• 03.02.2003 11:06

Jos Verstappen im Interview – Teil 2

Der Niederländer über Michael Schumacher, das Reglement, junge Nachwuchstalente, Karriereplanung und noch mehr...

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Du hast in der Neujahrspause ein wenig Zeit mit Michael Schumacher verbracht. Wie schätzt Du seine Einstellung jetzt ein? Ist er heiß darauf, weitere Weltmeisterschaften zu gewinnen, oder eher entspannt?"
Jos Verstappen: "Ich bin mir nicht sicher, ob man sagen kann, dass er entspannter geworden ist. Privat ist er ganz anders als auf der Rennstrecke. Natürlich befindet er sich in einer sehr angenehmen Situation und ich schätze, er wird so lange weitermachen, wie er nur kann, weil im Team alles gut für ihn läuft. Er ist also in einer netten Situation und er ist sehr glücklich ? Ferrari ist für ihn wie eine Familie. Ich glaube also, dass er noch lange weiterfahren wird, und auch, dass er sehr, sehr glücklich ist."

Titel-Bild zur News: Jos Verstappen

Comeback in Melbourne: "The Boss" ist wieder da

Frage: "Ist es gut für die Formel 1, wenn er noch lange weitermacht, oder wäre es besser, für einen neuen Star Platz zu schaffen?"
Jos Verstappen: "Um eine Weltmeisterschaft zu gewinnen, braucht man ein gutes Auto und ein gutes Team. Nicht nur der Fahrer macht einen Unterschied. Michael arbeitet schon seit acht, neun, zehn Jahren in der Formel 1, also wissen sie genau, was er haben will. Aber die Zeiten werden sich sicherlich ändern und ich denke, dass McLaren ein gutes Auto bauen wird. Auch Williams ist auf dem Weg nach oben. Sie werden ihn fordern und das ist gut für die Formel 1. Andererseits braucht die Formel 1 aber auch einen großen Superstar und genau das ist er. Die Formel 1 braucht das."

Frage: "Man könnte es ungewöhnlich finden, dass Du ein so gutes Verhältnis zu Michael hast, wo er doch mit vielen seiner Teamkollegen Probleme hatte ? speziell mit Johnny Herbert und manchmal auch mit Irvine. Woher also kommt diese Freundschaft und war das auch schon 1994 bei Benetton so?"
Jos Verstappen: "Ich hatte mit ihm nie ein Problem im Team. Manchmal hat man in der Presse gelesen, dass seine Teamkollegen seine Computerdaten nicht einsehen durften oder dergleichen, aber mir ist das nie aufgefallen und er hat mir immer geholfen und mir Ratschläge gegeben, denn es war damals ja mein erstes Jahr in der Formel 1. Ich habe es also immer genossen, sein Teamkollege zu sein, und er hat mir immer geholfen, also habe ich definitiv kein Problem mit ihm."

Frage: "Das ist neun Jahre her. Hat er sich seither sehr verändert?"
Jos Verstappen: "Für mich hat er sich nicht verändert, nein."

"McLaren wird immer stärker und stärker"

Frage: "Wenn Du einen Fahrer aussuchen müsstest, der Michael am ehesten gefährden kann ? wer wäre das Deiner Meinung nach?"
Jos Verstappen: "Das hängt davon ab, wie gut das Auto ist. Meiner Meinung nach ist das Auto wichtiger als der Fahrer und im Moment wird McLaren immer stärker und stärker, also werden ihm vielleicht Coulthard und Raikkonen etwas härter zusetzen."

Frage: "Welcher der beiden McLaren-Fahrer ist in Deinen Augen höher einzuschätzen?"
Jos Verstappen: "Wahrscheinlich Raikkonen, denn letztes Jahr war sein erstes Jahr im Team und ich finde, er hat einen sehr guten Job gemacht. Natürlich ist er noch sehr jung und er hat auch noch eine Menge zu lernen, aber man muss sehen, was mit ihm geschieht. Wenn es mit seinem Team nicht wie erhofft vorangeht, wird er vielleicht gelangweilt ? ich weiß es nicht. Das ist immer schwer einzuschätzen."

Frage: "Wie sieht es bei Williams mit Montoya und Ralf Schumacher aus?"
Jos Verstappen: "Montoya war letztes Jahr im Qualifying stark. Er ist ein etwas aggressiverer Fahrer und das brauchen wir."

Frage: "Letztes Jahr herrschte in Australien frenetischer Jubel um Mark Webber und Minardi. Wie war es in Deiner Heimat hinsichtlich deines Comebacks?"
Jos Verstappen: "Es ist noch immer gewaltig. Ich denke, dass die Formel 1 in jedem Land mit einem Fahrer sehr, sehr populär ist. Genau das erlebe ich im Moment."

