Kritik nach Stallorder: Die Pfiffe waren nur der Anfang
Nach dem Großen Preis von Österreich schwappte über das Ferrari-Team eine riesige Welle der Empörung und Kritik
(Motorsport-Total.com) - Die Königsklasse des Motorsports hat ihrem Namen "Formel-1-Zirkus" alle Ehre gemacht. Die Ferrari-Dompteure schnalzten Rubens Barrichello zurück, damit Leit-Tiger Michael Schumacher seinen fünften Saisonsieg feiern kann. Die Formel-1-Fans wollten fairen Sport sehen, stattdessen sahen sie Politik. In der Formel 1 geht es zumindest bei Ferrari nicht mehr primär um Sport, es geht um Millionen.

© xpb.cc
Michael Schumacher tröstet Rubens Barrichello
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Die Fans in Österreich stießen Pfeifkonzerte aus und stimmten Barrichello-Sprechchöre an. Einige Fans verbrannten sogar vor Ort ihre Ferrari-Flaggen. Über die Internet-Foren rollte eine wahre Protestwelle herein und die Fans ließen es sich sogar nicht nehmen, die Ferrari-Sponsoren per eMail auf ihren Missmut über die unsportliche Stallorder von Österreich aufmerksam zu machen. In mehreren Briefen an die Redaktion forderten Leser sogar zu einem Boykott der Formel 1 auf.
Barrichello ist vertraglich dazu verpflichtet, Schumacher Platz zu machen
Hatte sich Rubens Barrichello im letzten Jahr noch zunächst widersetzt, als er ebenfalls auf dem A1-Ring Michael Schumacher passieren lassen musste, wusste Rubens Barrichello sofort, was er zu tun hat, um Ferrari zufrieden zu stellen. In der Pressekonferenz nach dem Rennen gab er unumwunden zu, dass er mit seinem neuen Zweijahresvertrag zugestimmt hat, alle Befehle des Teams zu befolgen.
"Ich sagte nichts dazu, es war eine Teamentscheidung", so Barrichello nach dem Rennen. "Ich habe gerade einen Zweijahresvertrag bei ihnen unterschrieben und ich dachte, dass ich dem Respekt zollen muss." Angesichts des großen Vorsprungs in der WM und des fairen Kampfes auf der Strecke verbunden mit der Überlegenheit Barrichellos in Spielberg war der Brasilianer vom Funkspruch dennoch "überrascht". Ob es in Zukunft noch einmal zu einer Stallorder kommen wird? "Wir werden sehen. Das ist ein internes Thema. Es ist nicht unsere Aufgabe, das jetzt zu diskutieren."
Schumacher und Ferrari versuchten zu "trösten"
Als kleines Trostpflaster blieb für Barrichello die Geste von Michael Schumacher: "Er überreichte mir den Siegerpokal, darüber bin ich glücklich." Ferrari ließ Barrichellos Renningenieur Gabriele Delli Colli den Pokal der Konstrukteure entgegen nehmen. Typisch Barrichello: Die Schmach von Österreich versucht er mit fast schon lächerlich wirkenden positiven Gedankengängen auszublenden: "Ich gehe durch eine sehr positive Zeit in meinem Leben. Dies ist die beste Saison in meiner Karriere. Ich werde ein besserer Mensch und ein besserer Fahrer."
Doch der Paulista dürfte sich heute hart um einen verdienten Sieg beraubt fühlen: "Das Auto war fantastisch. Der Motor, die Reifen, einfach alles. Wir konnten das ganze Rennen über voll fahren", bis auf die letzten paar Runden, in denen Rubens Barrichello langsamer machen musste, um den Weltmeister passieren zu lassen, dem er an diesem Wochenende die Show stehlen konnte. "Ich denke, dass ich noch viele Rennen gewinnen kann. Ich habe es im letzten Jahr aufgegeben, mich zu beschweren, aber meine Frau hat heute Geburtstag, der Sieg wäre schön gewesen."
Der Sieger war von der Stallorder überrascht
Michael Schumacher selbst gab sich überrascht von dem Manöver, er dachte, dass Barrichello das Rennen gewinnen dürfte: "Ich sah wie er langsamer machte, ich machte auf den letzten 100 Metern dann ebenfalls langsamer, wie man das auf den Telemetriedaten erkennen kann, doch er steckte noch mehr zurück. Es war eine Entscheidung des Teams. In diesem Jahr habe ich an so etwas nicht mal gedacht, aber man weiß nie, was passieren wird. Angesichts meines Vorsprungs denke ich aber, dass es unnötig war."
Bei Teams wie McLaren-Mercedes und BMW-Williams wären solche Entscheidungen in der aktuellen Situation in der Fahrerwertung undenkbar. Doch Michael Schumacher verteidigt die Strategie von Ferrari: "Ferrari hatte schon immer diese Philosophie, denn es ist ein Teamsport. Wir geben eine Menge Geld aus und am Ende des Tages sähen wir dumm aus, wenn es uns die WM kosten würde. 1999 hätte Spa Häkkinen den Titel kosten können, als das Team Coulthard gewinnen lies. So muss man das auch einmal sehen."
