• 11.05.2014 09:49

  • von Dieter Rencken, Sven Haidinger & Stefan Ziegler

Hembery: Die Fans verstehen und unterhalten - aber wie?

Pirelli-Sportchef Paul Hembery über die Zukunft der Formel 1, die Attraktivität für die Fans und ein Geschäft, das er vor allem der Unterhaltungsbranche zurechnet

(Motorsport-Total.com) - Etwas ohnehin Gutes noch besser machen. Das ist die Aufgabe der Verantwortlichen der Formel 1. Doch das ist alles andere als eine einfache Aufgabe. Und so stellt sich Pirelli-Sportchef Paul Hembery am Rande des Europa-Auftakts der Formel 1 die Frage, wie der Sport für die Zukunft aufgestellt werden könnte. Was sind die neuen Kernthemen? Was interessiert die Fans? Und wie kann man sie begeistern?

Titel-Bild zur News: Paul Hembery

Pirelli-Sportchef Paul Hembery fragt sich, wie die Formel 1 interessanter werden kann Zoom

"Das ist eine große Frage", meint Hembery in seiner Medienrunde in Barcelona. Doch er hat ein Rezept, wie er sich den Antworten darauf nähern will: "Das Erste, was man in der Wirtschaft machen muss, ist, deinen Kunden zu verstehen. Meiner Meinung nach besteht bei einem Sport wie der Formel 1 die Gefahr, dass man Reglements und Ideen erfindet, ohne wirklich zu verstehen, was der Kunde erwartet."

Und deshalb schlägt Hembery eine "umfassende Untersuchung" vor, um zu erörtern, was der Kunde, also die Fans und Zuschauer vor Ort und vor dem Fernseher vom Produkt Motorsport erwarten. "Hat man das einmal herausgefunden, dann kann man den Prozess von der anderen Seite beginnen", sagt Hembery und merkt an: "Derzeit riskiert man aber, das Pferd von der falschen Seite her aufzuzäumen."

Auf der Suche nach dem "Problem"

Der Pirelli-Sportchef erklärt: "Man sucht Lösungen für ein Problem, obwohl man eigentlich gar nicht weiß, was das Problem ist. Im Fokus muss die Erwartung der Öffentlichkeit stehen. Wir müssen die Fans bedienen", so Hembery. Doch dabei handele es sich um eine Art "bewegliches Ziel", wie er sagt. "Man muss sich eben auch dessen bewusst sein, dass sich die Welt und das Publikum verändert."

Diese Wandlung gehe in beiden Fällen auf "dramatische" Art und Weise voran. Hembery erklärt: "Die Vielfalt wird immer größer, die Auswahlmöglichkeiten werden immer größer, wenn es darum geht, was man am Sonntagnachmittag macht. Früher hatte man gerade mal zwei Sportsender, plötzlich gibt es hunderte. Und egal, wo man sich auf der Welt befindet, kann man Sport konsumieren", meint er.

Und damit, so Hembery weiter, sei das "Grundproblem" gefunden: "Jede Sportart leidet offenbar unter der Tatsache, dass die Leute mehr Auswahl haben. Das ist das eine. Das andere ist, dass die Leute immer weniger Fernsehen schauen. Die Verwendung von TV-Geräten in den Haushalten sinkt dieser Tage dramatisch, speziell bei den Unter-30-Jährigen." Das liege auch an der Technologie-Nutzung.


Fotostrecke: Fahrer über Barcelona: Balanceakt zum Euro-Auftakt

Dem Publikum gerecht werden

"Die Leute schauen ihre Filme oder andere Unterhaltungsprogramme am Computer an, weniger auf Tablets oder Handys, weil die Bildschirme zu klein sind. Das sind die Dinge, die sich in unserer Welt verändern. Und das betrifft auch das Geschäft. Bevor man also etwas ändert, muss man wissen, was eigentlich das Ziel ist. Wie sieht die Welt in der Zukunft aus? Das wissen die Leute aus der TV-Industrie."

