Haug: "Keine Deutschen auf dem Markt"
Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug über die Ausgangslage vor der Saison, die Gründe für die Fahrerwahl und die Ungerechtigkeiten in der Formel 1
(Motorsport-Total.com/sid) - Frage: "Wie hat sich McLaren-Mercedes auf die Saison vorbereitet und wie schätzt sich das Team von der Leistung im Vergleich zur Konkurrenz ein?"
Norbert Haug: "Wir haben ausgiebig getestet und mit zwei Testautos an 19 Testtagen mehr als 14.000 Kilometer zurückgelegt. Wir waren dabei von Anfang an zuverlässig und haben unsere Rundenzeiten fortgesetzt verbessert."

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Norbert Haug und Mercedes sind hoch motiviert für diese Saison
Frage: "Wird es in dieser Saison wieder zum Zweikampf zwischen Ferrari und McLaren-Mercedes kommen oder können noch andere Teams bei der Titelvergabe ein Wort mitsprechen?"
Haug: "Schwer zu sagen. Ich habe bei den Testfahrten den Eindruck bekommen, dass das ganze Feld dichter zusammengerückt ist. Sicher besitzen weder Ferrari noch McLaren-Mercedes ein Abonnement auf den WM-Titel, auch wenn die Entscheidung im vergangenen Jahr ausschließlich zwischen diesen beiden Teams ausgetragen wurde."#w1#
Positiver Druck auf Hamilton
Frage: "Lewis Hamilton gilt als WM-Favorit. Wie groß ist der Druck für ihn?"
Haug: "Wäre er ohne Druck, wäre er kein Titelkandidat. Lewis hat in seinem ersten Formel-1-Jahr viel mehr erreicht als für einen Neuling üblich ist und letztlich einen Punkt weniger als Weltmeister Kimi Räikkönen geholt. Unser Druck ist hausgemacht und somit rundum positiv."
Frage: "Können rassistische Beleidigungen wie gegen Ihren Fahrer Lewis Hamilton bei Testfahrten in Barcelona in der Formel 1 zum Problem werden?"
Haug: "Das waren keine Fans. Die Formel 1 wird solche Abscheulichkeiten sicher nicht zulassen. Man muss von vornherein verhindern, dass so etwas nochmal passieren kann. Breite Berichterstattung schafft nur ein unnützes Forum für ein verurteilenswürdiges Verhalten."
Spionage und die Folgen
Frage: "Haben die Probleme mit der FIA und der enttäuschende Ausgang der vergangenen Saison die Moral des Teams bei den Vorbereitungen beeinflusst?"
Haug: "Keineswegs. Wir alle sind nur noch motivierter und haben extra hart gearbeitet."
Frage: "Was hat das Team getan, dass ein Spionage-Fall in Zukunft auszuschließen ist?"
Haug: "Wir haben keinen Gebrauch von irgendwelchen Kenntnissen gemacht, die ein Ferrari- und ein McLaren-Mitarbeiter ausgetauscht haben. Beide wollten laut eigenen Aussagen mit diesen Kenntnissen zu einem anderen Team wechseln. Unser Partner McLaren wurde sehr hart bestraft, und damit ist ein Strich unter dem Thema gezogen worden. Das sollte nun spätestens vor der neuen Saison auch respektiert werden."
Wird Mercedes-Einfluss größer?
Frage: "Wie fest ist die Partnerschaft zwischen McLaren und Mercedes, und hat sich der Einfluss von Mercedes im Team vergrößert?"
Haug: "Mercedes hatte und hat immer den notwendigen Einfluss, auch bei der Fahrerverpflichtung. Wir arbeiten als voll integriertes Team so erfolgreich, wie dies keine andere Partnerschaft in der Formel 1 der letzten 13 Jahre, seit unserer Zusammenarbeit mit McLaren, geschafft hat."
Frage: "Mercedes hält derzeit 40 Prozent an dem Team. Angeblich soll dieser Anteil demnächst aufgestockt werden. Was ist da dran?"
Haug: "Natürlich überprüfen wir routinemäßig unsere Aufstellung in all unseren Aktivitäten, also auch im Motorsport. Ob daraus der Kauf von mehr Anteilen resultiert, ist indes offen. Unsere heutige Aufstellung ist jedenfalls gut genug, um unsere sportlichen Ziele erreichen zu können - auch wenn wir zweimal in den letzten drei Jahren ziemlich knapp an den Titelgewinnen vorbeigeschrammt sind."
