• 16.03.2012 11:58

  • von Dieter Rencken

Hülkenberg: "Für Q3 müssen wir uns strecken"

Warum Nico Hülkenberg auf die Euphoriebremse drückt, welche Emotion er bei der Rückkehr ins Renncockpit hat und wie er Adrian Sutils Scicksal kommentiert

(Motorsport-Total.com/SID) - Nico Hülkenberg trumpfte im zweiten Training in Melbourne mit der zweitbesten Zeit hinter Michael Schumacher auf - insgesamt kam er auf den guten achten Platz. Die starke Performance kombiniert mit den guten Wintertests sorgt dafür, dass man im Fahrerlager Force India eine Überraschung zutraut. Hülkenberg drückt im Interview auf die Euphoriebremse und erklärt, welche Gefühle er bei der Rückkehr ins Renncockpit hat und wie er zum Schicksal von Vorgänger Adrian Sutil steht.

Titel-Bild zur News: Nico Hülkenberg

Nico Hülkenberg will den ersten Trainingstag nicht überbewerten

Frage: "Nico, wie fühlst du dich nach dem ersten Tag?"
Nico Hülkenberg: "Ganz gut. Das war natürlich kein einfacher Tag. Normalerweise ist es ja trocken, und man macht sein Programm und fährt seine Runden. Heute war alles ein bisschen gemischt - durch den dicken Schauer vor dem zweiten Freien Training. Es war dadurch ein bisschen schwieriger, man versucht aber dennoch, das Beste draus zu machen."

"Ich habe das Auto heute erstmals nach längerer Zeit wieder im Nassen gespürt, auf Full Wets und Intermediates, was mit Sicherheit auch nicht schlecht war. Ich bin so viel wie möglich gefahren, um mich wieder an die Strecke zu gewöhnen. Melbourne ist doch eine ziemlich schwere Strecke, die auch sehr technisch ist und wo man viel Erfahrung braucht. Erfahrung ist hier sehr hilfreich."

"Die letzten 15 Minuten war ich mit den weichen Reifen glaube ich sehr gut unterwegs - das Auto hat sich sehr gut angefühlt. Ich glaube aber, dass man realistisch und auf dem Boden bleiben muss - der zweite Platz ist etwas, wovon wir träumen, was aber glaube ich nicht realistisch ist. Unser Anspruch und unsere Erwartungen liegen glaube ich woanders."

Frage: "Wo liegen die?"
Hülkenberg: "Das ist immer noch schwer zu sagen. Wir versuchen natürlich, in Q3 vorzudringen - mal schauen, ob uns das gelingt. Das ist glaube ich möglich, aber dafür müssen wir uns strecken."

Frage: "Haben sich die Regenreifen und die Intermediates im Vergleich zum Vorjahr verändert?"
Hülkenberg: "Ich bin letztes Jahr nicht gefahren."


Fotos: Force India, Großer Preis von Australien


Frage: "Auch am Freitag nicht bei Regen?"
Hülkenberg: "In Spa glaube ich - aber nur ein Run. Ich bin auf jeden Fall zu wenig gefahren, um einen Vergleich ziehen zu können."

Frage: "Bei den Tests hatte man den Eindruck, dass du für eine Überraschung sorgen könntest."
Hülkenberg: "Ich glaube, ich muss da ein bisschen auf die Euphoriebremse steigen. Die Mehrheit war heute auf harten, manche Piloten waren auf weichen Reifen unterwegs. Wenn man sich die Rundenzeiten ansieht, dann fällt auf, dass viele Piloten mit viel Sprit an Bord fuhren. Das ist also kein fairer Vergleich. Es ist immer schön, in einem Training im Bereich der Spitze zu liegen, aber gleichzeitig müssen wir realistisch bleiben."

Nico Hülkenberg

Nico Hülkenberg war am ersten Trainingstag schnell unterwegs Zoom

"So weit sind wir noch nicht. Natürlich werden wir es versuchen und so hart wie möglich pushen. Aber es gibt viele andere Teams da draußen, die gut aussehen. Ich bin nicht sicher, ob wir wirklich überraschen werden. Ich spüre das Auto, und es fühlt sich gut an. Es gibt keine Dramen, und die Fahrbarkeit ist gut, auch die Balance scheint zu passen. Ich bin aber noch nicht wirklich sicher, wie gut unsere Performance ist."

Frage: "Ist es bei diesen Bedingungen möglich, sich ordentlich auf das Rennen vorzubereiten?"
Hülkenberg: "Du hast die Bedingungen auch gesehen - es war nass. Wir rechnen aber mit einem trockenen Samstag und einem trockenen Sonntag. Die Runs bei trockenen Bedingungen waren aber heute sehr limitiert - 15 Minuten am Ende des zweiten und eine halbe Stunde am Ende des ersten Trainings. Die Daten sind im Vergleich zu dem, was wir sonst haben, schwer einzuschätzen."