"Sie wissen, was das Publikum konsumiert, und sie modifizieren ihre Produkte genau so, um dem Publikum gerecht zu werden. Darauf müssen wir derzeit einen Schwerpunkt legen, bevor wir etwas ändern", sagt Hembery und verweist auf sein Unternehmen, für das die Formel 1 weiterhin eine interessante Plattform darstellt. "Die Frage aber ist: Was machen wir, wenn wir nicht hier sind?"

"Wir würden einfach gern wissen, was der Sport insgesamt für die Zukunft plant", erklärt der Pirelli-Sportchef am Rande des Spanien-Grand-Prix. "Wir sehen uns immer das gesamte Jahr an, bevor wir alle drei oder vier Jahre die Situation neu bewerten." Im Dreijahres-Rhythmus, so lange dauert der Pirelli-Vertrag in der Formel 1 an, entscheide man dann, welchen Kurs man verfolgen werde.

Muss die Formel 1 "wilder" werden?

Momentan ist das ein zweigleisiger, denn Pirelli engagiert sich auch im Motorrad-Sport, der in vielerlei Hinsicht als Vorbild für die Formel 1 dienen könnte, meint Hembery. "In der Formel 1 besteht das Risiko, dass jeder den Sport kritisieren will. Kritik zu üben, ist sehr populär geworden, obwohl viele Sportarten sehr viel von der Formel 1 lernen könnten." Doch auch die Formel 1 könne etwas lernen.

"Die Schlüsselfrage für mich ist wirklich: Wollen wir eine WWF-Version (WWF für Wrestling; Anm. d. Red.) der Formel 1 oder eine Technologie-WM? Das ist der Grund, warum Reality-TV-Sendungen nach wie vor populär sind, obwohl die meisten Leute sagen, dass sie sterbenslangweilig sind. Trotzdem haben sie die besten Zuschauerzahlen. Es gibt also Gründe, warum die Leute dieses Produkt mögen."

"Diese Formate funktionieren heutzutage, und es muss einen Grund geben, warum die Öffentlichkeit das gut findet. Wir befinden uns eben auch im Unterhaltungs-Geschäft, auch wenn das die Leute nur ungern hören", sagt Hembery. Ein Geschäft, das für einen Materialausrüster auch gewisse Risiken birgt. Man denke nur an die zahlreichen Reifenschäden aus der vergangenen Formel-1-Saison.


Fotos: Großer Preis von Spanien


Was ist der Abstrahl-Effekt von Pannen?

Wie groß die Auswirkungen davon auf das Pirelli-Gesamt-Unternehmen waren? Hembery winkt ab: Diese "isolierten Fälle", wie er es nennt, seien kaum ins Gewicht gefallen. "Es gab vielmehr allgemein positive Auswirkungen, was die Verkaufszahlen angeht", meint er. "Diese Situationen kommen vor, wenn die Leute nicht verstanden haben, woran sie beteiligt sind. Und genau damit muss sich der Sport auseinandersetzen."

"Am Ende kommt man davon, weil man vielleicht nur getan hat, worum einen der Sport gebeten hat - und zwar, Interesse und Spannung zu wecken. Und deswegen müssen alle Bereiche des Sports beteiligt sein, wenn es darum geht, was wir erreichen wollen. Wir befinden uns nicht im Wettkampf mit jemandem - zumindest nicht wir bei Pirelli. Wir wollten doch nur das liefern, was die Leute haben wollten."

"Wenn man uns darum bittet, dass es keine Boxenstopps gibt, dann wird es keine Stopps geben", so der Pirelli-Sportchef. Er fügt hinzu: "Wir können viele Dinge machen, wenn man uns darum bittet, etwas zu tun. Ich bin sicher, dass die Hersteller auch gewisse Anforderungen an den Sport haben, aber in einem anderen Bereich. Auch sie wollen gute Quoten, aber auch sie müssen ihre Technologie zeigen."

"Es gibt also viele Aspekte", sagt Hembery abschließend und kommt nach langer Rede zu einem kurzen Sinn: "Wenn wir wollen, dass der Sport Aufmerksamkeit erregt, dann müssen wir eben ein Produkt liefern, das die aktuelle Öffentlichkeit interessiert." Und das in einem immer größer werdenden Wettbewerbs-Umfeld mit immer noch mehr Entertainment und medialen Einflüssen.