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Grosjean: Geläutert, aber nicht ausgebremst
Lotus-Fahrer Romain Grosjean und die Lehren, die er aus seiner Rennsperre zieht: Wie er künftig Zwischenfälle vermeiden und sich steigern will
(Motorsport-Total.com) - Mit welchen Gefühlen mag Romain Grosjean heute Nacht wohl zu Bett gehen? Es ist der Vorabend seiner Rückkehr in den Rennbetrieb, denn in Monza hat der junge Franzose seine Grand-Prix-Sperre abgesessen. Diese hatte ihm die Rennleitung der Formel 1 für das Verursachen der Startkollision in Spa-Francorchamps auferlegt. Und nun beginnt für Grosjean der Alltag. Doch jetzt ist alles anders.

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Romain Grosjean stellte sich in Singapur mit einem Lächeln den Reporter-Fragen Zoom
Denn es ist ein anderer Grosjean, der sich in Singapur den Medienvertretern stellt. Er zeigt sich gereift, einsichtig und regelrecht geläutert. Und er sagt: "Es gab zu viele Zwischenfälle in der ersten Rennphase. Das ist völlig klar. Daraus müssen wir unsere Lehren ziehen, uns steigern und stärker zurückkehren." Der Denkzettel der Rennleitung scheint seine Wirkung also nicht verfehlt zu haben.
Grosjean hatte schließlich auch drei lange Wochen Zeit, um sich Gedanken über sich und sein Verhalten auf der Rennstrecke zu machen. Und dabei kam er zu interessanten Ergebnissen: "Es gibt Situationen, in denen du vorsichtiger sein musst. Wenn ich überhole, muss ich vielleicht etwas mehr Platz lassen", meint der Lotus-Pilot und merkt an: "Du musst einfach die richtige Balance finden."
Mit der Erfahrung kommt die Gelassenheit
Keine einfache Aufgabe im hektischen Formel-1-Starterfeld. Schon gar nicht vor der ersten Kurve, wenn sich 24 Fahrzeuge um die Positionen streiten. Dessen ist sich Grosjean bewusst. Es gehe ihm darum, zu lernen, wie man im entscheidenden Augenblick die richtigen Entscheidungen treffen könne. "Und das ist komplexer, als einfach nur vorsichtig zu sein", erklärt der 26-jährige Formel-1-Fahrer.
Zwischen der richtigen und der falschen Entscheidung liege "ein schmaler Grat", meint Grosjean und fügt hinzu: "Wir reden da vielleicht von einer Zehntelsekunde oder noch weniger Zeit. Das bedeutet reichlich Stress. Mit der Erfahrung lernst du aber, die richtige Entscheidung zu treffen." Dabei komme es auf Nuancen an. "Ich kollidiere ja nicht mit jemandem, weil ich hundert Meter zu spät bremse."
"Außerdem sind die Situationen nicht immer gleich", erklärt der Franzose und kommt für sich zum Schluss: "Wir müssen an Kleinigkeiten arbeiten, an der Vorbereitung auf die Rennen. Wir müssen dabei aber sicher nicht bei null anfangen." Die Rennsperre kam deshalb - so seltsam sich das vielleicht anhört - womöglich genau richtig. Denn so erhielt Grosjean eine ganz neue Perspektive.
Grosjean macht das Beste aus dem Schlechten
In Monza saß er nicht im Auto, sondern am Kommandostand. Er beobachtete, lauschte und dachte nach. Über sich, das Team, seinen Stallgefährten und seine Einstellung zu einem Rennwochenende. Mit Erkenntnissen für die Zukunft. "Ich habe ein paar Dinge aufgeschnappt, die wir nun ausprobieren wollen", sagt Grosjean. "Ich sah Dinge außerhalb des Autos, aus denen ich vieles lernen kann."
"Ich hörte mir zum Beispiel den Funkverkehr von Kimi an, der sehr viel Erfahrung hat. Dabei bekamen wir auf seiner Seite der Box einiges mit, was wir ebenfalls versuchen wollen", erklärt der Lotus-Pilot. Am Ende nutzt Grosjean diese Erlebnisse also zu seinen Gunsten. Das glaubt auch Teamchef Eric Boullier. Er sagt: "Die Strafe war hart, aber unterm Strich ist es vielleicht zu seinem Besten."
Er habe in den vergangenen Wochen den Eindruck gewonnen, Grosjean habe sich hinsichtlich seines Verhaltens gewandelt. "Wir haben viel Zeit damit verbracht, über die Sache zu sprechen. Er versteht nun, welche Prioritäten er sich als Fahrer setzen muss", erklärt Boullier. Doch genau darin liegt nun möglicherweise eine neue Gefahr, wie Ex-Champion Mika Häkkinnen bei 'Autosport' erläutert.
