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  • 16.06.2010 12:41

  • von Pete Fink

Leute mit Biz: Schmidt und der Hockenheimring

Auch mit 58 Jahren kann man als Quereinsteiger im Formel-1-Geschäft noch viele Bäume ausreißen - Karl-Josef Schmidt ist dafür ein perfektes Beispiel

(Motorsport-Total.com) - "Die Formel 1 ist alle zwei Wochen für zwei Stunden Sport, aber dazwischen knallhartes Business", hat der große Frank Williams einmal gesagt. Für 'Motorsport-Total.com' Grund genug, eine Artikelserie ins Leben zu rufen, die sich mit dem Businessaspekt des Motorsports beschäftigt. In unregelmäßigen Abständen stellen wir eine Persönlichkeit vor, die sich im Motorsportbusiness durchgesetzt hat und mit Biss an ihre Sache herangeht - "Leute mit Biz" eben. Heute in der 23. Edition: Quereinsteiger Karl-Josef Schmidt, der sich als kaufmännischer Geschäftsführer der Hockenheimring GmbH schnell einen sehr guten Namen gemacht hat.

Titel-Bild zur News:

Finanzexperte Karl-Josef Schmidt muss die Hockenheimring GmbH sanieren

Bis Juni 2006 hat der damals 58-jährige Finanzexperte Schmidt den Motorsport nur als Randsportart begriffen. Der studierte Jurist und bekennende Eintracht-Frankfurt-Fan konnte zu diesem Zeitpunkt auf ein - wie er es selbst gerne formuliert - "buntes Berufsleben" zurückblicken. Zuletzt war er als Finanzvorstand der Heidelberger SRH Learnlife AG tätig. "Aber auch mit 58 Jahren war ich durchaus bereit für etwas ganz Neues, wenn mir etwas Interessantes über den Weg läuft." Und genauso sollte es kommen.#w1#

Aufgrund seiner guten Beziehungen wusste Schmidt, dass sich der Hockenheimring auf der Suche nach einem kaufmännischen Geschäftsführer befand. Damals war die Hockenheimring GmbH in einer "sehr schwierigen und ziemlich verworrenen Situation. Sie suchten einen Branchenfremden, mit viel Lebens- und Berufserfahrung." Einen, dem man es zutrauen konnte, das angeschlagene Hockenheim-Schiff zusammen mit dem langjährigen Geschäftsführer Georg Seiler wieder auf Kurs zu bringen.

Die Verhandlungen liefen natürlich unter der Beteiligung von Hockenheims Oberbürgermeister Dieter Gummer, denn die GmbH gehört zu 94 Prozent der Gemeinde. Schmidt erinnert sich: "Es war ja kein Geheimnis, dass es dem Hockenheimring wirtschaftlich nicht gut ging. Viele Leute in meinem Umfeld verstanden meinen Entschluss nicht. Sie sagten: 'Sag' mal liest du keine Zeitung? Weißt du nicht, was mit dem Hockenheimring gerade passiert? Womöglich sind die nächstes Jahr pleite!' Aber ich habe mir die Zahlen angesehen und gedacht: Das geht!"

Tiefrote Zahlen seit 2002

Noch etwas war neu für den Ex-Finanzvorstand: "Eigentlich ist die Hockenheimring GmbH ein kleines Unternehmen mit nur 65 Festangestellten und einigen hundert freien Mitarbeitern. Dieser kleine Kern und die große Zahl an Freien entsprechen aber unserem Geschäftsmodell. Wir können schließlich nicht alle für nur zwei oder drei große Veranstaltungen in der Saison das gesamte Jahr über beschäftigen."

Der Umbau 2002 verschlang alleine 65 Millionen Euro Zoom

Schmidts Aufgabenstellung war klar: Der neue kaufmännische Geschäftsführer sollte die Hockenheimring GmbH aus den tiefroten Zahlen führen. "Natürlich ist der Hockenheimring viel mehr als nur die Formel 1. Aber der Grund, warum es der GmbH wirtschaftlich so schlecht ging, hat mit dem Thema Formel 1 zu tun." Die Zahlen liegen auf dem Tisch: 2002 musste die Strecke für 65 Millionen Euro umgebaut werden, um weiterhin als Formel-1-tauglich zu gelten.

