Gerhard Berger im großen 'F1Total.com'-Interview (2)

Der Österreicher über Synergien zwischen den Red-Bull-Teams, die langfristige Perspektive der Scuderia Toro Rosso und den in seiner Karriere fehlenden Titel

(Motorsport-Total.com) - 1988 und 1994 belegte Gerhard Berger in der Fahrer-WM jeweils den dritten Platz, der heiß ersehnte Titel war ihm aber nie vergönnt. Als er 1997 von der aktiven Bühne abtrat, hatte er zehn Grand-Prix-Siege bei 210 Rennstarts auf seinem Konto und reihte sich damit in die prominente Reihe jener großen Formel-1-Stars ein, die nie Weltmeister wurden.

Titel-Bild zur News: Gerhard Berger

Gerhard Berger weiß, dass er mit seinem Team 2006 keine Bäume ausreißen wird

Kurz nach seinem Rücktritt heuerte der Österreicher als Motorsport Direktor bei BMW an, wo er eine schlagkräftige Truppe zusammenstellte, die die 24 Stunden von Le Mans gewann - in der Königsklasse des Motorsports später aber ebenfalls nicht Weltmeister wurde. Ob Berger diesen fehlenden Titel nun mit der Scuderia Toro Rosso holen kann, steht noch in den Sternen - in den nächsten drei Jahren wird es ihm aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gelingen...#w1#

Berger muss sich an die letzte Startreihe erst gewöhnen

Im ausführlichen Interview mit 'F1Total.com', welches Anfang dieser Woche in Red Bulls Hangar-7 in Salzburg aufgezeichnet wurde, sprach der 46-Jährige unter anderem über seine Erwartungen für das Premierenjahr der Scuderia Toro Rosso und über die langfristige Perspektive mit nutzbaren Synergien innerhalb der großen Red-Bull-Familie. Aber: "Mir fällt der Gedanke, dass ich jetzt in die letzte Startreihe marschieren muss, ehrlich gesagt schon schwer", gab er dabei zu.

Frage: "Gerhard, kommen wir zurück zur Scuderia Toro Rosso: Mit welchen Erwartungen geht ihr in eure erste Formel-1-Saison?"
Gerhard Berger: "Minardi stand 20 Jahre lang in der letzten Startreihe. Mir fällt der Gedanke, dass ich jetzt in die letzte Startreihe marschieren muss, ehrlich gesagt schon schwer. Genau deswegen unternehmen wir momentan alles dafür, eben nicht dort zu landen. Die Bäume werden aber nicht in den Himmel wachsen. Ich nehme an, dass wir in den nächsten drei Jahren den Weg in das Mittelfeld schaffen können. Ob wir beim ersten Rennen in der letzten oder in der vorletzten Startreihe stehen werden - oder vielleicht sogar noch eine weiter vorne, was ich hoffe -, werden wir sehen. Ich denke, wir haben schon ein paar ganz gute Leute geholt und wir haben ein ganz gutes Paket beisammen. Vielleicht schauen wir schon in den ersten Rennen gar nicht so schlecht aus."

"Die Bäume werden nicht in den Himmel wachsen." Gerhard Berger

Frage: "Es gibt die Theorie, dass in Malaysia euer großer Tag kommen könnte, weil ihr euren erprobten V10-Motor von der Drehzahl her nicht ausfahren müsst beziehungsweise dürft, während die anderen Teams mit den neuen V8-Prototypen zwei schwierige Hitzerennen zu bewältigen haben..."
Berger: "Ja, nur: Ich habe in der Formel 1 gelernt, das alles, was theoretisch ganz gut ist, praktisch meistens ganz anders kommt. Dieses ganze Hochrechnen und Träumen bringt nichts. Wir sollten von der Standfestigkeit her gegenüber den V8-Motoren einen Vorteil haben, der in etwa die ersten drei Rennen anhalten wird. Dann ziehen alle nach - das ist immer so. Es kann aber genauso gut sein, dass uns in den ersten drei Rennen ein Getriebeproblem oder sonst etwas passiert. Das muss man abwarten."