Häkkinen rät: nicht vom Kurs abbringen lassen
Der zweimalige Formel-1-Weltmeister hatte 1994 ebenfalls eine Rennsperre erhalten, weil er beim Deutschland-Grand-Prix in eine Startkollision verwickelt war. Auch Häkkinen war damals nicht zum ersten Mal auffällig geworden. Er ist aber der beste Beweis dafür, dass sich danach alles zum Guten wenden kann, sofern die richtigen Schlüsse gezogen werden. Dabei gibt es aber auch einen Haken.

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Stiller Beobachter: Romain Grosjean in Monza am Lotus-Kommandostand Zoom
"In solchen Situationen besteht immer die Gefahr, dass sich ein Fahrer verändert", meint Häkkinen. "Du veränderst dich, weil die Leute darauf bestehen und weil du versuchst, jemand anders zu sein. Das ist jedoch keine gute Idee. Du solltest aus deinen Fehlern lernen, aber trotzdem noch aggressiv sein. Du muss an dich selbst glauben, aber gleichzeitig wissen, ob du richtig oder falsch liegst."
"Gib einfach Vollgas, doch respektiere die Anderen", sagt der ehemalige Rennfahrer aus Finnland und glaubt, in Grosjean ein Abbild seines früheren Selbst zu sehen: "Er denkt ähnlich wie ich damals", findet Häkkinen. "So nach dem Motto: 'Warum gehen die Jungs hinter mir eigentlich nicht vom Gas?' Ich habe aber gelernt, dass plötzliche Manöver am Start nicht so toll sind, denn es gibt keinen Platz."
Auch ein Schumacher hatte viele Zwischenfälle ...
"Bremsen will in dieser Phase eh niemand und außerdem gewinnst du einen Grand Prix nur selten in der ersten Kurve. Es ist besser, du wartest ab", erklärt Häkkinen bei 'Autosport'. Ein Satz, den sich Grosjean wahrscheinlich hinter die Ohren schreibt, ehe er am Freitag wieder ins Rennauto steigt. Doch bei aller Kritik am jungen Franzosen bringt Alan Permane auch viel Verständnis für ihn auf.
Und der Lotus-Chefingenieur erinnert an dieser Stelle an einen gewissen Michael Schumacher: "Ich weiß noch, als er seine erste Saison bei uns (damals hieß das Team noch Benetton; Anm. d. Red.) bestritt. Wir brauchten an jedem Rennwochenende ein, zwei neue Frontpartien, weil er verunfallte oder mit Konkurrenten kollidierte. Das nimmt man aber in Kauf, weil er zweifelsohne schnell ist."
Ähnlich verhält es sich mit Grosjean. Darauf deuten zumindest die jüngsten Aussagen von Teamchef Boullier hin: "Wenn man seine Erstrunden-Zwischenfälle außen vor lässt, ist Romain beeindruckend gut unterwegs", sagt der französische Landsmann des Lotus-Piloten. Und Boullier fasst sich bei der Ursachenforschung auch an die eigene Nase. Ihn treffe möglicherweise eine Teilschuld, meint er.
Den größten Druck macht sich Grosjean selbst
Die zahlreichen Zwischenfälle Grosjeans auf der Rennstrecke seien auch auf die Persönlichkeit des jungen Formel-1-Fahrers zurückzuführen. "Romain ist sehr zurückhaltend und will seine Arbeit immer perfekt machen. Er kann es nämlich nicht leiden, mit jemandem aneinander zu geraten", sagt Boullier. Der Druck, den sich Grosjean selbst macht, um es anderen recht zu machen, sei daher gewaltig.
"In gewisser Weise ist es noch schlimmer für ihn, weil er so hart für seine zweite Chance in der Formel 1 gearbeitet hat", meint Boullier und merkt an: "Es ist aber auch mein Fehler. Ich wollte, dass Romain sich etwas mehr öffnet. 2009 war er schließlich dafür kritisiert worden, zu arrogant und verschlossen zu sein. Vielleicht habe ich diese Tür zu lange offen gelassen. Dadurch kam er aus dem Konzept."
Deshalb nimmt sich der Lotus-Teamchef selbst in die Pflicht: "Ich muss nun ein System entwerfen, um den Fahrern die perfekte Arbeitsumgebung zu schaffen." Dabei handelt es sich um einen Ansatz, den Grosjean zu begrüßen scheint. "Um uns zu verbessern, werden wir ein paar Dinge um mich herum neu sortieren", meint er. Monza war da nur der Anfang. "Grosjean 2.0" ist nämlich ein Langzeit-Projekt.

