Interview: So funktioniert Renaults Qualitätskontrolle
André Lainé ist bei Renault verantwortlich für die Qualitätssicherung - Interview über die hohen Standards innerhalb eines Formel-1-Teams
(Motorsport-Total.com) - Mit Qualität kennt sich André Lainé bestens aus: Der Experte arbeitete zuvor in der Qualitätssicherung von Renault, bevor er zum Grand-Prix-Team des französischen Automobilherstellers stieß. Jetzt profitiert der Formel-1-Rennstall von seinem Erfahrungsschatz.

© Renault
Zuverlässigkeit und Qualitätssicherung sind bei Renault André Lainés Aufgabe
Licht und Schatten liegen in der technischen Welt wohl nirgends so nah beisammen wie in der Formel 1. Jeder kleinste Fehler, jede Unzulänglichkeit rächt sich vor den Augen eines Millionenpublikums und schlägt sich unverzüglich in der Punktetabelle des betroffenen Teams nieder. Perfektion zählt und ist der Schlüssel zum Erfolg - wie bei Renault, dem amtierenden Konstrukteursweltmeister. Die beeindruckende Zuverlässigkeit der französischen Werksrennwagen allerdings kommt nicht von ungefähr, sondern ist das Ergebnis einer aufwändigen und peniblen Qualitätskontrolle. Dahinter versteckt sich ein überaus komplexer Prozess, an dem zahlreiche Experten im Verborgenen mitwirken.#w1#
Renault hat eine der besten Qualitätskontrollen
Der Begriff Qualitätskontrolle umfasst dabei die Produktion von Teilen ebenso wie den Zusammenbau und die Wartung der Fahrzeuge und des Motors. Anschauliches Beispiel aus der Saison 2005: Bei den 19 Saisonläufen, die beide Renault R25 absolvierten, trat nur ein einziges Mal ein Defekt an einem der 3,0-Liter-Zehnzylinder auf - eine bemerkenswerte Erfolgsquote. Wie sehr das Grand-Prix-Team dabei von der Erfahrung der Qualitätsexperten aus der Serienfertigung profitiert, erläutert André Lainé. Der stellvertretende geschäftsführende Direktor des Motorenworkshops in Viry-Châtillon kommt selbst aus diesem Fachbereich.
Frage: "André, wie schwierig ist es, von der Serienfertigung bei Renault in das Grand-Prix-Team zu wechseln?"
André Lainé: "Es ist, als würde man von einer Welt in eine andere wechseln. Die Anforderungen, die gestellt werden, lassen sich ebenso wenig miteinander vergleichen wie die Mentalität der Mitarbeiter und die Charakteristik der Aufgaben. Dennoch gibt es eine verbindende Gemeinsamkeit: Hier wie dort geht es darum, ein Optimum anzustreben. Im Bereich der Qualitätssicherung heißt dies 'zero-defect quality', also absolute Fehlerfreiheit. Dabei lassen sich einzelne Prozesse und Lösungen, die im Bereich der Serienfertigung von Fahrzeugen erfolgreich angewendet werden, nicht einfach so auf die Formel 1 übertragen. Die Denk- und Vorgehensweise jedoch ähnelt sich sehr wohl, auch wenn die Inhalte unterschiedlich sind."
Frage: "Was ist an einem Formel-1-Motor so besonders?"
Lainé: "Die Ingenieure müssen in allen Bereichen bis an die Grenze des technisch Machbaren gehen, dürfen diesen Grat jedoch nicht überschreiten. Dies funktioniert nur dann erfolgreich, wenn dafür die modernsten Methoden, wirkungsvollsten Prozesse und ausgefeiltesten Messeinrichtungen zum Einsatz kommen. Die Formel 1 verlangt von allen Beteiligten absolute Höchstleistungen. Jeder Einzelne muss stets die richtigen Entscheidungen treffen, und dies zumeist auch noch unter einem hohen zeitlichen Druck. Ob die Entscheidungen richtig waren, zeigt sich zumeist innerhalb einer sehr kurzen Zeit. Waren sie falsch, folgt die Strafe auf dem Fuß - und auf der Rennstrecke nicht selten mit drastischen Folgen."