Todt: Zuschauer sind unwichtiger als das Team
Ferrari-Rennleiter Jean Todt machte klar, wie er die Entscheidung sieht. Man fahre nicht für die Zuschauer sondern für das Team: "Manchmal muss man schwierige Entscheidungen treffen und diese heute war eine von dieser Sorte. In der Vergangenheit haben wir drei Mal in Folge Titel im letzten Rennen verloren und wir wissen, dass wir gegen starke Gegner fahren. Wir müssen deshalb aus jeder Situation das Maximum holen. Die Extra-Punkte, die Michael heute geholt hat, könnten Ende der Saison wertvoll sein."
Auch Ferraris-Chefdenker Ross Brawn musste eingestehen, dass eigentlich Rubens Barrichello es verdient gehabt hätte, sein zweites Formel-1-Rennen zu gewinnen: "Rubens hat das Rennen heute gewonnen, aber im Interesse von Ferrari und der Fahrerweltmeisterschaft mussten wir diese Entscheidung heute fällen. Wir fuhren gar kein Rennen, denn wir sagten Michael, Rubens nicht unter Druck zu setzen und das gleiche sagten wir auch Rubens."
Briatore: Ferrari manipuliert das Ergebnis
Die Konkurrenz sah das Manöver kurz vor der Zielflagge logischer Weise nicht gerne: "Ferrari muss lernen, dass es sie nicht alleine gibt, sondern dass die öffentliche Meinung stärker ist", so Patrick Head, Technischer Direktor von Williams. Und Renault-Boss Flavio Briatore fügte hinzu: "Was Ferrari heute gemacht, ist gegen den Sport. Sie manipulieren das Ergebnis, das ist nicht richtig. Ferrari hat heute die ganze Öffentlichkeit verarscht. Was heute passiert ist, habe ich in der Formel 1 noch nie erlebt. Das ganze Ergebnis ist reine Manipulation!"
Head weiter: "Mir tut Rubens sehr leid und ich muss sagen, dass dies das zynischste Erlebnis ist, das ich in meinen 27 Formel-1-Jahren hatte. Ich denke, dass ein Team wie Ferrari, das ein so brillantes Auto konstruiert hat, eine Verpflichtung gegenüber der Formel 1 und den Zuschauern hat, und das heißt, dass man Motorsport durchführen muss. Wenn wir ein überlegenes Auto hatten, dann haben wir das getan. Das hier war ein empörender und zynischer Akt."
Stuck: "Volksverarschung!"
Ex-Formel 1-Pilote Hans-Joachim Stuck tobte nach dem Rennen: "Ich bin entsetzt. So etwas Unfaires habe ich noch nie erlebt. Was Ferrari heute gemacht hat, ist Volksverarschung. Und das alles nur wegen vier Punkten. Damit hat das gesamte Team unheimlich viele Sympathien verloren. Natürlich hat Michael die Stallorder befolgen müssen. Er hätte aber sehr viel Sympathien gewinnen können, wenn er trotzdem Rubens nicht überholt hätte. Für mich war Barrichello heute der Dominator und hat Michael gezeigt, wo der Hammer hängt. Meine tiefste Bewunderung gehört heute Rubens Barrichello", sagte Stuck gegenüber 'Premiere'.
Auch 'Premiere'-Kommentator Marc Surer übte harsche Kritik an der Teamorder von Ferrari: "Es ist traurig und peinlich, dass Ferrari so etwas nötig hat. Letztes Jahr hat man die Entscheidung noch nachvollziehen können. Aber diese Saison sind weit und breit keine Gegner in Sicht. Deshalb verstehe ich die Teamorder überhaupt nicht!"
Gerhard Berger schloss sich der Kritik an und fordert sogar vom Motorsportweltverband FIA Maßnahmen: "Das war heute eine sehr schlechte Entscheidung von Ferrari. Das Rennen ist klar manipuliert, da muss von Seiten der FIA reagiert werden. Die Siegerehrung war auch ein Witz. Erst geht der eine auf das Podest, dann der andere. Entschuldigung, wir sind doch nicht im Kasperltheater!" Norbert Haug, Vertreter der Konkurrenz aus Stuttgart stimmte die gleichen kritischen Töne an: "Alle Freunde des Motorsports sind heute enttäuscht worden."
Ferrari und die Welle der Kritik
Ferrari wird wie erwartet von einer Kritikwelle überrollt, nun schaut das Team nach vorne und hofft, dass die Stallorder von Österreich möglichst bald wieder vergessen sein wird, wie das auch im vergangenen Jahr der Fall war. Rubens Barrichello darf sich als moralischer Sieger und Besitzer des Siegerpokals fühlen. Viel wichtiger: Es wird kaum jemanden geben, der ihn nicht als den wahren Sieger des Rennens sieht. Sport kann manchmal grausam sein, vor allem, wenn viel Geld im Spiel ist.