Sportsgeist statt Bevorzugung
Frage: "Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Lewis Hamilton und dem neuen Fahrer Heikki Kovalainen?"
Haug: "Gut. Beide kennen sich seit ihrer Zeit in den Kart-Nachwuchsklassen. Beide respektieren sich."
Frage: "Hält McLaren-Mercedes nach den negativen Erfahrungen mit Fernando Alonso am Prinzip der Gleichbehandlung der Fahrer fest?"
Haug: "Es gibt keine andere Wahl. Die Bevorzugung eines Fahrers würde unserem Sportsgeist widersprechen, würde einen Fahrer von vornherein benachteiligen, wäre Betrug am Zuschauer und ist für unsere Einschätzung auch keineswegs FIA-kompatibel. Wie kann die Teamorder verboten sein, wenn die Bevorzugung eines Fahrers erlaubt ist?"
Wann kommt ein Deutscher in den Silberpfeil?
Frage: "Es waren auch deutsche Fahrer auf dem Markt, doch Sie haben sich für einen Finnen entschieden. Warum?"
Haug: "Es waren keine deutschen Fahrer auf dem Markt für die wir Interesse hatten. Es ist bekannt, dass es zu mehr als einem deutschen Fahrer Kontakt und mit diesem sowie seinem Management und Team auch Gespräche gab. Diese deutschen Fahrer standen mit Heikki Kovalainen auf unserer Liste. Heikki ist unser Wunschpilot. Wir haben ihn für so talentiert wie seine deutschen Alternativen eingeschätzt, diese waren aber für dieses Mal nicht verfügbar. Vielleicht aber nächstes Mal."
Frage: "Also könnte schon nächstes Jahr ein Deutscher für McLaren-Mercedes fahren ..."
Haug: "Ich verstehe, dass sich deutsche Formel-1-Betrachter einen deutschen Fahrer im Silberpfeil wünschen. Irgendwann werden wir diesen auch haben. Keiner wird uns aber bis dahin vorwerfen, dass wir Lewis Hamilton in unserem Nachwuchssystem über zehn Jahre bis zur Spitze entwickelt haben. Hätte ein Deutscher mit diesem Potenzial auf sich aufmerksam gemacht, hätten wir ihn gefördert. Mercedes hat sich enorm für Lewis stark gemacht und die Hälfte seiner Ausbildung vom Kart- zum Formel-1-Fahrer bezahlt."
Frage: "Warum war Ralf Schumacher kein Kandidat für ein Formel-1-Cockpit bei McLaren-Mercedes?"
Haug: "Wir haben das nicht diskutiert, aber ich schließe nicht aus, dass Ralf noch das Zeug hat, mit dem richtigen Auto auch in der Formel 1 erfolgreich zu sein. Er selbst hat mich mit seinem Willen, sich in der DTM zu messen, überzeugt. Er weiß, dass er dort von hinten anfangen muss, im Vergleich zur Formel 1 nur kleines Geld verdient. Doch die DTM ist keine Kaffeefahrt, sondern der denkbar härteste Motorsport auf höchst kompetitivem Niveau."
Umgang mit Kritik
Frage: "Ihr Team hat Titel und Rennen gewonnen, wird aber oftmals schon bei Kleinigkeiten schwer kritisiert. Ist die Formel-1-Welt ungerecht?"
Haug: "Wir grinsen immer, wenn wir sagen, sie ist hart und zum Ausgleich dafür ungerecht. Mercedes wird ja schon bei Platz drei kritisiert und nicht wie andere gelobt. Wir sind in der Formel 1 auch schon über den grünen Klee gelobt worden."
Frage: "Ist ein Formel-1-Engagement sinnvoll, wenn das Image eines Teams so stark vom sportlichen Erfolg abhängt?"
Haug: "Absolut. Wir waren 2007 die Imagesieger bei Umfragen. Wir waren mit Abstand das meistgesehene Team im internationalen Fernsehen, unsere Präsenz war also gut, die Resultate auch - zum krönenden Abschluss fehlt letztlich leider der alles entscheidende Punkt."

