• 23.07.2010 22:26

  • von Roman Wittemeier & Dieter Rencken

Hockenheim: Wo bleiben die deutschen Fans?

Sechs deutsche Piloten, Comeback von Michael Schumacher, echte Mercedes-Silberpfeile - trotzdem geht Hockenheim mit nur 65.000 Fans am Krückstock

(Motorsport-Total.com) - Was muss eigentlich noch passieren, damit die deutschen Formel-1-Fans wieder zum jährlichen Grand Prix in Hockenheim oder am Nürburgring gehen? Die Zuschauerzahlen sind weit weg von Rekordwerten des Jahres 2002. Dabei wird den Fans mit gleich sechs deutschen Startern, der Rückkehr von Michael Schumacher, dem Auftritt des Mercedes-Werksteams und einem Sebastian Vettel im WM-Kampf ein echter Leckerbissen geboten.

Titel-Bild zur News: Vitantonio Liuzzi

Der Hockenheimring wird die Formel 1 bis mindestens 2018 begrüßen

Die Fans bleiben trotzdem fern. In Hockenheim überspringt man gerade einmal die wichtige Hürde von 62.000 Zuschauern, um wenigstens kostendeckend arbeiten zu können. "Im Moment müssten wir bei etwa 63.000 oder 64.000 Tickets liegen. Nun hängt es davon ab, was an den Tageskassen noch passiert. Ich hoffe sehr, dass wir die Marke von 65.000 übertreffen werden", sagt Hockenheim-Geschäftsführer Karl-Josef Schmidt im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'.#w1#

Wenigstens ist die Talfahrt gestoppt

"2004 hatten wir letztmals schwarze Zahlen. In den zwei Jahren davor haben wir gute Gewinne eingefahren. Aber danach gingen die Zuschauerzahlen zurück und die Kosten stiegen gleichzeitig an. Dann ging es in die Verlustzone", erklärt der Finanzmann die Talfahrt. "Wir rechnen mit einer scharzen Null. Und das geht auch nur wegen des neuen Vertrages mit Bernie Ecclestone. Sonst wäre wieder ein Verlust von sechs bis neun Millionen Euro fällig. Das wäre das Ende der Firma."

Spricht Schmidt in diesem Zusammenhang von einer ersehnten "scharzen Null" somit ist damit wirklich nur kostendeckendes Arbeiten am Grand-Prix-Wochenende gemeint. Nötige Einkünfte zur Tilgung der hohen Verbindlichkeiten nach dem teuren Umbau der Strecke sind damit nicht verbucht. Der Zirkus kann mit einem Schnitt von 62.000 Fans bezahlt werden - nicht mehr, nicht weniger.

Auf diesem Wege können erst recht keine Rücklagen geschaffen werden. Sollten der FIA also plötzlich die Sicherheitsstandards am Hockenheimring nicht mehr ausreichen, müsste man sich für nötige Baumaßnahmen erneut teures Geld leihen. "Das könnte vielleicht dann ein Problem werden", sagt Schmidt zum Tanz auf der Rasierklinge.

Karl-Josef Schmidt Hockenheim Geschäftsführer

Karl-Josef Schmidt rätselt, warum die deutschen Fans nicht zahlreicher kommen Zoom

"Aber wir pflegen seit vielen Jahren ein gutes Verhältnis zur FIA. Wir können also bestimmt einschätzen, was da auf uns zukommen könnte und dann entsprechende Maßnahmen ergreifen", malt der Hockenheim-Geschäftsführer ein weiches Bild von einer möglicherweise harten Nuss. "Man möchte schon hier und dort Verbesserungen von uns, aber das können wir im finanziellen Rahmen halten."

Für Verbesserungen ist kein Geld da

Eine neue Asphaltdecke sei zwar derzeit nicht drin, aber für die Zukunft im Businessplan der Rennstrecke verzeichnet. Klartext: erfolgreiche Veranstaltungen wie beispielsweise die DTM müssen der Formel 1 den Boden bereiten. Auch wenn man mit der Königsklasse kaum Geld verdienen kann, so will Hockenheim auf jeden Fall langfristig als Gastgeber parat stehen.

Der aktuelle Vertrag mit Bernie Ecclestone läuft bis 2018. "Aber wir sehen die Formel 1 hier für die Ewigkeit", stellt Schmidt klar. "Wir haben hier seit 40 Jahren eine Formel-1-Strecke und das soll noch mindestens 40 weitere Jahre so bleiben", lacht der 58-Jährige. Wenn es nach dem anerkannten Finanzexperten geht, dann soll Hockenheim bald wieder an die glorreichen Zeiten anschließen, in denen Mann mit der Formel 1 noch Geld verdienen konnte.

Grundlage für eine Verbesserung der Einnahmenseite wären höhere Zuschauerzahlen. Doch diese stagnieren - wenigstens hat man den Negativtrend in den vergangenen Jahren stoppen können. Von großartigem Aufschwung ist allerdings nichts zu spüren. Eigentlich kurios, denn Deutschland hat sechs aktuelle Formel-1-Piloten, gilt als Autonation, hat eine sportbegeisterte Bevölkerung und enormes Potenzial bezüglich solcher Veranstaltungen.

