• 13.10.2011 17:25

  • von Dieter Rencken

Hamilton: "Ich bin selbst mein größter Kritiker"

Trotz der schwierigen Phase glaubt Lewis Hamilton an seine Fähigkeiten - Im Interview nimmt der McLaren-Pilot Stellung über seine aktuelle Situation

(Motorsport-Total.com) - Bei Lewis Hamilton ist es in den vergangenen Wochen nicht optimal gelaufen. Auf der einen Seite ist ihm sein McLaren-Teamkollege Jenson Button um die Ohren gefahren, auf der anderen gab es wieder kleine Zwischenfälle, die gute Resultate kosteten. Der Brite selbst meint, dass es das schwierigste Jahr seiner Karriere ist. Das Auto ist aber konkurrenzfähig, wie die Leistung in Suzuka unterstrichen hat. Das gibt Hamilton Auftrieb für die restlichen Rennen. Im Interview nimmt der Weltmeister von 2008 Stellung zu seiner aktuellen Situation.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Lewis Hamilton stand in den letzten Wochen im Kreuzfeuer der Kritik

Frage: "Blicken wir noch einmal kurz nach Suzuka zurück. Hattest du einen Plattfuß, oder wie stark hat sich das Reifenproblem behindert?"
Lewis Hamilton: "Das hat das Rennen sicher beeinträchtigt. Im Rennen dachte ich, dass ich einen Plattfuss hatte. Als ich auf die R130 zugefahren bin, dachte ich mir, dass ich sie nicht voll nehmen werde. In der Kurve davor hatte ich starkes Übersteuern, deshalb hat mich dort auch Jenson überholt. Meine Reifen waren stark verschlissen. Ich bin vom Gas gegangen und verlor sehr viel Zeit."

"Es stellte sich schließlich heraus, dass ich keinen Reifenschaden hatte. Es war einfach nur extrem starker Reifenverschleiß. Wir hatten eine sehr steife Abstimmung. Das hatten Tests im Simulator ergeben, aber es war die falsche Richtung. Zu bestimmten Rennabschnitten war unser Tempo gut. Jenson konnte gewinnen, was natürlich fantastisch war. Hoffentlich sind wir hier wieder konkurrenzfähig und haben eine Chance."

Frage: "Wäre das Rennen anders verlaufen, wenn du im Qualifying deinen zweiten Versuch hättest fahren können?"
Hamilton: "Ich glaube nicht. Ich wäre in der ersten Startreihe gestanden. Vielleicht auch auf der Pole-Position. Ich glaube, wir hatten das Tempo für die Pole-Position. Unser Auto war sehr steif. Das war nicht die beste Abstimmung für das Rennen und die Reifen. Wer weiß, ob ich an der Spitze ohne Luftturbulenzen besser gefahren wäre und die Reifen nicht so stark verschlissen hätte. Das sind nur Hypothesen und zählen nicht."

Frage: "Wie nahe seid ihr an Red Bull dran?"
Hamilton: "Unser Auto ist sehr nahe dran. Dass Jenson sie auf einer Strecke geschlagen hat, auf der der aerodynamische Anpressdruck entscheidend ist, zeigt das Tempo. Ich bin mir nicht sicher, ob Sebastian beim letzten Rennen voll angegriffen hat, weil er das nicht musste. Wir waren sehr konkurrenzfähig und werden es auch hier sein."

Auf Augenhöhe mit Red Bull?"

Frage: "Es hatte in Suzuka den Anschein, dass McLaren schneller als Red Bull war."
Hamilton: "Sie standen auf der Pole-Position. Ich würde nicht sagen, dass wir besser waren. Sie haben noch mehr Abtrieb als wir. Wir konnten aber mit ihnen kämpfen. Unser Motor ist stärker und vielleicht haben wir beim Auspuff mehr herausgeholt. Die Flügel sind bei uns gut. Ich glaube, wir kommen näher und können mit ihnen kämpfen. Es wird sich aber zeigen, ob das in jedem Rennen der Fall ist. Sie waren auf jeder Strecke schnell. Bei uns waren es Höhen und Tiefen. Wir müssen deshalb die Charakteristik unseres Autos verbessern."

Frage: "Wie ist die Situation im Team? Musst du für Jenson fahren?"
Hamilton: "Ich wurde vom Team nie darum gebeten für Jenson zu fahren. Ich fahre für mich und das Team. Ich habe viele Punkte für die Konstrukteurs-WM gesammelt. Natürlich hätten es in den letzten fünf Rennen mehr sein können. Es war ein schwieriges Jahr. Das Team unterstützt mich weiterhin. Wir wollen wieder nach vorne."

