• 24.03.2008 12:15

  • von Stefan Ziegler

Grip: Kleine Sache, große Wirkung

Zu wenig Grip ist schlecht - aber was ist eigentlich dieser "Grip", mit dem die Rennfahrer chronisch unterversorgt zu sein scheinen?

(Motorsport-Total.com) - Grip - ein kleines Wort mit großer Bedeutung. Dieses kurze Zauberwort umschreibt ein sehr komplexes Thema und nicht zuletzt auch, warum ein Rennauto eine Rennstrecke schnell umrunden kann. Was ist aber verbirgt sich hinter dem Begriff "Grip" und weshalb stellt es für Rennfahrer ein Problem dar, wenn sie einmal "keinen Grip haben"? Ein kleines Grip-Einmaleins gibt Antworten auf diese Fragen.

Titel-Bild zur News: Felipe Massa

Den besten Grip bietet die Ideallinie

Grundsätzlich bezeichnet das Wort "Grip" im Reifenkontext die Reibung zwischen Reifen und Asphalt. Auf zwei verschiedene Arten lässt sich charakterisieren, wie ein Reifen Grip oder seine Reibung mit der Strecke erhält: Durch Haftung oder Leistungsverlust aufgrund von Verformung. Als Haftung oder auch "Klebrigkeit" bezeichnet man den Zustand, in dem der Reifen eine chemische Verbindung mit der Asphaltoberfläche oder mit bereits auf der Strecke liegendem Gummiabrieb eingeht.#w1#

Die Reifenmischung sorgt für guten Grip

Verformung nennt man die Bereiche, in denen sich ein Reifen - oder besser: eine Reifenmischung - bewegen kann um sich den Unregelmäßigkeiten der Streckenoberfläche anzupassen. Hier gibt es einen Energieverlust und daraus resultiert Reibung. Das hilft auch der Haftung, denn je besser sich eine Reifenmischung einer Asphaltoberfläche anpassen kann, umso größer ist die Kontaktfläche, an der letztendlich Haftung entsteht.

"Wie ein Reifen seinen Grip erhält, ist eine sehr komplexes Thema", erklärte Bridgestones technischer Motorsport-Manager Tetsuro Kobayashi. "Aber es ist natürlich zugleich unglaublich wichtig, weil ohne Grip unsere Reifen schlicht nutzlos wären. Die Entwicklung von Reifenmischungen ist der wichtigste Bereich, in dem wir Grip für unsere Reifen suchen. Fortschritte, die wir durch die Entwicklungen für den Motorsport gemacht haben, kommen nicht zuletzt auch den Reifen für normale Straßenfahrzeuge zugute."

Bei der Entwicklung von Reifenmischungen schaut sich Bridgestone die Haftung im Hinblick auf das chemische Grundgerüst der Reifen an. Änderungen in der Polymerstruktur, die den Gummi auszeichnen, resultieren darin, dass sich der Reifen anders zur obersten Asphaltschicht verhält. Die Bearbeitung der Daten für Reifenmischungen und deren Interaktion mit der Fahrbahn bindet eine Menge Ressourcen in den technischen Abteilungen von Bridgestone.

"Wie ein Reifen seinen Grip erhält, ist eine sehr komplexes Thema." Tetsuro Kobayashi

Reifenverschleiß als Gripbremse

Die Härte eines Reifens beeinflusst die Verformung, aber die Art der Verformung ist ebenfalls ein wichtiger Faktor beim Reifendesign. "Wir müssen uns anschauen, wie schnell sich ein Reifen verformt und wie schnell er seine Ausgangsform wieder zurückerhält. Das gilt sowohl für den Reifen als Ganzes und auch für die Mischung", sagte Kobayashi.

"Wie schnell sich der komplette Reifen deformiert und wieder seine Ursprungsform einnimmt ist eng verknüpft mit Reifendruck, Reifenbauweise und Gummimischung. Die Mischung an sich steht aber bei der Verformung der Reifen aufgrund von Unebenheiten im Vordergrund. Eine Rennreifenmischung verformt sich sehr schnell, erhält seine Ausgangsform nur sehr langsam wieder zurück, was wiederum dem Reifengrip enorm hilft."