Frage: "Euer neues Auto sieht dem RB1 von Red Bull Racing verblüffend ähnlich. Laut Max Mosley ist das aber legal, weil der RB1 noch von Jaguar gebaut wurde und Jaguar beziehungsweise Ford ja nicht mehr in der Formel 1 ist. Ist das wirklich so eine komplexe Copyright-Geschichte oder ist in Wahrheit alles viel einfacher?"
Berger: "Es ist natürlich unser selbst entwickeltes Auto. Wenn man einen Minardi früher rot lackiert hätte, hätte der auch fast wie ein Ferrari ausgesehen. Formel-1-Autos, die gleich lackiert sind, wirken von Haus aus ähnlich. Dass einige ehemalige Red-Bull-Ingenieure bei Toro Rosso sind, ist auch klar - und die haben logischerweise die Sachen im Kopf, die sie schon einmal gebaut haben."

Vorerst noch keine Synergien zwischen den Red-Bull-Teams

Frage: "Inwieweit haben Red-Bull-Racing-Ingenieure - allen voran natürlich Adrian Newey - Einfluss auf die Weiterentwicklung bei der Scuderia Toro Rosso? Das wäre ja nicht einmal illegal, oder?"
Berger: "Nein, aber Newey hat ja zum Beispiel gerade erst bei Red Bull begonnen. Wir haben eine eigene Ingenieurstruppe in Italien, die sich mit unserem Auto beschäftigt."

Frage: "Ist geplant, dass die beiden Teams zusammenarbeiten?"
Berger: "Langfristig werden wir sicher auch bei Toro Rosso etwas von Neweys Ideen mitbekommen."

"Langfristig werden wir sicher auch bei Toro Rosso etwas von Neweys Ideen mitbekommen." Gerhard Berger

Frage: "Es ist geplant, die beiden Red-Bull-Teams ab 2008 - sollte es das Reglement zulassen - noch enger zu vernetzen. Gibt es da nicht einen Interessenskonflikt, weil die Scuderia Toro Rosso ja nicht mehr zu 100 Prozent Red Bull gehört?"
Berger: "Das werden wir sehen, aber ich denke eher nicht. Aber genau darum hoffe ich, dass wir langfristig - und damit meine ich 2008 - auch etwas von Newey bekommen werden. Didi Mateschitz sieht das sehr sportlich. Er steht dem Toro-Rosso-Team genauso nahe wie dem Red-Bull-Team - egal ob ich dort nun Partner bin oder nicht. Dafür kennen wir uns viel zu gut."

"Genauso ist es aber auch von meiner Seite her: Wenn ich etwas sehen würde, was dem Red Bull gut tun könnte, würde ich keine Sekunde zögern und diesen Input geben, auch wenn das einen Vorteil für Red Bull bedeuten würde. Alles andere ist in meinen Augen kleinkariertes Denken. In der Formel 1 ist es ein langer Weg, bis man an der Spitze angelangt, und bis wir dort sind, müssen wir alle bei Red Bull - also Red Bull und Toro Rosso - an einem Strang ziehen."

Frage: "Du siehst dich also nicht so sehr als 50-Prozent-Teilhaber der Scuderia Toro Rosso, sondern vielmehr als Mitglied der Red-Bull-Familie, richtig?"
Berger: "Doch, ich sehe mich total als 50-Prozent-Toro-Rosso-Teilhaber, aber ich bin auch Mitglied der Red-Bull-Familie. Die Red-Bull-Familie hat mir überhaupt erst ermöglicht, 50-Prozent-Toro-Rosso-Teilhaber zu sein. Daher fühle ich mich verpflichtet, Red Bull mein ganzes Know-how zur Verfügung zu stellen."

Frage: "Die Scuderia Toro Rosso ist als B-Team konzipiert. Gibt es da das Problem, dass ihr Red Bull Racing von der Papierform her eigentlich nicht überholen dürft?"
Berger: "Nein, überhaupt nicht. Der Bessere wird vorne sein."

Erst ab 2008 rechnet Berger mit guten Resultaten

Frage: "Was sind deine langfristigen Ziele mit der Scuderia Toro Rosso? Geht ihr genau wie alle anderen auf den WM-Titel los oder müsst ihr ewig eine Ausbildungsstätte für Red Bull Racing bleiben?"
Berger: "Es ist schlecht, wenn man sich von vornherein die Latte ganz hoch legt. Man muss realistisch bleiben - und realistisch ist, dass wir im ersten Jahr versuchen werden, die Gruppe zusammenzuschweißen. Nach drei bis fünf Jahren wollen wir in das Mittelfeld kommen. Mittelfeld bedeutet heutzutage in der Formel 1 zum Beispiel Toyota - das sind riesige Hersteller mit riesigen Budgets. Ab 2008 können wir dann davon träumen, ein bisschen weiter nach vorne zu kommen, falls die Reglements so eintreten werden, wie sie geplant sind."