"Ich habe die Autos schon immer überfahren." Lewis Hamilton

Frage: "Jenson war jetzt fünf Rennen in Folge auf dem Podium. Du hattest dagegen zu kämpfen."
Hamilton: "Es geht nicht nur um die Reifen, sondern auch um das Fahren und was in deinem Kopf abläuft. Es ist eine Kombination vieler Dinge. Ich habe den Job nicht auf die Reihe gebracht. Der Reifenverschleiß ist im Rennen natürlich ein großes Thema. Wenn man das Auto mehr für das Qualifying abgestimmt hat, wird man mehr kämpfen. Das war bei uns aber nicht das Problem. In Spa-Francorchamps war ich auf Platz zwei und hätte es auf das Podium schaffen können. In Ungarn lag ich auf Platz eins als ich mich gedreht hatte. Es waren menschliche Fehler. Man kann nichts daran ändern, sondern nur daraus lernen."

Schwierige Situation

Frage: "Was sagst du über die Saison von Jenson?"
Hamilton: "Er hat ein fantastisches Jahr. Er und seine Ingenieure haben einen super Job gemacht. Sie haben gute Entscheidungen getroffen und Jenson ist weltklasse gefahren. Ich muss daran arbeiten. Ich hatte auch in der Vergangenheit gute Teamkollegen."

Frage: "Wie schwierig ist die Formel 1 derzeit für dich? Alle warten nur auf deinen nächsten Fehler..."
Hamilton: "Das kümmert mich nicht. Natürlich wäre es schön, wenn die Leute positiv über dich denken. Jeder liebt dich, wenn es gut läuft, während dich jeder hasst, wenn es schlecht läuft. So läuft dieses Spiel. Das beeinflusst mich aber nicht. Ich weiß, dass ich mehr kann, als ich in den letzten Rennen erreicht habe. Ich versuche negative Dinge auf dem Weg zu blockieren. Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Ich versuche, wieder in diese Position zu kommen."

¿pbvin|512|4183||0|1pb¿ Frage: "Die Leute fragen sich, warum diese Probleme passiert sind. Kannst du sie erklären?"
Hamilton: Nein. Ich versuche es auch für mich zu verstehen und daraus zu lernen."

Frage: "Würde ein Sieg die ganze Situation schlagartig ändern?"
Hamilton: "Ich glaube nicht. Ein Sieg wäre für das Team großartig. Es wird aber einige Zeit dauern, bis wir die Schwierigkeiten dieses Jahres überstanden haben. Ich bin hier und gebe nie auf. Ich pushe weiter, egal wie viele Rückschläge es gibt. Ich habe immer gesagt, dass ich nie aufgeben werde. Ich versuche dazu zu stehen. Hoffentlich ermutigt das Kinder und Jugendliche weltweit, dass Motorsport nicht einfach ist. Man muss weiterkämpfen, denn irgendwann wird man Erfolg haben."

Frage: "Wie fühlst du dich gerade? Wie ist deine Einstellung?"
Hamilton: "Ich bin gelassen und ruhig. Es liegt ein weiteres Rennen vor mir auf das ich mich freue. Ich bereite mich darauf so gut wie möglich vor. Jenson hat gezeigt, dass unser Auto für den Sieg gut genug ist. Ich muss jetzt mein Auto und mich in die gleiche Position bringen und sicherstellen, dass ich das auch tue. Wir müssen zur richtigen Zeit auf der Strecke sein und ich muss im Qualifying meinen zweiten Versuch fahren. Mir dürfen keine Fehler unterlaufen. Da spielen viele Dinge zusammen, aber wir können es schaffen."

Frage: "In Japan warst du sehr niedergeschlagen. Jetzt wirkst du viel frischer und motivierter."
Hamilton: "Der Rennsport ist Teil meines Lebens seit ich acht Jahre alt bin. Ich bin selbst mein größter Kritiker. Ich bin hart zu mir, aber auch sehr emotionell. Ich glaube fest an meine Fähigkeiten. Ein Sieg würde sicher helfen, die Dinge wieder in die richtige Richtung zu lenken. Daran arbeite ich. Ob das in den nächsten Rennen passieren wird, weiß ich nicht. Ich werde aber mein Bestes geben. Die letzten fünf, sechs Rennen waren natürlich sehr enttäuschend. Das ist meine längste erfolglose Serie. Es ist hart."


Fotos: Lewis Hamilton, Großer Preis von Japan


Frage: "Wenn du in der Formel 3, der GP2, oder auch in der der Formel 1 ein schlechtes Rennen gehabt hast, hast du normalerweise am nächsten Wochenende zurückgeschlagen. Was ist jetzt anders?"
Hamilton: "Eine gute Frage. Ich schätze, dass ich damals mehr Energien hatte um das zu tun. Wir hatten unglaublich gute Autos. Ich hatte ein Auto, mit dem ich zurückschlagen konnte. Über die Jahre war das nicht immer der Fall. Wir sind jetzt in einer anderen Position. Jetzt haben wir ein gutes Auto, aber andere Dinge stehen immer im Weg. Es waren menschliche Fehler, aus denen man lernen muss."