"Der ganze Gummi wurde durch den Regen wieder weggespült. Einige Kurven waren feucht, vor allem Kurve 5. Die Strecke wird dann natürlich immer schneller, weil im Endeffekt 24 Autos unterwegs waren. Es ist also ganz normal, dass die Zeiten immer besser werden. Aber alle sind im selben Boot, weil die Bedingungen das Testprogramm verzögern."

"Obwohl man glaubt, dass es in den letzten 15 Minuten am besten ist, gab es immer noch ein paar nasse Kurven. Wir sammeln noch Erfahrungen mit den Reifen, mit dem Setup - zudem fehlt mir hier noch Routine."

Frage: "Kann es sein, dass ihr durch die Bedingungen überraschen könntet, weil alle derzeit verloren sind, selbst wenn es morgen am Vormittag trocken sein sollte?"
Hülkenberg: "Es ist schwieriger. Man ist nicht so gut vorbereitet wie mit zwei trockenen Trainings. Da spult man sein Programm ab, fährt die Longruns auf beiden Mischungen, fährt mit wenig Sprit. Da weiß einfach ziemlich genau, was dich erwartet und wo du stehst. Vielleicht hilft das einigen Leuten, anderen könnte es schaden."

Frage: "Würdest du sagen, dass Melbourne eine Fahrerstrecke ist?"
Hülkenberg: "Jede Strecke ist eine Fahrerstrecke."

Das heißersehnte Comeback als Rennfahrer

Frage: "Was ist es für ein Gefühl, zu wissen, dass man auch morgen noch in Auto sitzt und wieder ein richtiger Rennfahrer ist?"
Hülkenberg: "Ein sehr schönes Gefühl. Darüber bin ich sehr glücklich. Die ganze Gemütslage, die Perspektive ist das komplette Gegenteil. 2011 wusste ich, dass mich ein Jahr erwartet, das zäh wird, das wehtun und mir nicht gefallen wird. In diesem Jahr ist alles anders. Ich habe das, was ich wollte, und zwar ein Renncockpit, und die Chance, mich weiter zu beweisen."

Frage: "Vermisst du deinen Job als TV-Experte?"
Hülkenberg: "Auf eine gewisse Art und Weise vermisse ich ihn. Aber es gibt natürlich nichts besseres als selber zu fahren."

Frage: "Wieviel Spaß macht es mit dieser anderen Perspektive, in einem Rennauto zu sitzen?"
Hülkenberg: "Sehr viel Spaß. Ein Formel-1-Auto fahren zu dürfen, ist eh ein Privileg. Ich bin dankbar für diese Chance. Es ist einfach so, wenn man sein Leben lang danach strebt, Formel 1 fahren zu wollen, und das dann verliert, weiß man das vielleicht ein bisschen mehr zu schätzen. Wenn man es dann wieder hat, ist man sehr glücklich darüber."

Frage: "Gehst du mit dieser Erfahrung jetzt anders an die Dinge heran? Hast du irgendetwas verändert?"
Hülkenberg: "Es hat sich schon ein bisschen was verändert, einfach dadurch, dass ich jetzt erfahrener bin. Ich hatte die Saison 2010 als aktiver Rennfahrer erlebt, die Saison 2011 als Ersatzfahrer, war aber trotzdem bei allen Rennen dabei. Das sind natürlich Erfahrungen, die ich mitgenommen habe. Auch wenn ich 2011 im Auto nicht viel gelernt habe, habe ich mich weiterentwickelt, Sachen herausgepickt, die für mich gut sind, Dinge angepasst oder modifiziert."

"Um in einem Formel-1-Auto gut zu fahren, braucht man viele Kilometer und Erfahrung." Nico Hülkenberg

Frage: "Was zum Beispiel?"
Hülkenberg: "Das fängt bei ganz simplen Sachen wie der Vorbereitung mit den Ingenieuren an. Um in einem Formel-1-Auto gut zu fahren, braucht man viele Kilometer und Erfahrung. Je mehr man davon hat, desto einfacher ist es, Leistung aus dem Auto oder aus dem Team herauszuholen. Es ist einfach so, dass man mit Erfahrung in der Formel 1 einiges wettmachen kann."

Frage: "Wenn man viele Kilometer braucht, wie ärgerlich war es dann, dass Ihr geplanter Testeinstieg in Jerez ausfiel, weil Ersatzpilot Jules Bianchi vorher das Auto beschädigt hatte?"
Hülkenberg: "Sehr ärgerlich natürlich. Aber das liegt hinter uns. Ich kann das auch nachvollziehen, ich habe solche Dinger selber geritten, als ich 2008 und 2009 bei Williams Testfahrer war. So etwas passiert. Klar war das schlechtes Timing und nicht ideal, aber Jules hat das sicher nicht mit Absicht gemacht. Die 30, 40 Runden, die ich an dem Tag verloren habe, werden am Ende nicht über Sieg oder Niederlage entscheiden."

