Kwjats Mittagsmenü: ...und zum Nachtisch Formel 1
Der neue Toro-Rosso-Pilot opferte eine Jugend im Kreis der Familie für einen Traum, mit dem seine Eltern nichts anzufangen wussten: Alles begann beim Mittagessen
(Motorsport-Total.com) - Daniil Kwjat war im Formel-1-Paddock bisher ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Im Vorfeld seines ersten Freitagseinsatzes im Rahmen des US-Grand-Prix in Austin stellte der junge Russe unter Beweis, dass die Szene dank seiner Beförderung zum Toro-Rosso-Stammpiloten 2014 um eine Attraktion reicher wird. Im Gespräch mit den zahlreich erschienen Journalisten zeigte sich Kwjat dank fließendem Englisch gesprächig und humorvoll, aber auch bodenständig, familiär und bescheiden.

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Kwjat bewundert nicht nur Räikkönen, sondern auch dessen Brillengeschmack Zoom
Der 19-Jährige weiß ganz genau, was für ein Glück er hat - zumal Kwjat einer ist, der sich die Rennstrecken-Karriere schon als Dreikäsehoch aus freien Stücken erarbeitete: "Einige Eltern wollen das ganz konkret, aber meine wussten noch nicht einmal, was Kartsport oder überhaupt Motorsport ist. Das macht es noch süßer", findet der in Ufa, einer Vier-Millionen-Stadt an der Wolga, geborene Kwjat. Aufgewachsen ist er in Moskau, wo er erstmals auf ein Gaspedal stieg. "Ich war damals Mittagessen, nebenan war eine Kartbahn und alles nahm seinen Lauf." Über die Formel BMW und die Formel Renault 2.0 ging es zum Team Christian Horners und Mark Webbers in die GP3.
Für den Traum von der Formel 1 wurde Kwjat früh flügge. Mit zwölf Jahren zog der kleine Daniil alleine nach Italien, um sich voll und ganz dem Motorsport zu widmen. Nach und nach kam die Familie nach. Lange erhielt er nur Besuch von seiner Mutter, weil der Vater in Russland arbeiten musste. "Meine Eltern haben aber ein Auge auf mich gehabt", erinnert sich der Wahl-Römer. "Das ist eigentlich nicht das richtige Alter, um alleine zu leben." Zwischenzeitlich war er zu Red Bull nach Milton Keynes gezogen. Mit seinem fließenden Italienisch genießt Kwjat einen großen Vorteil, schließlich operiert sein zukünftiges Team aus der ehemaligen Minardi-Fabrik in Faenza.
Rund und Rot: "Und der Knopf war für..."
Bisher teilte er sich die Wohnung übrigens mit Red-Bull-Co-Junior Antonio Felix da Costa - also ausgerechnet dem Mann, dem er das Formel-1-Cockpit vor der Nase wegschnappte. "Wir wussten ja lange gar nicht, dass wir miteinander konkurrieren", erklärt Kwjat, warum in der russisch-portugiesischen Männer-WG die Teller an einem Stück blieben. "Der vergangene Monat war dann ein bisschen Pokern. Aber wir hatten beide unsere Rennen und haben uns nicht so oft gesehen." Auch nach der Entscheidung sei zwischen den Freunden alles im Lot, schließlich wüssten beide, wie im Spitzensport der Hase läuft. "Und ich habe die Tür immer abgeschlossen", lacht Kwjat.
In der abgelaufenen Saison feierte Kwjat in der GP3 den ersten wichtigen Titel seiner Karriere. Eine gute Schule für die Königsklasse? "Es ist schon ein großer Schritt", weiß er, glaubt aber nicht an einen Nachteil gegenüber denjenigen, die aus dem direkten Unterbau kommen - wie McLaren-Hoffnung Kevin Magnussen. "Wir sind mit den Zeiten nahe dran gewesen an den Autos der Renault-World-Series (WSbR, die der Däne 2013 für sich entschied, Anm. d. Red.) und sogar schneller als deren Vorgängermodell." Dennoch warten auf den Teenager in der Beletage neue Herausforderungen: Mehr Power, mehr Anpressdruck, Karbonbremsen und viele Knöpfe.
An seinem GP3-Lenkrad musste sich Kwjat nicht viel merken. "Boxengassenbegrenzer, Funk - also zwei Knöpfe", überlegt er schmunzelnd und denkt an das halbe Klavier auf dem Formel-1-Steuerrad. "Ich habe mich schnell daran gewöhnt und es ist nicht das größte Problem, wenn man ein bisschen Zeit investiert." Kniffliger ist es da mit Vor- und Zunamen aller Jungs, die in seiner Box schuften. Waren es in der Nachwuchsmeisterschaft noch drei einsame Mohikaner, kümmern sich ab demnächst 30 Leute um sein Wohlergehen. Trotzdem sind Versagensängste Fehlanzeige: "Es gibt nicht viele Chancen. Ohne Risiko in die Formel 1 zu kommen, das gibt es nicht."
Vorbild Schumacher
Deshalb habe er auch keine Sekunde gezögert, als sich die Chance ergab, den Toro Rosso als Nachfolger Daniel Ricciardos zu übernehmen. "Man muss einfach Leistung abliefern, nur darum geht es. Das Alter ist nur ein Vorteil." Erfahren hatte Kwjat vom großen Los in einem Meeting, als Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko die frohe Botschaft telefonisch überbrachte. "Es war eine Überraschung, keine große", blickt der Russe zurück. "Ich wusste seit Spa-Francorchamps, dass es eine Chance geben würde und mir wurde gesagt, ich müsste mich auf der Bahn beweisen." Gesagt, getan. In sechs Rennen sorgte Kwjat sechsmal für Punkte, drei Siege plus weiteres Podium.

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Daniil Kwjat beim Test in SIlverstone: Er musste Lenkrad-Memory spielen Zoom
Der Erfolg ist Kwjat nicht zu Kopf gestiegen. Als ein Journalist hören will, was seine Stärken sind, lässt er ihn kaum aussprechen. "Das wurde ich schon oft gefragt", wiegelt Kwjat - wie immer offen und freundlich - ab. "Ich beschreibe mich nicht gerne selbst oder erzähle schöne Dinge über meine Person. Ich schufte unablässig und versuche, meine fahrerischen Fähigkeiten zu verbessern, das ist der Schlüssel." Eine breite Brust besitzt er trotzdem und nennt die GP3 dafür verantwortlich. "Ich fühle mich bereit nach einem intensiven Jahr, in dem eine Menge passiert ist. Ich habe zum ersten Mal ein Formel-1-Auto ausprobiert und habe es gleich in die Formel 1 geschafft."
Unter besonderem Druck steht Kwjat bei Toro Rosso nach eigener Meinung übrigens nicht - auch nicht von der grauen Eminenz Marko. "Er hat mir nicht gesagt, wie schnell ich sein soll - nur, dass ich etwas reißen soll", lacht das Naturtalent, dem der privatisierte, aber praktisch staatlich gelenkte Mineralölkonzern Lukoil vor einiger Zeit die Förderung entzog. Kwjat will geduldig sein: "Es gibt keine bestimmten Ziele und nicht den Druck, etwas Außergewöhnliches anzustellen. Jeder weiß, dass ich Zeit brauche." Als Vorbild bezeichnet er Michael Schumacher wegen dessen Rekorden, sieht aber unter seinen künftigen Konkurrenten "viele, viele starke Fahrer."