Begeisterung für Verstappen "noch immer gewaltig"

Frage: "Kommen wir noch einmal zu Deiner Freundschaft mit Michael Schumacher. Es gab Gerüchte, dass er mit Paul Stoddart gesprochen und Dich empfohlen haben könnte. Ist da etwas dran?"
Jos Verstappen: "Das müsste man Paul Stoddart fragen, aber ich glaube nicht. Zu der Zeit, als feststand, dass wir den Vertrag machen würden, war ich gerade mit Michael im Urlaub. Drei oder vier Tage später habe ich dann unterschrieben. Michael hat darüber nicht viel gewusst, also bin ich hundertprozentig sicher, dass er nicht mit Paul gesprochen hat. Er hatte mit dem Deal, den ich mit Minardi gemacht habe, nichts zu tun."

Frage: "Paul hat Michael letztes seine Frau im Doppelsitzer herumkutschieren lassen..."
Jos Verstappen: "Ich weiß."

Frage: "Gibt es bei all den Reglementsänderungen auch eine, die Du besonders befürwortest, oder auch eine, mit der Du gar nichts anfangen kannst?"
Jos Verstappen: "Meine liebste Änderung ist, dass Traktionskontrolle und Startautomatik wieder weggenommen werden, denn meine Starts sind ziemlich gut und ich konnte da immer ein paar Positionen aufholen. Außerdem ist es großartig, wenn das Fahren wieder in die Hand des Fahrers zurückgegeben wird."

Verstappen begrüßt elektronische Abrüstung

Frage: "In den letzten Jahren war es oft so, dass eher jene Fahrer verpflichtet wurden, die einem Team finanziell helfen können, als jene, von denen man sich fahrerisch etwas versprach. Hat das mit den neuen Regeln nun ein Ende?"
Jos Verstappen: "Ja, vielleicht. Wenn man zurückschaut, so konnte fast jeder Fahrer mit all diesen Fahrhilfen schnell sein, aber jetzt wird das schwieriger. Den guten Fahrer wird das entgegenkommen. Ich denke, dass die Leute dadurch weniger auf das Geld schauen werden."

Frage: "Welche Erinnerungen hast Du an Melbourne? In sieben Jahren bist Du hier viermal angetreten und wir alle erinnern uns noch an 1996, als es im "Schnuppertraining" am Donnerstag besonders gut für Dich gelaufen ist..."
Jos Verstappen: "Ich muss sagen, dass ich immer gerne nach Australien komme. Den Flug mag ich weniger, weil er so lange dauert, aber den Aufenthalt. Die Menschen sind sehr freundlich, die Strecke, die Organisation ist hervorragend, alles ist gut gemacht, sieht hübsch aus ? und für uns Fahrer ist auch die Stadt ein toller Ort."

Frage: "Viele bringen Dich noch immer am ehesten damit in Zusammenhang, dass Du 1994 in Hockenheim im Benetton an der Box in Flammen aufgegangen bist. Woran erinnerst Du Dich davon noch und ärgert es Dich, darauf angesprochen zu werden?"
Jos Verstappen: "Nein, das ist der Motorsport. Ich kam an die Box, um nachtanken zu lassen, aber der Tankstutzen ging nicht auf das Ventil. Also spritzte etwas Benzin daneben und dadurch kam es zu dem großen Feuer. So etwas ist einfach Pech, aber die Box ist der beste Platz für so einen Zwischenfall, also hat es mich gar nicht so arg mitgenommen. Zwei Wochen später stand ich auf dem Podium. Es hat mich nicht beeinflusst."

Arrows-Pleite: Walkinshaw hat "viel Mist gebaut"

Frage: "Du bist lange für Arrows gefahren, aber jetzt ist das Team leider nicht mehr mit dabei. Empfindest Du dabei Traurigkeit?"
Jos Verstappen: "Natürlich ist es sehr enttäuschend, wenn ein Team so den Bach runterläuft, aber er, Mister Tom Walkinshaw, hat dabei viel Mist gebaut. Wir kämpfen vor Gericht noch immer gegen ihn. Vielleicht ist das ein wenig grausam, aber irgendwo verdient er es nicht anders, weil er so viel Mist gebaut hat."

Frage: "Wer hat Dich von den jungen Piloten im letzten Jahr am meisten beeindruckt und wer von ihnen hat das Zeug zum Weltmeister?"
Jos Verstappen: "Raikkonen, der hat einen Superjob gemacht. Montoya schlägt sich auch ziemlich gut. Wer noch? Bei Button weiß ich nicht so recht. Er befindet sich in einer schwierigen Situation. Bei Mark Webber kommt es darauf an, wie dieses Jahr für ihn läuft. Wenn er sich macht, kann was aus ihm werden. In Wahrheit kommt es doch auf die Leistung in diesem ersten Jahr an und dann muss man versuchen, ein besseres Auto zu bekommen. Dazu muss man aber auch sagen, dass die meisten Teamchefs ein sehr schlechtes Gedächtnis haben. Es kann schon vorkommen, dass man in einer Minute ein Held ist und auf einmal wieder ganz unten. Deswegen ist so etwas immer schwer zu beantworten."

