Interview mit Red-Bull-Sportchef Helmut Marko

Helmut Marko im Gespräch über die Leistungen von Red Bull, die Besetzung der Cockpits, Zukunftsperspektiven und die Konkurrenz

(Motorsport-Total.com) - Als einziges Team hat es Red Bull Racing geschafft, in den beiden ersten Rennen der Formel-1-Saison 2005 beide Fahrzeuge in die Punkte zu bringen. Entsprechend zufrieden präsentierte sich Sportchef Helmut Marko gestern in der TV-Sendung 'Sport am Sonntag'. Das dabei aufgezeichnete Interview präsentieren wir mit freundlicher Genehmigung des 'ORF' heute bei 'F1Total.com'.

Titel-Bild zur News: Helmut Marko

Ex-Formel-1-Pilot Helmut Marko ist bei Red Bull einer der Entscheidungsträger

Frage: "Herr Marko, in welcher Funktion sind Sie bei Red Bull eigentlich tätig?"
Helmut Marko: "Im Formel-1-Team bin ich 'Director of the Board', was bei uns mit dem Aufsichtsrat vergleichbar ist. Ansonsten kümmere ich mich in erster Linie um unsere Junioren, also das Red-Bull-Juniorteam, wo wir inzwischen Talente aus der ganzen Welt haben. Im vergangenen Jahr haben sie mit 51 Siegen und sechs oder sieben Meistertiteln so ziemlich alles gewonnen."#w1#

In Großbritannien wird gearbeitet, in Österreich entschieden

Frage: "Wer trifft bei Red Bull in der Formel 1 schlussendlich die Entscheidungen?"
Marko: "Wir haben mit Christian Horner und Günther Steiner zwei Direktoren. Sie leiten das operative Geschäft. Das sind zwei ausgezeichnete Fachleute. Die Philosophie kommt aber durch Mateschitz, Bahar und mich zustande."

Frage: "Red Bull ist das einzige Team, das in beiden bisherigen Rennen beide Fahrer in die Punkte gebracht hat. Kommt das für Sie überraschend oder haben Sie damit gerechnet?"
Marko: "Nein. Mit diesen Erfolgen haben wir überhaupt nicht gerechnet. Wir waren nach den ersten Tests vorsichtig optimistisch, denn da hat sich gezeigt, dass das Auto erstens schnell ist und zweitens standfest. Das war ja eine der Schwächen von Jaguar im Vorjahr, dass sie zu viele technisch bedingte Ausfälle hatten. In diesem Jahr klappt das sowohl von der mechanischen als auch von der motorischen Seite. Cosworth wurde ja auch verkauft an einen amerikanischen Eigentümer, der selbst ein 'Racer' ist. Diese Veränderung hat bewirkt, dass vom Motor durch Cosworth und von der Elektronik durch Pi eine ganz andere Qualitätsanlieferung erfolgt."

Klien 2005 laut Marko "wie ausgewechselt"

Frage: "Sie haben Christian Klien vergangenes Jahr vorgeworfen, dass ihm die letzte Aggressivität fehlt. Hat er die in dieser Saison?"
Marko: "Das ist ein ganz anderer Christian Klien, der dieses Jahr fährt. Seit wir unser Ausscheidungssystem haben, ist er wie ausgewechselt. Es war ja nicht von vornherein klar, wer die ersten Rennen fahren würde. Liuzzi ist ein ganz charismatisches, außerordentliches Talent. Er hat die Formel-3000-Meisterschaft überlegen mit sechs oder acht Siegen, glaube ich, gewonnen. Wir selbst wussten nicht, wer denn nun besser geeignet sein würde, um die Saison zu beginnen. Innerhalb dieser Qualifikation hat sich Christian deutlich gesteigert. Das Qualifizieren ist aber nur eine Sache, die andere ist der Rennspeed. Gerade der war ja im Vorjahr bei Klien sehr unterschiedlich, denn er hatte nie einen konstanten Speed über eine gesamte Renndistanz. Erfreulicherweise hat er nun in beiden Rennen bewiesen, dass er diese Schwäche abgelegt hat."

Frage: "Er hat im Qualifying auch David Coulthard geschlagen. Dem sagt man jedoch wiederum nach, dass er ein schlechter Qualifyer ist..."
Marko: "Coulthard ist wahrscheinlich nicht der beste Qualifyer. Wenn man solche Erfolge hat, wird man natürlich auch ein wenig übermütig, denn beide Qualifyings - sowohl in Kuala Lumpur als auch in Melbourne - sind nicht optimal gelaufen. In Kuala Lumpur hatte Christian in der ersten Kurve des Samstags-Qualifyings einen Fehler, bei dem er vier Zehntelsekunden verloren hat. Ansonsten wäre er in die Region des vierten Platzes vorgestoßen. Coulthard hat in Melbourne im ersten Qualifying eine Sekunde verschenkt. Da haben wir noch Reserven."