Michael Schumacher

Auch die Rückkehr von Michael Schumacher brachte keinen neuen Schub Zoom

Ein Vergleich: In Silverstone sind die Tribünen seit Jahren ausverkauft. Über 300.000 Fans waren vor zwei Wochen am Grand-Prix-Wochenende an der Traditionsstrecke, allein am Rennsonntag zählte man 115.000 Zuschauer. Über solche Zahlen würde man in Hockenheim dermaßen laut jubeln, sodass die Freude bis Hamburg-Altona zu hören wäre. Aber warum kommen die deutschen Fans nicht?

Was läuft bei den Briten anders?

"Ich kann da auch keine plausible Erklärung liefern", sagt Schmidt kopfschüttelnd. Ein Erklärungsversuch: "Vielleicht gibt es in Deutschland ein breiteres Angebot und Interesse an Sportveranstaltungen, vielleicht verteilt es sich mehr? Ich weiß es wirklich nicht. Es wäre schön, wenn mir jemand den Clou verraten könnte. An den Eintrittspreisen kann es kaum liegen, denn die Briten nehmen das gleiche."

Der Vergleich mit Großbritannien wird anhand zweier anderer Faktoren noch drastischer: Mit Jenson Button und Lewis Hamilton sind in Silverstone nur zwei Lokalhelden an den Start gegangen (in Deutschland sechs), England hat 50 Millionen Einwohner (Deutschland über 80 Millionen). Hinzu kommen Argumente, die eigentlich für einen deutschen Zuschauerboom sprechen müssten: Schumachers Comeback, Mercedes als Werksteam, Vettel als Titelfavorit.

Dennoch werden es wohl nur 65.000 Fans am Sonntag. "2002 hatten wir hier über 90.000 Zuschauer, danach ging es über 83.000 und 76.000 nur noch bergab", berichtet Schmidt. "Wir haben uns davon nicht erholen können. Unsere Kollegen am Nürburgring hatten im vergangenen Jahr nicht einmal 50.000 zahlende Gäste." Wenigstens leichte Signale der Besserung gibt es. In Hockenheim wurden mehr Karten verkauft als 2008, außerdem wurde kein einziges Ticket im Angebot verschachert. "Alle Entrittskarten gingen zum Normalpreis weg", so der Hockenheim-Manager.

"Unsere Kollegen am Nürburgring hatten im vergangenen Jahr nicht einmal 50.000 zahlende Gäste." Karl-Josef Schmidt

Für die Verantwortlichen der baden-württembergischen Rennstrecke könnte das Konzept der alternierenden Rennen mit dem Nürburgring zum Bumerang werden. Beide Betriebsgesellschaften haben sich durch Umbauten enorme Kosten aufgeladen, die nun auch über die Formel-1-Auftritte refinanziert werden müssen. "In Hockenheim wurde der Kurs 2002 auf dem Grund umgestaltet, weil man damit gerade die Formel 1 langfristig halten wollte", erklärt Schmidt.

Sinneswandel am Nürburgring?

Steigende Zuschauerzahlen und eine jährliche Austragung des Grand Prix in Hockenheim könnten helfen. "Uns fragt ja niemand, ob wir vielleicht jedes Jahr wollen", so der Geschäftsmann vielsagend. "Wir müssen jetzt mal abwarten, welche Strategie die neuen Verantwortlichen am Nürburgring verfolgen. Vielleicht ändert sich dort etwas in der Hinsicht, dass man Motorsport nur noch als einen Teil des Business betrachtet. Bisher gibt es aber von uns keine konkreten Pläne, deren Rennen zu übernehmen."

Es sei allerdings ohnehin fraglich, ob sich die Formel-1-Fans vom Nürburgring tatsächlich zum Grand Prix nach Hockenheim begeben würden. "Wir machen Marktforschung. Und die zeigt uns, dass Deutschland da gepalten ist. Alle unterhalb der Main-Linie kommen nach Hockenheim, alle oberhalb der Main-Linie gehen in die Eifel", sagt Schmidt und beschreibt damit den deutschen Formel-1-Schlamassel. Halten Bequemlichkeit und hohe Preise die Fans fern?

¿pbvin|512|2950||0|1pb¿Unter den aktuellen Verhältnissen droht Hockenheim in ein paar Jahren der gleiche morbide Charme, den Silverstone lange Zeit ausgemacht hat. Vielleicht könnte genau dies ein Erfolgsrezept werden. Vielleicht wollen die Fans keine Prachtbauten wie in Abu Dhabi, keine perfekten Asphaltbänder ohne Bodenwellen und knifflige Stellen - lieber schmierige Pommesbude als Prosecco-Pavillon.

"Eigentlich müssten wir etwas an unserer Infrastruktur machen, aber es fehlt am nötigen Kleingeld", sagt Schmidt. "Wir haben eben das Problem, dass wir im Gegensatz zu den meisten anderen Formel-1-Austragungsorten keinerlei Unterstützung von Bund oder Land bekommen. Die Kollegen am Nürburgring konnten dagegen aus einem goldenen Topf schöpfen. Das ist ungerecht. Wir können hier wirklich nur die nötigsten Dinge erledigen. 10.000 Zuschauer mehr würden uns gewaltig helfen." Aber woher sollen die kommen?