Frage: "Bleibt die Scuderia Toro Rosso das Team für die Red-Bull-Junioren?"
Berger: "Absolut! Wir werden uns aus dem Red-Bull-Juniorenpool bedienen. Ich glaube an die Arbeit von Helmut Marko, denn er ist ein hervorragender Nachwuchsförderer. Ich bin sehr happy mit den Leuten, die da nachkommen."

Gerhard Berger, Dietrich Mateschitz und Helmut Marko

Gerhard Berger mit Dietrich Mateschitz und Red-Bull-Talentscout Helmut Marko Zoom

Frage: "Ihr geht 2006 mit Vitantonio Liuzzi, Scott Speed und Neel Jani an den Start. Bitte sag uns ein paar Worte zu jedem von ihnen!"
Berger: "Ich kann zu Neel Jani nicht viel sagen, denn ich kenne ihn kaum. Den Scott Speed beobachte ich seit einiger Zeit. Er ist noch sehr jung, sehr grün hinter den Ohren, aber sehr talentiert. Den Liuzzi beobachte ich schon länger. Jemand, der Kart-Weltmeister ist und überlegen Formel-3000-Europameister wurde, hat sicher einiges drauf. Er muss sich sicher eingewöhnen. Beide werden dieses Jahr einige Fehler machen, weil sie jung und unerfahren sind, aber beide können zeigen, ob sie Speed haben oder nicht - und ich bin überzeugt davon, dass sie den haben!"

Frage: "Hättest du dieselben drei Fahrer verpflichtet, wenn du damals schon an Bord gewesen wärst?"
Berger: "Ja, absolut!"

Frage: "Wer sind die nächsten Red-Bull-Kandidaten für die Formel 1?"
Berger: "Vettel, Ammermüller."

Frage: "Das wird aber noch ein bisschen dauern, oder?"
Berger: "Klar - die sind noch ewig weit weg. Die Frage, wer sich für die Formel 1 anbietet, ist falsch, denn es bietet sich noch niemand konkret an. Aber wer sind die nächsten Jungs, die nachkommen? Das sind sicher Vettel und Ammermüller."

Berger wird Red Bull in allen Bereichen helfen

Frage: "Siehst du dich bei der Scuderia Toro Rosso auch als Mentor für die Fahrer? Vielleicht könntest du mit deiner Erfahrung zum Beispiel Scott Speed helfen, wenn er noch so grün hinter den Ohren ist..."
Berger: "Ich bin dazu da, mein Know-how in allen Bereichen einzubringen. Das kann im Fahrerbereich genauso sein wie im Sponsorenbereich oder im Technikbereich. Ich weiß nicht alles und kann auch nicht alles, aber das, was ich weiß und kann, werde ich sicher einbringen."

"Ich bin dazu da, mein Know-how in allen Bereichen einzubringen." Gerhard Berger

Frage: "Franz Tost bleibt Teamchef..."
Frage: "Genau, er bleibt Teamchef. Ich bin Gesellschafter. Wir stehen täglich in Kontakt. Dabei versuche ich meinen Input so zu geben, dass es insgesamt einen Vorteil bringt."

Frage: "Zu wie vielen Rennen wirst du kommen?"
Berger: "Das weiß ich noch nicht, weil ich noch zu wenig in der Materie drin bin. Ich muss mich da erst einmal orientieren."

Frage: "Die britischen Medien schreiben immer von der Ösi-Mafia mit dir, Dietrich Mateschitz und Niki Lauda. Niki Lauda fehlt noch in der Red-Bull-Familie. Gibt es den Plan, ihn auch an Bord zu holen?"
Berger: "Keine Ahnung. Diese Frage muss man dem Didi Mateschitz stellen."

Frage: "Würde es Sinn machen?"
Berger: "Ich schätze und respektiere Niki sehr. Über diese Frage habe ich aber noch nicht einmal nachgedacht. Ganz abgesehen davon ist er mit Red Bull schon in Verbindung, denn sein Sohn Mathias ist ja Red-Bull-Fahrer. Es ist also nicht so, dass Niki nicht zur Red-Bull-Familie gehört. Aber ob man ihn ins Team einbinden sollte, kann ich nicht beantworten, sondern nur Didi Mateschitz."