Klien und Coulthard wollten sich am Start nicht behindern

Frage: "Der Start ist heute ein bisschen daneben gegangen. Haben Sie schon eine Erklärung dafür?"
Marko: "Der Start ist eine Sache von Tausendstelsekunden. Da muss man richtig reagieren. Ich glaube, dass sich unsere Fahrer gegenseitig auf keinen Fall behindern wollten, denn sie hatten den Auftrag, sich nicht gegenseitig ins Auto zu fahren. Vielleicht sind durch diese Rücksichtnahme zwei andere Autos vorgekommen."

Frage: "War es für Sie ein besonderer Moment, als David Coulthard und Christian Klien den Ferrari von Rubens Barrichello überholt haben?"
Marko: "Das ist etwas völlig Unglaubliches! Den Mythos Ferrari auf der Strecke, aus eigener Kraft und nicht durch irgendwelche technischen Gebrechen zu überholen, das hätte sich von uns nie und nimmer irgendjemand zu träumen gewagt."

Frage: "Wie hat Dietrich Mateschitz darauf reagiert?"
Marko: "Er hat mich sofort angerufen, ob er am Fernseher richtig sieht! Das war unglaublich und unfassbar, aber es ist wahr und es ist wunderschön."

Klien hat bisher alles richtig gemacht, muss aber weiter kämpfen

Frage: "Es heißt, dass Vitantonio Liuzzi beim ersten Europarennen das Cockpit von Christian Klien übernehmen wird. Wie fix ist das?"
Marko: "Die Teamstrategie war folgende: Nach den Tests haben wir festgelegt, dass Christian Klien die ersten drei Rennen fährt. Nach diesen ersten drei Rennen wird vom Team her eine umfangreiche Auswertung vorgenommen. Da gibt es Long-Runs, Qualifikation, viel Sprit, wenig Sprit und so weiter. Das ist ein mühsames Unterfangen, das aber relativ gute Auskünfte gibt. Dann wird beraten, was weiter geschehen soll. Man darf nicht außer Acht lassen, dass Christian zwei tolle Rennen gefahren hat, aber Liuzzi ist in Melbourne am Freitag nach zwölf Runden die schnellste Zeit gefahren. Auch in Kuala Lumpur war er wieder Drittschnellster."

Frage: "Dafür hat er sich aber auch beide Male gedreht."
Marko: "In Melbourne war es ein übermütiger und dummer Fehler, aber in Kuala Lumpur konnte er nichts dafür. Da ist am Auto etwas schief gegangen. Das war die Ursache, dass er so abgeflogen ist."

Andere Teams zeigen Interesse an Liuzzi

Frage: "Würden Sie sagen, dass Christian Klien zumindest bis jetzt sein Cockpit verteidigt hat?"
Marko: "Er hat seine Chance optimal genutzt, aber es geht nicht um das Verteidigen. Wir haben mit Coulthard einen Fahrer mit einem Jahresvertrag. Mit den zwei jungen Piloten haben wir über Optionen mehrjährige Verträge. Wir müssen in die Zukunft schauen. Für Liuzzi gibt es Interessenten von anderen Teams, aber wir wollen ihn nicht verlieren. Wenn jetzt beispielsweise Coulthard nächstes Jahr nicht mehr für uns zur Verfügung stehen würde, brauchen wir zwei Fahrer. Wenn wir Liuzzi eine Rennchance geben, wollen wir - genau wie bei Christian - sehen, wie er sich bewährt. Das ist aber keine Abwertung von Christian, sondern ein Aufbau für die Zukunft."

Frage: "Es hat nach der Verpflichtung von David Coulthard viel Kritik gegeben, aber jetzt erlebt er seinen zweiten Frühling. Hat sich sein Engagement schon bezahlt gemacht?"
Marko: "Das Engagement hat sich voll bezahlt gemacht. Bei Coulthard war nicht die Frage, einen alten und ausgelutschten Grand-Prix-Piloten zu engagieren, sondern es war die Frage, ob er noch motiviert genug ist. Er hat immerhin 13 Grands Prix gewonnen. Als er ins Team kam, lebte er richtig auf - auch nach außen hin, denn er kam unrasiert und mit Dreitagebart, was in seinem alten Team nie möglich gewesen wäre."

Coulthard hat für die gesamte Saison einen Fixplatz

Frage: "Dass er zuschauen wird und Christian Klien und Vitantonio Liuzzi fahren, ist aber nicht denkbar, oder?"
Marko: "Nein. Solange er im Rennen deutlich dominiert, was ja im Renntrimm auch in Kuala Lumpur der Fall gewesen ist, ist diese Gefahr nicht gegeben."

Frage: "Wie geht es jetzt weiter? Sind irgendwelche Weiterentwicklungen geplant?"
Marko: "Das Team macht als Gesamtheit eine wirklich ausgezeichnete Arbeit. Es ist bekannt, dass wir zirka ab Montreal oder Indianapolis eine Ausbaustufe mit ungefähr 30 PS mehr bekommen werden. Das heißt, wir müssten etwas näher an die vorderen Teams herankommen. Außerdem arbeiten natürlich auch unsere Aerodynamiker fortlaufend und auch da wird es kontinuierliche Verbesserungen geben. Wir sind optimistisch, dass wir aus eigener Kraft weiterhin in die Punkte fahren können."