"In der Serienfertigung geht es nicht ganz so kurzfristig zu, denn die Konstruktion und Entwicklung von Straßenfahrzeugen ist ein viel langwierigerer Prozess. Was nicht heißen soll, dass die Qualitätssicherung dort eine einfachere Aufgabe wäre."
Frage: "Wo greift die Qualitätssicherung innerhalb eines Grand-Prix-Teams ein?"
Lainé: "Annähernd in jedem Bereich, auch wenn das Ziel in jedem einzelnen Fall immer dasselbe ist: die Qualität des Endprodukts zu optimieren. Dies beginnt bereits bei der rigorosen Kontrolle unserer insgesamt 120 Zulieferer. Diese müssen auf besonders penible Weise die an sie gestellten Anforderungen erfüllen, jedes einzelne Teil wird so aufwändig wie möglich spezifiziert. Dafür stehen wir mit diesen Partnern in einem ständigen Dialog, aus dem heraus fortlaufend auch Ideen und Verbesserungsvorschläge generiert werden. Andererseits haben wir aber auch hausintern in unserem Motorenworkshop in Viry-Châtillon Indikatoren eingeführt, anhand derer jede einzelne Abteilung individuell für sich analysieren kann, welches Qualitätsniveau sie erreicht hat und wie es weiter verbessert werden kann."
Jeder Fehler darf höchstens einmal passieren
"Ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt: die rechtzeitige und umfassende Planung. Jedem einzelnen Mitarbeiter, jeder Abteilung ist klar: Gesetzte Fristen sind innerhalb der geforderten Qualitätsstandards einzuhalten, egal wie. Durch ein umfassendes Reporting stellen wir zudem sicher, dass Erfahrungswerte und Verbesserungen nicht verloren gehen können - und dass wir jeden Fehler höchstens einmal machen, er uns aber niemals ein zweites Mal passiert. Das ist sehr, sehr wichtig - ebenso wie die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren Kollegen im britischen Enstone, wo das Chassis entsteht. Auch hier haben wir ein bemerkenswertes Niveau erreicht."
Frage: "Welche Rolle spielt der finanzielle Aufwand?"
Lainé: "Eine ganz bedeutende. Das Budget des Renault-Teams ist klar definiert und bei weitem nicht so groß wie das unserer Kontrahenten. Jeder einzelne Dollar, der uns zur Verfügung steht, dient nur einem Zweck: Wir wollen Rennen gewinnen und die WM-Titel verteidigen."
Frage: "Ist das ein Handicap?"
Lainé: "Nein, das sehe ich nicht so, ganz im Gegenteil. Die Tatsache, dass wir mit einem limitierten Budget auskommen müssen, verlangt von uns, dass wir zwischen sinnvolleren und weniger sinnvollen Investitionen unterscheiden und uns mehr auf unsere ingeniöse Intelligenz verlassen müssen. Dies führt zu einem ganz besonderen, sehr zielorientierten Denken. Wenn die finanziellen Ressourcen unbegrenzt sind, verliert man schnell die Orientierung."
Frage: "Letzte Frage: Können einzelne Mitarbeiter noch immer den entscheidenden Unterschied machen? Ist die Formel 1 nach wie vor ein Ort, wo sich der Erfolg unter Umständen auf das Genie einer Person zurückführen lässt?"
Lainé: "Ja, absolut - aber in beiden Richtungen. Wenn nur ein einzelner in seinem Job versagt und dies rennentscheidende Konsequenzen hat, müssen hunderte Kollegen für diesen Fehler mitleiden. In Viry-Châtillon herrscht ein wunderbarer Teamgeist. Viele unserer Kollegen arbeiten nun bereits seit 20 oder 30 Jahren für uns. Wir pflegen eine Kultur des offenen Meinungs- und Ideenaustausches fern aller Hierarchien. Genau hier liegt eine der absoluten Stärken des Renault-Teams begründet."