Dieser Betrag musste zum Großteil über Fremdkapital finanziert werden. Pro Jahr fallen also 1,8 Millionen Euro an Zinsen an. Parallel erlebte Hockenheim einen massiven Zuschauerrückgang. 2002 kamen 92.000 Menschen, es blieb ein Plus von 6,5 Millionen als Deckungsbeitrag übrig. 2008, mit nur noch 62.000 Zuschauern, machte das Formel-1-Rennen einen Verlust von 5,3 Millionen Euro.

"Die Sache ist dramatisch gekippt, da ging sehr schnell eine große Schere auf", weiß Schmidt. Eine durchaus zweischneidige Schere, denn auf der anderen Seite fallen "zwischen acht und neun Millionen Euro an Steuereinnahmen nur durch die Formel 1 an." Nun kam die GmbH unter Zeitdruck, denn sollte sich an den Rahmenbedingungen nichts ändern, dann rechnete Hockenheim für 2010 mit einem Verlust von etwa sechs Millionen Euro.

Die langen Diskussionen mit der Öffentlichen Hand

Ein erster Anlaufpunkt war die Politik. "Mit seinen 21.000 Einwohnern ist Hockenheim ein größeres Dorf. Wir konkurrieren zum Beispiel mit Valencia, wo man einen ganzen Hafen wegen der Formel 1 umgebaut hat. Alle Formel-1-Rennstrecken werden von der öffentlichen Hand subventioniert. Das betrifft nicht nur Singapur oder Abu Dhabi, sondern auch die Kollegen in der Eifel. Überall ist es der Öffentlichen Hand also wert, Geld in die Rennstrecke zu stecken. Und das gab uns das moralische Argument, gleiches auch in Baden-Württemberg zu versuchen."

Karl-Josef Schmidt Hockenheim Geschäftsführer

Karl-Josef Schmidt weiß jetzt: Die Politik wird Hockenheim nicht helfen Zoom

Ein langwieriger und Kräfte zehrender Prozess, der schließlich in einer definitiven Absage des Landes mündete. Schmidt: "Für mich ist die Fähigkeit der Politik faszinierend, keine Entscheidung zu treffen. Hätte man uns das alles zwei Jahre früher gesagt, dann wäre uns vieles erspart geblieben." Schlimmer noch: "Wir sind nach den Gesprächen mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Günter Oettinger davon ausgegangen, dass wir eine Zusage über 1,8 Millionen Euro haben. Das ist zwar nirgends schriftlich festgehalten, aber jeder normale Mensch hätte es so verstanden."

Sozusagen ein Handschlagsvertrag, der nach sich ändernden politischen Rahmenbedingungen plötzlich nichts mehr wert war. "Dann begann ein Spiel: Einer sagte, wenn die nichts zahlen, dann steuern auch wir nichts bei. Kurz gesagt lautete das Ergebnis: Wir bekommen von der Öffentlichen Hand nichts, wir müssen unsere Probleme selber lösen."

Ecclestone und Aspirin

Teil zwei des Hockenheim-Rettungsplanes bestand in der Person Bernie Ecclestone, denn die eigentliche Wurzel des Problems lag im alten Formel-1-Vertrag. Schmidt erläutert: "Das wirtschaftliche Gewicht der Formel 1 ist im Fall Hockenheim genauso groß wie der gesamte Rest. In einem Jahr ohne Formel 1 machen wir etwa 16 Millionen Umsatz, in einem Jahr mit Formel 1 sind es 32 Millionen."

Bernie Ecclestone

Bernie Ecclestone trug sein Scherflein zum Erhalt der Formel 1 bei Zoom

Sein anschauliches Beispiel für die Ausgangssituation lautet nun: "Nehmen Sie einen Arzneimittelhersteller. Der hat hundert Produkte im Angebot und ein Aspirin. Aspirin macht aber 50 Prozent des gesamten Umsatzes aus. Wenn es nun diesem Produkt schlecht geht, dann geht es der ganzen Firma schlecht."

Die Konsequenz: "Wir können in allen anderen Dingen so gut sein wie wir wollen. Wenn es der Formel 1 schlecht geht, dann geht es auch der Hockenheimring GmbH schlecht. Und die anderen Veranstaltungen laufen ja gut und liefern auch hervorragende Deckungsbeiträge." Soll heißen: Die erzielten Umsätze anderer Veranstaltungen können zu einem positiven Geschäftsergebnis beitragen. Die Formel 1 zuletzt nicht.