Hülkenbergs Ziele

Frage: "Wie waren die ersten Eindrücke vom neuen Auto?"
Hülkenberg: "Sehr gut. In Jerez war es am Anfang ein bisschen schwierig nach der langen Zeit ohne Fahren am ersten Tag wieder reinzukommen. Aber von Stunde zu Stunde wird das Fahrgefühl besser, die Harmonie zwischen mir und dem Auto. Das ist wie ein Schuh, den man einlaufen muss. Das wird immer komfortabler."

Frage: "Was hast du dir für diese Saison vorgenommen?"
Hülkenberg: "Spaß zu haben, die Formel 1 zu genießen. Ich mache jetzt wieder das, was ich mein Leben lang tun wollte: Formel-1-Rennen fahren. Deshalb steht an erster Stelle, das zu genießen. Natürlich will man auch den Erfolg, aber es ist schwer, das jetzt in Zahlen zu fassen. Das Team hat vorgegeben, Fünfter in der Konstrukteurs-WM werden zu wollen. Das setzt zwangläufig gute Ergebnisse voraus, und das wäre natürlich auch schön für mich."

Frage: "Das könnte dann ja auch einen Top-10-Platz für dich in der Fahrer-WM bedeuten..."
Hülkenberg: "Das stimmt. Aber ob das wirklich möglich ist, dafür habe ich im Moment noch kein Gefühl. Da ist es noch zu früh im Jahr. Für mich steht noch an erster Stelle, mich in der Formel 1 über die nächsten Jahre zu etablieren. Ich will jetzt erstmal die ersten paar Rennen fahren und das meiste aus mir und dem Auto herausholen."

"Es ist schade und hart zu sehen, wie grausam der Sport sein kann." Nico Hülkenberg

Frage: "Fühlst du ein bisschen mit Adrian Sutil mit, dessen Cockpit du übernommen hast und der jetzt ungefähr in der Situation ist, in der du ein Jahr zuvor warst?"
Hülkenberg: "Es ist schade und hart zu sehen, wie grausam der Sport sein kann. Adrian ist im letzten Jahr eine super Saison gefahren. Wenn so jemand dann trotz einer Super-Leistung am Ende ohne Cockpit dasteht, ist das traurig. Ob das fair ist oder nicht, darüber kann man ewig debattieren, da wird jeder seine eigene Meinung haben. Mir ist es 2010 ja auch widerfahren. Von daher kenne ich die Situation sehr gut. Natürlich ist das bitter."

Freundschaft unter Teamkollegen?

Frage: "Wie ist dein Verhältnis zum Teamkollegen Paul di Resta?"
Hülkenberg: "Sehr gut. Wir verstehen uns und haben auch über den Winter gut zusammengearbeitet. Wir haben regelmäßig Telefonkontakt, was sich beim Team so tut, was er im Simulator gemacht hat, was ich im Simulator gemacht habe."

Frage: "Kann man mit einem Teamkollegen befreundet sein? Oder ist da immer ein gewisser Grad Rivalität?"
Hülkenberg: "Das hängt sehr von den beiden Personen ab, ob die das zulassen, ob sie Rennstrecke und Privates gut trennen können oder nicht. In der Theorie würde ich das nicht ausschließen, in der Praxis ist es eher ungewöhnlich. Aber so etwas muss sich entwickeln."

Frage: "Würdest du gerne mit Sebastian Vettel oder Michael Schumacher tauschen? Zum einen, was das Auto betrifft, zum anderen aber auch in Bezug auf mehr Interesse an dir, mehr Öffentlichkeitsarbeit?"
Hülkenberg: "Was das Sportliche angeht: Das Top-Auto zu haben, würde sich jeder hier wünschen, keine Frage. Aber das andere nicht. Ich fühle mich sehr wohl in meiner Haut. Force India ist noch ein sehr junges Team und wächst ständig."

"Paul und ich verstehen uns und haben auch über den Winter gut zusammengearbeitet." Nico Hülkenberg

"Zwischen Ende 2010, Anfang 2011, als ich die ersten Male in Silverstone in der Fabrik war, und heute sind 20, 30 Leute mehr dazugekommen. Die wollen wachsen, sich verbessern, sind hungrig und motiviert. Von daher bin ich jetzt nicht neidisch oder möchte unbedingt in Sebastians Haut stecken. Ich möchte mir das lieber selber erarbeiten."

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