Frage: "Musst du manchmal über die Grenzen gehen, um alles wieder gutzumachen?"
Hamilton: "Ich weiß es nicht. Ich habe die Autos schon immer überfahren seit ich ein Kind war. Im Qualifying sorgt das für ein gutes Tempo, aber im Rennen ist das nicht vorteilhaft. Man kann immer etwas anpassen, um sich zu verändern. Man muss aber auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Ich war manchmal in ungünstigen Positionen und habe viele Strafen dafür bekommen. Das muss ich vermeiden. Es wäre gut, wenn ich jetzt in mehreren Rennen nicht in den Köpfen der Rennkommissare sein würde."

¿pbvin|512|4169||0|1pb¿ Frage: "Du hast gerade gemeint, dass du nicht die Energie dafür hast. Wünscht du dir, dass die Saison endlich vorbei ist und du alles hinter dir lassen kannst?"
Hamilton: "Stoppen und alles zurückstellen ist nicht so leicht. Man muss herausfinden, was falsch gelaufen ist. Das ist auch beim Auto so. Wir können den gegenwärtigen Wagen nicht beiseite stellen und mit einem neuen anfangen. Dann werden wir nie so schnell wie Red Bull sein. Wir müssen herausfinden wo wir uns verbessern können und müssen das auch verbessern. Wenn wir das tun, dann starten wir besser in die neue Saison. Daran arbeiten wir."

McLaren steht hinter Hamilton

Frage: "Das Team hat in dieser Woche gesagt, dass es voll hinter dir steht. Das muss ein Motivationsschub sein?"
Hamilton: "Ja, das denke ich auch. Es ist sehr schön, dass ich großartige Leute um mich herum habe. Sie geben nie auf. Die Entscheidungsträger unterstützen mich weiterhin, wofür ich sehr dankbar bin. Ich gebe alles, damit ich das zurückgeben kann. Wir hatten zusammen tolle Zeiten, aber auch harte Momente. Ich bin mir sicher, dass wir in Zukunft wieder schöne Zeiten erleben werden."

Frage: "Es gibt immer wieder Stimmen, die finden, dass der Wechsel deines Managements nicht gut war. Im Vergleich zu dir haben Alonso und Vettel eine enge und kleine Gruppe von Leuten um sich, mit denen sie seit Jahren zusammenarbeiten."
Hamilton: "Ich glaube nicht, dass dir das Management Selbstvertrauen gibt. Das kommt von dir selbst. Ich bin nicht dieser Meinung. Ich habe tolle Leute um mich herum, die mich leiten. Simon (Fuller; Anm. d. Red.) ist ein großartiger Typ. In Zukunft wird er wahrscheinlich noch stärker involviert sein. Es gab in den vergangenen Jahren einige Änderungen. In Zukunft wird er auch bei mehr Rennen sein. Diesmal habe ich ihm gesagt, er soll daheim bleiben, weil das Rennen mitten im Nirgendwo stattfindet. Manchmal ist es auch gut, wenn man alleine ist. Es kommt darauf an, ob man gerne alleine ist, oder ständig viele Leute um sich haben will. Ich würde gerne meine Familie bei mehr Rennen sehen. Hoffentlich ist das in Zukunft möglich."

Keine Probleme mit Massa

Frage: In den letzten Wochen hat Felipe Massa negative Kommentare über dich gesagt. Stört dich das?"
Hamilton: "Das geht mir nicht nahe. Wenn jemand etwas Negatives über dich sagt - egal ob es stimmt oder nicht - dann er soll es mir direkt ins Gesicht sagen. Wenn ich ein Problem mit ihm hätte, dann würde ich es ihm direkt sagen und nicht jemand anderem. Wenn er mit mir reden will, dann bin ich dafür offen. Ich habe großen Respekt vor ihm und keine Probleme mit ihm. Hoffentlich ändern sich die Dinge. Wir hatten in der Vergangenheit tolle Rennen zusammen. Das ändert sich auch durch seine negativen Kommentare nicht."

Frage: "Es wurde nach dem Zwischenfall in Suzuka wieder eine Diskussion über die Rückspiegel angestoßen. Wie siehst du das?"
Hamilton: "Da gab es schon immer Probleme. Sie vibrieren bei hoher Geschwindigkeit. Das liegt wahrscheinlich am Wind und den Vibrationen vom Auto. Ich kann kaum erklären, wie schwierig es ist, etwas im Rückspiegel zu sehen. Ich habe nach rechts geblickt, um zu sehen, wie weit er hinten ist. Ich sah ihn aber nicht. Bevor ich es wusste, war er auf der anderen Seite. Ich will nie mit jemandem absichtlich kollidieren. Ich war in zu viele Unfälle verwickelt und will das so gut wie möglich vermeiden. Das war einfach eine dieser Situationen, wo man einfach Pech hat."

"Es war eine der schwierigsten Jahre in meiner Karriere. Die menschliche Performance war sehr schlecht. Die Rennen waren schwach. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal fünf schlechte Rennen in Folge hatte. So ist das Leben. Es gibt gute und schlechte Zeiten. Ich arbeite, damit es wieder gute Zeiten werden."