Der Hintergrund dafür war "die eigenartige Struktur des alten Vertrages. Es ist ein Kaufvertrag. Wir kaufen die Formel 1 ein und bezahlen dafür einen Kaufpreis, die berühmte Fee. Dieser Kaufpreis stieg Jahr für Jahr um zehn Prozent und als einzige Refinanzierungsquelle blieben uns nur die Ticketverkäufe." Der Zuschauerrückgang ist bekannt, die Altlasten des Umbaus - Zinsen und Abschreibungen - taten ihr Übriges.

Die wichtige schwarze Null

Eine schwierige Situation. "Seit Dezember 2008 haben wir mit Bernie Ecclestone über einen neuen Vertrag verhandelt. Er hätte sich auch auf den Standpunkt stellen können, dass ihm unsere Situation egal sein kann. Aber er hat sehr viel Kooperation gezeigt." Am 6. Oktober 2009 wurde ein neuer Vertrag unterzeichnet: "Die Fee ist angepasst worden, die Einnahmen stehen nun gleich den Ausgaben." Schmidt formuliert es mit der berühmten "schwarzen Null."

Bernie Ecclestone Karl-Josef Schmidt

Ecclestone und Schmidt trafen sich insgesamt sechs Mal zu Verhandlungen Zoom

"Ecclestone ist uns sehr entgegen gekommen. Er hat uns mehrfach erklärt, dass der Hockenheimring seit 1970 ein verlässlicher Partner ist, mit dem er im wahrsten Sinne des Wortes gut gefahren ist. Der Mann ist keineswegs so, wie er oft in der Presse dargestellt wird. Er hat Emotionen und er hat diese Emotionen zugunsten von Hockenheim eingesetzt. Nach dem Motto: Ich lasse jemanden, der 40 Jahre lang mein Weggefährte war, nicht einfach fallen."

Schmidt hat aus den sechs Verhandlungsrunden mit Ecclestone also "ein sehr positives Bild mitgenommen. Er ist ein Unternehmer alten Schlages. Er kommt immer allein, ohne Laptop, ohne Taschenrechner. Er braucht keine Power-Point-Präsentation oder Juristen. Und er kommt immer sofort zum Punkt, Details interessieren ihn nicht, nur die Eckpfeiler."

Ein Schmusetyp sei der Brite aber keineswegs. "Er weiß was er tut, er kann ja auf ein grandioses Lebenswerk verweisen. Ecclestone hat es nur nicht verstanden, warum innerhalb der Bundesrepublik Deutschland in zwei unterschiedlichen Bundesländern so unterschiedlich gewirtschaftet werden kann. Das war für uns in den Verhandlungen ein Thema, bei dem wir allergrößte Probleme hatten, das glaubwürdig darzustellen. Zumal er es ja gewohnt ist, dass die Formel 1 auf der ganzen Welt bezuschusst wird." Sein Beispiel: "Nachdem wir unseren neuen Vertrag abgeschlossen hatten, sagte er noch leicht ironisch zu mir: Da habe ich jetzt ein schlechtes Geschäft gemacht."

Formel 1 jetzt haltbar

"Er hat uns in unseren Gesprächen aber auch klar gesagt, dass wir doch einmal mit Angela Merkel selbst reden sollten. Auch das muss man verstehen: Wenn Ecclestone in Malaysia, Bahrain oder Abu Dhabi verhandelt, dann spricht er ja nicht mit irgendeinem kleinen Rennstreckenbetreiber, sondern direkt mit der Staatsregierung. Er hätte uns auch hängen lassen können, aber der Unternehmer Ecclestone hat das nicht getan. Er ist eben nicht der klassische Managertyp. Bei ihm reicht ein Handschlag."

Hockenheimring

Das beste Gegenmittel sind immer noch volle Formel-1-Tribünen Zoom

Unter dem Strich hat das Verhandlungstriumvirat Seiler, Gummer und Schmidt also eine Situation hergestellt, in der "wir die Formel 1 in Hockenheim halten können, wenn wir damit ein Null-Ergebnis erzielen. Wir sind damit auch sehr zufrieden. Aber wir hatten immer einberechnet, dass wir aus anderer Stelle etwas dazu bekommen." Eben die 1,8 Millionen Euro der Öffentlichen Hand.

Denn noch ist das Firmenergebnis insgesamt im Minus: "Vor Abschreibungen und Zinsen beträgt unser Gewinn 2,3 Millionen Euro. Weil wir aber drei Millionen Abschreibungen und 1,8 Millionen Zinslast haben, fällt unser Geschäftsergebnis unter dem Strich negativ aus." Ein Hoffnungsträger dieser augenblicklichen Situation heißt Michael Schumacher und dessen Formel-1-Comeback. Oder doch nicht?

