Gascoyne: "Hat Ferrari nichts dazugelernt?"
Lotus-Technikchef Mike Gascoyne wundert sich nicht über die Ferrari-Teamorder, sondern über die offensichtliche Art und Weise: "Das muss man cleverer machen"
(Motorsport-Total.com) - Lotus-Technikchef Mike Gascoyne traute seinen Augen nicht, als Felipe Massa in Hockenheim nach der Haarnadelkurve vom Gas ging, um seinem Ferrari-Teamkollegen Fernando Alonso die Führung zu überlassen. Auch Gascoyne fühlte sich an Spielberg 2002 erinnert und an Jean Todts berühmten Funkspruch "Rubens, let Michael pass for the championship." Doch Gascoyne war weniger über die neue Stallregie schockiert, sondern mehr über die offensichtliche Art und Weise.

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Mike Gascoyne wundert sich, dass sich Ferrari nicht cleverer angestellt hat
"Was 2002 passiert ist, war mehr als offensichtlich, aber das war jetzt nicht weniger deutlich, abgesehen davon, dass es nicht vor dem Ziel passiert ist. Man sollte meinen, dass Ferrari daraus gelernt hat, aber das haben sie offensichtlich nicht getan", sagt Gascoyne gegenüber 'BBC Sport'. Ferrari bekam 2002 eine Geldstrafe von 500.000 Dollar aufgebrummt und sorgte mit dem damaligen Manöver dafür, dass die Stallregie überhaupt verboten wird.#w1#
"Wir mussten schon grinsen. Ich denke, das hat an der Boxenmauer für Erheiterung gesorgt. Denn wir wussten, welche Wellen das schlagen wird", räumt Gascoyne ein. "Ich denke, dass wir alle so etwas machen. Aber vielleicht nicht so offensichtlich und nicht in dieser Phase der Saison."

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Felipe Massa hat Fernando Alonso den Sieg allzu offensichtlich überlassen Zoom
Gascoyne verweist darauf, dass andere Teams ihre Fahrer frei gegeneinander fahren lassen und nennt als Beispiel das Duell der beiden McLaren-Piloten Jenson Button und Lewis Hamilton in der Türkei. "Teams wie McLaren und Williams haben das immer zugelassen und deshalb auch Titel verloren", erklärt er.
"Ferrari hat die Sache als Team immer zynisch betrachtet und macht das auch weiter. Aber sie hätten es einfach wesentlich geschickter machen sollen", wundert sich Gascoyne. "Wir alle haben Codewörter und wir alle treffen an der Boxenmauer Entscheidungen - aber wir stellen uns dabei einfach nicht so dumm an."
"Es gibt Stallregie und wir müssen akzeptieren, dass es sie weiter gibt. Es ist nur extrem schlecht gehandhabt worden", sagt er über die Ferrari-Aktion in Hockenheim. Er zeigt durchaus Verständnis dafür, dass die Scuderia sich auf einen Fahrer konzentrieren will, auch wenn er die Frage stellt, ob das schon so früh in der Saison der Fall sein sollte.
"Natürlich kommt während der Saison der Punkt, ab dem man einen Fahrer bevorzugen muss, weil er die besten Chancen hat, den Titel zu gewinnen. Man muss das tun, was für das Team das Beste ist", sagt Gascoyne. "In diesem Fall hätten sie so oder so einen Doppelsieg geholt. Aber ist das jetzt schon der richtige Zeitpunkt gewesen?"
Für den Lotus-Technikchef ist die Sache klar: Formel 1 ist ein Teamsport und die Interessen des Teams stehen im Vordergrund. Aber wenn man dazu schon verbotene Stallorder anwendet, dann sollte man das "wesentlich cleverer tun, als sie es getan haben. Es ist klar, dass sich die Fans betrogen fühlen, wenn man es so macht - das war einfach lächerlich."
Gascoyne hat sich via Twitter direkt nach dem Rennen mit Fans unterhalten. "Alle waren der Meinung, dass sie um ein Ergebnis betrogen wurden, dass ihnen verwehrt wurde, im Grand Prix ein tolles Finish zu erleben. Und ich denke, dass es für die Formel 1 an der Zeit ist, das zur Kenntnis zu nehmen", erklärt er.
"Man sollte zumindest beim Bremsen überholen lassen und nicht beim Herausbeschleunigen vom Gas gehen. Denn damit gibt man ein Statement ab", sagt Gascoyne. "Die Fans fühlen sich dann betrogen, wenn man so etwas macht, sich dann in die Pressekonferenz setzt und sagt: 'Nein, das war nicht so' und 'natürlich war das keine Stallregie'. Es war ganz klar eine."
Ferrari und die Formel 1 müssten lernen, dass die Fans so etwas nicht wollen, "aber wenn man es doch macht, dann sauber und richtig. Als Profis muss man das anders handhaben. Man darf so etwas nicht über den Boxenfunk, den die ganze Welt hören kann, ankündigen. Denn wenn man es so macht, muss man damit rechnen, dafür geschlachtet zu werden."