Frage: "Gibt es einen Masterplan, der sagt, zu diesem oder jenem Zeitpunkt soll der WM-Titel her?"
Marko: "Wir sind unserem Masterplan schon um einiges voraus! Wir wollen aber nicht übermütig werden. Das Wichtigste ist, für die nächste Saison eine Motorenwahl zu treffen. Es gibt schon Anzeichen, dass es kräftig vorausgehen kann. Jaguar hatte einen Windkanal, der im Herbst fertig gestellt wird. Das ist ein ganz außergewöhnliches technisches Instrumentarium. Mit diesem Windkanal, der allerdings erst 2007 auf das Auto Einfluss nehmen wird, haben wir in Bezug auf die Aerodynamik den letzten Stand erreicht. Mit dem aktuellen Reglement ist die Aerodynamik das Entscheidende, also können wir optimistisch sein."

Vier Motorenhersteller stehen zur Auswahl

Frage: "Sie haben die neuen Motoren für das nächste Jahr angesprochen. Sieht es eher nach BMW oder nach Honda aus?"
Marko: "Da gibt es auch noch andere Alternativen. Unser Boss, Mateschitz, sagt, dass wir eine 'attraktive Braut' sind. Das heißt, wir wollen umworben sein und eine Partnerschaft anstreben und nicht nur gegen Geld einen Motor beziehen. Es sollte eine leistungswürdigende Kooperation sein. Es gibt ungefähr vier Hersteller, die da in Frage kommen, und es wäre für die Techniker angenehm, bis Ende April Bescheid zu wissen, weil ja die Konzeption des neuen Autos schon jetzt beginnt."

Frage: "Reden wir auch über die anderen Teams. Zweiter Sieg im zweiten Rennen für Renault - ist das bereits die Wachablöse von Ferrari?"
Marko: "Ferrari ist bekanntermaßen mit dem Vorjahresauto gefahren. Das taugt nicht mehr, um vorne mitzufahren. Aber selbst ein neuer Ferrari wird es schwer haben, mit diesen Renaults konkurrieren zu können. Alonso ist heute absolut voll gefahren, aber seine Reifen waren im Gegensatz zu denen von Toyota voll intakt. Auch vom Motor her muss alles absolut im grünen Bereich sein, denn Alonso hatte ja eine schlechte Startposition in Melbourne und ist dann sicher mit voller Motorleistung gefahren. Heute ist er wieder allen auf und davon gefahren, also hat Renault nicht nur optimale PS, sondern auch optimale Standfestigkeit mit Reserven. Dieses Renault-Team zu schlagen, wird dieses Jahr ganz schwierig."

Fisichella für Marko an der Kollision mit Webber schuld

Frage: "Wie sehen Sie die Schuldfrage in der heutigen Kollision zwischen Giancarlo Fisichella und Mark Webber?"
Marko: "Fisichella hat zu spät gebremst und hatte dann das Auto nicht mehr unter Kontrolle. Dadurch ist er in den völlig unschuldigen Mark Webber hineingeschlittert."

Frage: "Wie beurteilen Sie die Performance des BMW WilliamsF1 Teams?"
Marko: "Aufsteigend. Die waren heute deutlich besser als in Melbourne, aber bei weitem noch nicht so gut, dass sie an der Spitze mitfahren könnten."

Frage: "Patrick Friesacher ist heute in der dritten Runde ausgeschieden. Er hat sich auf Öl gedreht. Wie beurteilen Sie seine Leistung bisher?"
Marko: "Sein Qualifying in Kuala Lumpur war sehr gut. Er hatte den Teamkollegen eindeutig im Griff. Das ist eigentlich das, was zählt, denn die Minardis sind so weit weg vom Fenster, dass sie nur innerhalb ihres Teams betrachtet werden können. Schade, dass Patrick nicht weiter gekommen ist, denn für ihn wäre natürlich jeder Kilometer wichtig, um weitere Erfahrungen zu sammeln."

Über Friesacher: "Ein sehr zielstrebiger junger Mann"

Frage: "Er gehörte auch einmal zum Red-Bull-Kader. Warum ist er eigentlich ausgemustert worden?"
Marko: "Ausgemustert ist nicht der richtige Ausdruck. Wir hatten eine andere Strategie für ihn, wollten ihn nach Japan schicken, wo es eine sehr starke Formel-3000-Meisterschaft gibt. Patrick wollte aber lieber in Europa bleiben. Umso erfreulicher, dass er es geschafft hat, und wir gratulieren ihm dazu. Er ist ein sehr zielstrebiger junger Mann und er hat es aus eigener Kraft bis in die Formel 1 geschafft."

Frage: "Warum fährt Red Bull in der Formel 1 eigentlich mit britischer Lizenz und nicht mit österreichischer?"
Marko: "Das ist in erster Linie eine firmenpolitische und steuerpolitische Angelegenheit."