Reifenabnutzung ist ebenfalls ein Punkt, wo die Gummimischung im Fokus liegt. "Die Mischung hat den größten Einfluss darauf, wie ein Reifen verschleißt", erklärte Kobayashi. "Die Stärke der Gummimoleküle hilft beim Herausfinden, wie sich der Reifen abnutzt und je härter die Mischung ist, desto weniger Abnutzung kann man sehen."

"Die Mischung hat den größten Einfluss darauf, wie ein Reifen verschleißt." Tetsuro Kobayashi

Streckenoberfläche wird genau untersucht

Formel-1-Boliden unterscheiden sich sehr von normalen Straßenfahrzeugen weil sie durch ihre Form und die zahlreichen Flügel enorm viel Abtrieb erzeugen. "Der Abtrieb bei einem Formel-1-Auto ist ein bedeutender Faktor um zu bestimmen, wie viel Grip potentiell vorhanden ist. Das Griplevel nimmt nämlich zu wenn auch der Abtrieb ansteigt", sagte Kobayashi. "Weil diese Art von Grip nicht von den Reifen verursacht wird, bezeichnen wir das als "aerodynamischen Grip", wohingegen von den Reifen verursachter Grip "mechanischer Grip" genannt wird."

Ein Reifen braucht eine Oberfläche, auf der er haften kann. Hier kommt die Rennstrecke ins Spiel, denn Kursoberflächen können sich sehr stark voneinander unterscheiden, und das nicht nur von Strecke zu Strecke. Selbst auf einem Kurs, der zu verschiedenen Zeiten mit neuem Belag versorgt oder mit unterschiedlichen Materialien ausgebessert wurde kann es Unterschiede im Gripniveau geben. Zwei Strecken mit ähnlichem Layout könnten also durchaus zwei komplett unterschiedliche Reifen verlangen, sodass der bestmögliche Grip erreicht wird.

"Wir schauen uns die Streckenoberflächen auf Makro- und Mikroebene an", erläuterte Kobayashi weiter. "Makro bedeutet, dass wir herausfinden wollen, wie die Streckenoberfläche beschaffen ist und wie eng die Steine gesetzt sind, die die Oberfläche ausmachen. Mikro dagegen ist, wenn wir uns die Rauheit der Steine selbst anschauen."

"Wir schauen uns die Streckenoberflächen auf Makro- und Mikroebene an." Tetsuro Kobayashi

Grip ist nicht der heilige Gral der Reifenperformance, auch wenn die Fahrer immer nach mehr Grip verlangen. Im Gegenteil: Zu viel Grip kann sich sogar negativ auswirken. Ein extremes Beispiel wäre ein derart klebriger Reifen, dass es einen Drehzahlüberschuss bräuchte, um das Auto überhaupt von der Stelle zu bewegen.

Bei Regen ist plötzlich alles anders...

Außerdem ist Grip niemals konstant sondern variiert. Und gerade das macht Motorsport für den Zuschauer so interessant und für die Fahrer so spannend. Die Abnutzung der Reifen und die Charakteristik ihrer Performance verändern sich, genau wie sich auch eine Streckenoberfläche im Laufe eines Rennens wandelt. Eine weitere wichtige Variable stellt das Wetter dar: Eine Temperaturänderung kann auch zur Folge haben, dass sich ein Reifen anders verhält.

"Formel-1-Fahrer sind immer bestrebt, den besten Grip aus ihren Reifen zu holen, aber Grip bleibt nie auf dem selben Niveau", gab Kobayashi zu Protokoll. "Und genau in diesem Bereich kann ein großartiger Fahrer den Unterschied zu einem guten Fahrer ausmachen. Ein hervorragender Pilot kann den zur Verfügung stehenden Grip schneller ausnutzen als ein schlechterer Fahrer."

Die größte Gripveränderung gibt es, wenn es regnet, denn Wasser auf der Oberfläche verändert das molekulare Bindungspotential. Das resultiert wiederum darin, dass sich der Haftungsgrip reduziert und Verformungsgrip eine erhöhte Bedeutung erhält.

"Grip bleibt nie auf dem selben Niveau." Tetsuro Kobayashi

"Es gibt bei einem Rennen weder Schnee noch Eis, also ist Regen die größtmögliche Wetteränderung für das Grippotenzial. Wasser beeinflusst den Grip unserer Reifen bei der Haftung und deswegen haben unsere Intermediates und Monsunreifen andere Mischungen als unsere Trockenreifen", so Kobayashi abschließend.