, aber wir kennen die Regeln im Großen und Ganzen. Wenn die Saison beginnt, versuchst du natürlich, sie bestmöglich auszunutzen."
Er betont, dass er trotz des Regelwerks im Auto nach Instinkt fährt. "Ich weiß nicht, wie die anderen es machen, aber ich fahre einfach wie immer", so der Spanier. "Wenn ich verteidige, tue ich das wie immer. Und beim Angreifen versuche ich, keinen Kontakt zu haben, weil mein Auto sonst beschädigt werden könnte und ich keine Punkte hole."
Und dann gibt es auch noch den Ansatz wie den seines Teamkollegen Lance Stroll, der die Angelegenheit recht pragmatisch sieht: "Es gibt Momente, da greife ich an und denke mir einfach: 'Okay, ich mache das jetzt so, wie ich es mein ganzes Leben lang gemacht habe, wie ich immer gefahren bin.' Und danach sehen wir dann, ob das mit dem übereinstimmt, was das Dokument sagt."



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