Frage: "Was erwartest Du Dir in Melbourne für ein Resultat, wenn man bedenkt, dass Minardi nicht viel testen kann?"
Jos Verstappen: "Schwer zu sagen, weil wir das Auto noch nicht gefahren sind. Natürlich werden wir aber unser Bestes geben und hoffentlich können wir so viele Punkte wie möglich sammeln, aber niemand weiß, wie viele es sein werden. Besonders für mich ist das kaum zu beantworten, weil ich 14 oder 15 Monate keinen Formel 1 mehr gefahren bin und schon gar keinen Minardi."

Punkte für Verstappen in Melbourne?

Frage: "Du schätzt Justin Wilson, Deinen Teamkollegen, sehr, aber er ist viel größer als Du und wird somit eine höhere Sitzpostion haben, nicht wahr?"
Jos Verstappen: "Nein."

Frage: "Hat er also einen anderen Sitz angepasst bekommen?"
Jos Verstappen: "Ja, er hat einen anderen Sitz und seine Pedale sind etwas weiter nach vorne gerückt, auch seine Beine an etwas anderen Positionen. Unsere beiden Fahrzeuge werden aber genau gleich sein, da gibt es keinen Unterschied."

Frage: "Das Problem mit dem Ersatzauto fällt anhand der neuen Regeln ja weg, denn früher wäre es wohl schwierig gewesen, vom einen auf den anderen Fahrer umzubauen..."
Jos Verstappen: "Stimmt, das ist jetzt bei allen Teams gleich. Kein Problem."

Frage: "Gemeinsam mit Jordan und Renault wird Minardi Gelegenheit haben, am Freitag eines Rennwochenendes zwei Stunden zusätzlich zu testen. Könnte sich das als Vorteil herausstellen ? speziell für die jüngeren Fahrer?"
Jos Verstappen: "Ich finde das gut, vor allem für die kleinen Teams. Es ist fantastisch, diese zwei Stunden zu haben, denn jetzt können wir mehr trainieren, das Auto abstimmen und vielleicht die Reifenarbeit erledigen. Wir werden viel mehr Informationen sammeln können und das müsste dem Team helfen. Allerdings bleibt abzuwarten, wie viel es im Endeffekt bringt, aber es sollte definitiv ein Vorteil sein."

Zusatztraining am Freitag "definitiv" ein Vorteil

Frage: "Wirst Du jeweils alle zwei Stunden bestreiten?"
Jos Verstappen: "Ja."

Frage: "Es ist also nicht mehr wie in den vergangenen Jahren, als die meisten Fahrer in den Boxen zuwarteten?"
Jos Verstappen: "Nein. Wir haben diese Zeit und wir werden sie sicher zu nutzen wissen."

Frage: "Hast Du schon eine Ahnung, wer während dieser beiden Stunden der dritte Minardi-Fahrer sein könnte?"
Jos Verstappen: "Auf manchen Strecken wird das variieren. Genau kenne ich die Situation in dieser Hinsicht nicht, weil ich nicht jeden Tag mit Paul spreche. Ich weiß nicht Bescheid."

Frage: "Was geschieht in der Reifenfrage? Seit Paul Stoddart Teamchef ist, war man auf Michelin unterwegs, aber es gibt Spekulationen über eine Rückkehr zu Bridgestone. Würde das einen großen Unterschied machen?"
Jos Verstappen: "Natürlich macht es einen Unterschied, welche Reifen wir verwenden werden. Paul arbeitet daran. Er weiß es im Moment selbst noch nicht, also kann ich auch dazu nicht viel verraten."

Reifenfrage bei Minardi noch nicht geklärt

Frage: "Hast du eine Präferenz?"
Jos Verstappen: "Nein. Ich denke, dass beide Reifenhersteller sehr genau wissen, was sie zu tun haben. Bridgestone hat letztes Jahr die Meisterschaft gewonnen, aber ich finde, dass auch Michelin einen sehr guten Job gemacht hat. Also nein, ich habe da keinen persönlichen Favoriten."

Frage: "Du bist jetzt über 30 und kommst noch einmal in den Sport zurück. Wie lange gibst Du Dir noch, wenn es dieses Jahr mit Minardi gut laufen sollte?"
Jos Verstappen: "Ich glaube, dass man auch mit 36 oder 37 Jahren noch fahren kann ? und hoffentlich werde ich das auch tun."