Frage: "Du warst als Fahrer nie Weltmeister. Wurmt dich das noch?"
Berger: "Nein, es wurmt mich nicht und es hat mich auch nie gewurmt, aber manchmal finde ich es schade, dass ich nie Weltmeister geworden bin. Andererseits muss ich sagen, dass ich eine traumhafte Karriere hatte, aus der ich mich körperlich gut herausgezogen habe. Die meisten meiner Kollegen sind verunglückt oder haben schwerste Verletzungen erlitten. Bei mir ist das einigermaßen glatt abgelaufen. Ich hatte schöne Erfolge, aber der WM-Titel fehlt natürlich in meiner Statistik. Es wäre schöner, wenn er dabei wäre, aber so ist es eben."

Frage: "Auch mit BMW hat es nie so ganz geklappt. Wäre es jetzt eine Genugtuung, wenigstens mit der Scuderia Toro Rosso irgendwann einmal Weltmeister zu werden?"
Berger: "Schon, aber davon bin ich mit Toro Rosso einfach zu weit entfernt. Bei BMW wäre die Möglichkeit da gewesen, denn mit BMW wurden wir zweimal Vizeweltmeister, wenn ich mich richtig erinnere. Mit BMW haben wir - mein Kollege Mario Theissen und ich - in diesen fünf Jahren einen traumhaften Job abgeliefert."

Motor von BMW war gut, Chassis von Williams nicht

"Unser Bereich, der Motor, war in diesen zwei Jahren sicher reif für einen WM-Titel, aber das Auto von Williams war damals einfach nicht so gut wie der Ferrari oder der McLaren. Das spielt aber keine Rolle, denn wir wurden Vizeweltmeister, wird wurden WM-Dritte und wir sind beim ersten Rennen auf dem Podium gestanden. Wir haben mit BMW auch beim ersten Anlauf Le Mans gewonnen. Meine Zeit bei BMW war äußerst erfreulich."

Frage: "Dietrich Mateschitz hat in der Formel 1 alles richtig gemacht und binnen kürzester Zeit viel erreicht. Hat er das geschafft, weil die Entscheidungswege bei ihm kürzer sind als bei den Konzernen, weil er ein No-Bullshit-Typ ist?"
Berger: "Didi Mateschitz hat um sich herum einige sehr kompetente Motorsportfachleute. Ob das nun Helmut Marko ist, ob das ich bin, Niki Lauda oder Heinz Kinigardner: Das sind alles erfahrene Motorsportler. Aufgrund seiner freundschaftlichen Verhältnisse zu diesen Leuten bekommt er ehrliche Antworten, keine politischen. Außerdem hat er ein ganz anderes Denken als die Konzerne, sogar ein anderes Denken als wir - und mit diesem Querdenken, mit diesem um Ecken denken bringt er eine Konstellation zusammen, die einfach anders und gut ist. Das zeigt er ja auch in verschiedensten anderen Bereichen. Im Motorsport hat er es bis jetzt wie gesagt sehr gut hinbekommen, was in erster Linie an ihm liegt, in zweiter Linie aber auch daran, dass er ganz gut beraten wird."

"Mit diesem Querdenken, mit diesem um Ecken denken bringt er eine Konstellation zusammen, die einfach anders und gut ist." Gerhard Berger

Frage: "Das angesprochene Konzerndenken kann in der Formel 1 schon kontraproduktiv sein, nicht wahr?"
Berger: "Nicht unbedingt kontraproduktiv, aber es ist anders. Lange Wege gibt es bei Didi Mateschitz einfach nicht - kann es auch gar nicht geben. Es ist einfach ein Unterschied, wenn man die Informationen richtig sammelt, richtig filtert und dann richtig umsetzt, wie er das macht - und er entscheidet innerhalb von Sekunden, ob er etwas machen will oder nicht. Woanders musst du drei Monate lang in Vorstandssitzungen gehen und bekommst dann erst die Entscheidung, wo es aber längst alle anderen auch kapiert haben. Das ist sein großer Vorteil."

Frage: "Das Streckenprojekt in Spielberg soll jetzt in deutlich abgespeckter Form doch noch entstehen. Wäre es denkbar, die Anlage dort für Testfahrten zu nutzen?"
Berger: "Ich bin in diese Geschichte nicht eingebunden, weiß nur am Rande, dass dort etwas entstehen soll. Ich bin aber der falsche Mann für diese Frage."

Der dritte und letzte Teil des großen Interviews mit Gerhard Berger wird am Samstag auf 'F1Total.com' veröffentlicht.

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