"Schumi" muss aufs Podium

"Wir haben den Schumacher-Effekt überschätzt", muss Schmidt heute feststellen. "Wir sind ernüchtert. Als Schumacher am 23.12.2009 sein Comeback bekannt gab, hat uns ein Tsunami überrannt. Bei uns brach eine Welle herein, die wir gar nicht bewältigen konnten. Es war eigentlich ein Tote-Hose-Tag und wir hatten nur einen Mann im Ticketing. Zwei weitere Leute haben wir ganz kurzfristig aus dem Urlaub geholt. Bei den Kartenverkäufen beobachteten wir bis Ende Januar auch ein hohes Niveau, aber dann ist es allmählich abgeflaut, sodass wir heute auf einem Niveau sind, wie wir es auch ohne Schumacher erwartet hätten."

Michael Schumacher

Schmidts größter Wunsch: Ein erfolgreicher Michael Schumacher Zoom

Seine Analyse lautet: "Ich vermute, dass viele Leute, die sowieso gekommen wären, ihre Karten sofort bestellt haben. Wir haben also einen Vorzieheffekt erlebt." Trotzdem kann Schmidt sagen, dass die Marke aus dem Jahr 2008 mit 62.000 Zuschauern sicher gehalten wird, denn derzeit sind etwa 57.000 Karten verkauft. "Schumi müsste jetzt mal auf das Podium fahren", hofft der Finanzexperte. "Dann könnte es noch einen Schub geben."

Oder gibt es andere Gründe? Ein großer Kritikpunkt der Fans sind die hohen Eintrittspreise. "Die Wahrheit ist: Wir müssen diese Preise nehmen, weil wir sonst das Produkt Formel 1 nicht bezahlen können. Auch ich hätte gerne niedrigere Preise. Aber Ecclestone bekommt auf der ganzen Welt, und in jeder Hinsicht die Preise, die er will. Und da liegt Hockenheim wahrlich nicht an der Spitze, ganz im Gegenteil. Es gibt für die Formel 1 weltweit ganz einfach mehr Nachfrage als Angebot - und dann gehen die Preise eben hoch." Doch eines ist nicht zu übersehen: Quereinsteiger Schmidt hat Motorsport-Blut geleckt: "Es macht richtig Spaß und mir sind auch schon einige Erfolge gelungen. Was ja auch von mir erwartet wurde."

Karl-Josef Schmidt im Kreuzverhör:

Geburtsdatum: 11. März 1948

Geburtsort: Frankfurt am Main

Wohnhaft in: Frankfurt am Main

Familienstand: Verheiratet

Erstes Fahrzeug: Opel Kadett

Aktuelles Fahrzeug: Mercedes ML 350 Diesel

Erlernter Beruf: Volljurist

Im Motorsport involviert seit: Oktober 2006

Größter beruflicher Erfolg: Im Motorsport die Finanzierungskonsolidierung des Hockenheimrings und die Neuverhandlung des Formel-1-Vertrages zusammen mit dem Geschäftsführerkollegen Seiler und Oberbürgermeister Gummer

Größtes berufliches Ziel: Den Hockenheimring unter dem Strich in die schwarzen Zahlen zu bringen

Lieblingsfahrer und -team in der Formel 1: Dazu äußere ich mich besser nicht öffentlich

Online oder Print? Beruflich Online, privat Print

Business- oder Economy-Class? Economy

Boulevard oder Feuilleton? Feuilleton

Festgeld oder Optionsschein? Festgeld

T-Shirt oder Sakko? Sakko

Opernball oder Oktoberfest? Weder noch

Arbeit oder Hobby? Sowohl als auch

Lebensmotto: Matthäus 10/16: "Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben"

Lieblingslektüre: Lyrik, Anthologien, Sachbücher zum Thema Naturwissenschaft und Religion

Person, die ich am meisten bewundere: Meine Frau

Person, mit der ich mal auf ein Bier gehen möchte: Notker Wolf, der Abtprimas der Benediktiner

Geld bedeutet für mich... ein Mittel zum Lebensunterhalt

Motorsport fasziniert mich, weil ...er auf eine noch sehr ursprüngliche und nicht weichgespülte Weise emotional und leidenschaftlich ist