• 03.11.2008 20:44

  • von Britta Weddige

Hamiltons Gedanken: "Wow, du bist Weltmeister!"

Ein strahlender Lewis Hamilton gab heute Einblicke in sein Gefühlsleben und blickte zurück auf "die härtesten zwei Runden meiner ganzen Karriere"

(Motorsport-Total.com) - Strahlend und trotz einer langen Partynacht erstaunlich fit präsentierte sich der neue Weltmeister Lewis Hamilton heute im Hilton-Hotel in Sao Paulo den Journalisten. "Ich habe heute Nacht nicht getrunken, ich hatte nur ein paar Gläser Champagner, ansonsten habe ich vor allem Wasser getrunken", verriet er den - nach diversen Saisonabschlussparties mehr verkaterten - Journalisten, warum er so frisch und ausgeschlafen ist.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton und McLaren

Lewis Hamilton wird allmählich bewusst, dass er nun tatsächlich Weltmeister ist

Alkohol hat der neue Champion gar nicht gebraucht, um die Nacht nach dem Triumph zu genießen: "Am frühen Morgen saß ich so da, als 'We are the champions' von Queen gespielt wurde. Ich habe alle meine Teammitglieder gesehen, meine Mechaniker, meine Ingenieure, die Catering-Laute, die Chefs, meinen Vater - alle waren so happy! Ich bin einfach nur dagesessen und habe das alles in mich aufgesogen. Dieses Gefühl kann man nicht in Worte fassen - zu sehen, wie glücklich man alle gemacht hat, wie hart sie gearbeitet haben und wie zufrieden sie nun sind. Es war sehr schön, das zu sehen. Danach bin ich aufgestanden und ins Bett gegangen."#w1#

Der Gedanke, Weltmeister zu sein, fühle sich "großartig" an, strahlte Hamilton. "Ich glaube, ich habe das noch gar nicht realisiert. Ich bin heute Morgen aufgewacht, entspannt, zufrieden und voller Energie. Ich habe mich wirklich fit gefühlt, und seitdem kommt mir immer wieder der Gedanke: wow, du bist Weltmeister! Ich hätte in Millionen Jahren nicht gedacht, dass ich das schaffen würde. Ich habe davon geträumt und vielleicht fühlt es sich deshalb noch wie ein Traum an. Deshalb kommt es mir immer wieder in den Kopf, wie um mir zu zeigen, dass es Realität ist. Es ist ein großartiges Gefühl."

"Ich habe davon geträumt und vielleicht fühlt es sich deshalb noch wie ein Traum an." Lewis Hamilton

Beinahe wäre der große Traum aber erneut geplatzt. Hamilton räumte ein, dass er im Rennen zwischenzeitlich schon dachte, wieder alles verloren zu haben. Plötzlich war Sebastian Vettel vor ihm und er war nur noch Sechster. "Die ganze Situation war mir vollkommen bewusst", bekannte Hamilton. "Das ganze Rennen über wusste ich nicht sicher, ob Felipe Massa in Führung ist - ich habe nur angenommen, dass er es ist. Ich habe nicht per Funk nachgefragt, weil ich mich nur auf meine Aufgabe konzentriert habe. Und die lautete, mindestens Fünfter zu werden."

Nervenaufreibende letzte Runden

Als Hamilton auf Rang vier lag, hat er nur noch versucht, "das Auto heimzubringen, vorsichtig zu schalten, die Reifen zu schonen und alles zu kontrollieren." Das sei in der Schlussphase des Rennens gar nicht so einfach gewesen, da er viel Benzin an Bord hatte. Da der McLaren teilweise einen hohen Reifenabrieb hat, versuchte er so zu fahren, dass er seine Pneus trotz der hohen Benzinmenge schonen konnte.

"Die letzten beiden Runden waren die härtesten meiner ganzen Karriere." Lewis Hamilton

Hamilton konnte auch Vettel hinter sich halten, doch dann kam der Regen: "Wir haben die Reifen gewechselt, aber ich hatte weniger Downforce als andere. Wir waren zwar auf den Geraden die Schnellsten, aber für Regen war das nicht perfekt. Ich habe alles versucht, ihn hinter mir zu halten. Die letzten beiden Runden waren die härtesten meiner ganzen Karriere. Nachdem ich den Platz an ihn verloren hatte, konnte ich nichts mehr tun." Hamilton war plötzlich nur noch Sechster, denn vor Vettel und ihm war auch noch Timo Glock, der nicht zum Reifenwechsel gefahren war. Der Titel war somit erst einmal dahin.

"Ich habe wie wahnsinnig gepusht, um wieder an Vettel heranzukommen, ich habe mehr riskiert", schilderte Hamilton die verrückten letzten Kilometer. "Ich bin keine unnötigen Risiken eingegangen, aber ich wusste, dass ich auf P6 lag. Ich wusste, dass ich einen Punkt vom Titel entfernt lag. Als ich die letzte Runde begann, wusste ich, dass ich den Titel noch nicht gewonnen habe. Ich habe nur gedacht: Ich muss ihn mir wieder schnappen. Du hast da keine Zeit, die Konzentration zu verlieren oder zu denken 'er ist verloren, er ist verloren'. Du darfst nur darüber nachdenken, wie du ihn dir wieder schnappst. Wo verliere ich Zeit? Du musst schnell denken, weil du nur noch zwei Runden hast."


Fotos: Lewis Hamilton, Großer Preis von Brasilien


Und so hat Hamilton auf den letzten Kilometern versucht zu analysieren, wo er Zeit verliert. Und er setzte sich allmählich doch mit dem Gedanken auseinander, dass der Titel weg sein könnte: "Mein Auto hat sich nicht gerade toll angefühlt, deshalb habe ich versucht es zu schonen und gleichzeitig das Letzte aus ihm herauszuquetschen. Ich war nah dran, aber es waren nur noch ein paar Kurven übrig und das war zu wenig. Ich hatte keine Hinterreifen mehr, deshalb kam ich nicht mehr an Vettel heran."

"Ich hatte erwartet, dass das Team brüllt 'juhu, du hast die Meisterschaft gewonnen!' Aber das haben sie nicht!" Lewis Hamilton

Doch dann wendete sich das Schicksal wieder: "In Kurve zehn hat mir das Team gesagt, dass Timo Glock direkt vor mir ist", berichtete Hamilton. "Er sei auf Trockenreifen und habe Probleme. Man sagte mir: 'Wenn du ihn überholen könntest, wäre es großartig! Ich wusste nicht, ob ich nah genug dran war und es waren ja nur noch zwei Kurven übrig. Ich kam durch Kurve elf und sah, wie Vettel an ihm vorbeiging. Timo war gerade dabei, in die Kurve einzulenken und ich bin nach innen geschossen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich entspannt und dachte, dass ich es geschafft habe. Ich hatte erwartet, dass das Team brüllt 'juhu, du hast die Meisterschaft gewonnen!' Aber das haben sie nicht! Für eine Sekunde bin ich dann wirklich in Panik verfallen."

Als er über die Ziellinie kam, wusste Hamilton aber Bescheid: "Da war ich emotionaler als je zuvor. Danach kamen die Medien, ich bin zu meiner Familie, meinem Team und habe mit ihnen gefeiert. Es war irgendwie komisch, denn wir hatten nur unser Soll zu erfüllen. Wir sind angetreten, um auf einem bestimmten Platz anzukommen. Für einen Rennfahrer ist es hart zu akzeptieren, dass er an diesem Wochenende nicht gewinnen wird. Aber wir wollten den größeren Gewinn. Es war anstrengend. Da war so viel los."

"Jetzt habe ich die Nummer eins auf meinem Auto, und das ist das Coolste überhaupt!" Lewis Hamilton

"Es hat mich schon im vergangenen Jahr sehr angestrengt, aber dieses Mal noch mehr", berichtete Hamilton über die Minuten im Parc Fermé. "Da war so viel los. Die Leute haben links und rechts an mir gezerrt. Ich wollte doch einfach nur den Moment genießen. Und das tue ich jetzt. Es ist großartig. Ich bin heute Morgen richtig erholt aufgewacht."

Und zu all der Freude und Erleichterung kommt bei Hamilton noch ein ganz anderer Gedanke: "Ich muss nicht mehr mit der Nummer 22 auf dem Auto fahren! Jetzt habe ich die Nummer eins auf meinem Auto, und das ist das Coolste überhaupt!"