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  • 20.05.2014 20:10

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Gary Anderson: Warum Newey zu Ferrari muss

Ex-Designer Gary Anderson über die Ernsthaftigkeit der Newey/Ferrari-Gerüchte und mögliche Wege für eine sowohl sportlich als auch technisch bessere Formel 1

(Motorsport-Total.com) - Während der vergangenen Tage nahmen die Gerüchte über einen Wechsel von Red-Bull-Designer Adrian Newey zu Ferrari wieder Fahrt auf. Ex-Formel-1-Designer Gary Anderson beantwortet wieder Leserfragen und schildert dabei seine Sichtweise zu den Newey/Ferrari-Gerüchten ebenso wie zu anderen aktuellen Themen rund um die Königsklasse.

Titel-Bild zur News: Gary Anderson

Adrian Newey zu Ferrari? Gary Anderson kann es sich sehr gut vorstellen Zoom

Andy Geering (Twitter): "Wenn du Adrian Newey wärst, würdest du zu Ferrari wechseln?"
Gary Anderson: "Andy, Red Bull ist ein Team, das um Adrians traditionelle Arbeitsweise herum aufgebaut wurde. Würde er die Ferrari-Bosse bitten, ihm solche Voraussetzungen zu schaffen, würde sie ihn wohl für verrückt erklären. Zweidimensional angefertigte Bleistiftzeichnungen müssen verstanden werden. Entwürfe auf diese Art und Weise anzufertigen, bedeutet, dass man nicht den technischen Grenzen eines CAD-Systems unterworfen ist."

"Es gibt auch für ein Team wie Ferrari kein Allheilmittel. Sollte Adrian dorthin gehen und Ferrari würde ihm jeden Wunsch erfüllen - das heißt einige Leute um ihn herum platzieren - dann würde es trotzdem zwei, vielleicht sogar drei Jahre dauern, um aus seinem immensen Wissen Kapital zu schlagen."

"Die große Frage ist, ob Adrian bereit ist, derartige Anstrengungen zu unternehmen, bevor sich Erfolg einstellt. Will er überhaupt noch solange in der Formel 1 tätig sein? Ich glaube schon. Ferrari wäre für ihn eine neue Herausforderung. Nur er weiß, wie die Dinge bei Red Bull intern wirklich laufen. Es ist nicht immer eine gute Sache, wenn eine enthusiastische Einzelperson die Rechnungen zahlt."

"Es wäre doch ein beeindruckender Lebenslauf, sollte es ihm gelingen, Rennen mit Williams, McLaren, Red Bull und Ferrari zu gewinnen. Im Falle eines Wechsels zu Ferrari könnte er selbst seinen Preis bestimmen. Außerdem hätte er nach dem Ende seiner Schaffensperiode in der Formel 1 die Möglichkeit, das schnellste und exotischste Straßenauto aller Zeiten zu fahren. Das würde ich ihm jedenfalls anbieten, wenn ich an Luca di Montezemolos Stelle wäre."

Senna oder Vettel - wer ist der bessere Qualifyer?

Larry Parker (Twitter): "Du hast gesagt, dass Sebastian Vettel deiner Ansicht nach der bessere Qualifyer als Ayrton Senna ist. Warum denkst du - im Gegensatz zur allgemein vorherrschenden Meinung - so?
Anderson: "Larry, Ayrton Senna war einer der besten Formel-1-Fahrer, den ich jemals habe fahren sehen und kennenlernen durfte. Doch um mal ein Beispiel zu nennen: Mit dem überlegenen McLaren der Saison 1988, der 15 von 16 Rennen gewann, holte Ayrton acht Siege, Alain Prost sieben. Senna fuhr mit diesem Auto 13 mal - und damit deutlich häufiger als Prost - auf die Pole-Position. In Monaco hatte er im Qualifying 1,4 Sekunden Vorsprung, doch Prost war immer noch Zweiter. Drittschnellster war damals Gerhard Berger mit einem Rückstand von 2,6 Sekunden. Michele Alboreto lag als Vierter 3,3 Sekunden zurück."

Ayrton Senna Adelaide 1993

Ayrton Senna galt als Meister des klassischen Qualifyings Zoom

"Heutzutage geht es beim Kampf um die Pole-Position um Zehntel-, manchmal sogar um Hundertstelsekunden. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen liegt heute das gesamte Starterfeld innerhalb der zeitlichen Differenz wie sie in Monaco 1988 zwischen dem Polesitter und dem Viertplatzierten lag. Ich glaube, ich muss mich bezüglich meiner Aussage zu Vettel klarer ausdrücken. Fakt ist: Wenn es darum geht, ein Auto bis aufs Letzte auszuquetschen, bewegen beziehungsweise bewegten sich die beiden auf vergleichbarem Niveau. Gleiches gilt übrigens für Lewis Hamilton."

Was tun gegen die "Formel Langeweile"?

Jason Craig (Twitter): "Läuft die Formel 1 angesichts der 2014er-Regeln Gefahr, zu einer langweiligen Sportart zu verkommen? Falls ja, was kann man tun, um dem entgegenzuwirken?"
Anderson: "Jason, das kommt immer darauf an, was man unter langweilig versteht. Ich persönliche finde, dass wir in dieser Saison schon einige tolle Duelle im Feld gesehen haben. Wenn man sich aber das Gesamtbild eines Rennens am Sonntag vor Augen führt, dann fällt einem nicht viel mehr als Prozession dazu ein."

"Schließlich werden der komplette Freitag und das Training am Samstagvormittag dafür aufgewendet, die bestmögliche Rundenzeit aus einem Auto herauszukitzeln. Im Qualifying am Samstagnachmittag wird die Startaufstellung dann basierend auf der Performance bestimmt. Warum sollte also im Rennen ein langsameres Auto plötzlich in der Lage sein, ein schnelleres Auto zu überholen?"

"Was eine mögliche Lösung angeht, so hat wahrscheinlich jeder seine eigene Vorstellung. Einige dieser Ideen wurden im Verlauf der zurückliegenden Jahre umgesetzt. Zunächst ging es darum, die Autos weniger von der Aerodynamik abhängen zu lassen. Dieser Schuss ging nach hinten los. Dann gab es die vom Cockpit aus verstellbaren Frontflügel. Auch diese Maßnahme zeigte nicht den gewünschten Erfolg. Jetzt gibt es das DRS - die künstliche Überholhilfe, die mir persönlich nicht gefällt."

"Meiner Meinung nach sollten schon für das Qualifying am Samstag WM-Punkte vergeben werden. Von mir aus für eine separate 'Geschwindigkeitswertung' innerhalb der Weltmeisterschaft. Die Rennen am Sonntag sollten dann in umgekehrter Reihenfolge des aktuellen WM-Stands gestartet werden. Das würde bedeuten, dass wir wirklich den besten Fahrer als Weltmeister hätten. Schließlich würde es dann nicht nur um das reine Tempo, sondern auch um die Fähigkeit des Überholens gehen."

"Meiner Meinung nach sollten schon für das Qualifying am Samstag WM-Punkte vergeben werden." Gary Anderson

"Vielen der großen Fahrer ist es gelungen, von weit hinten in der Startaufstellung ein gutes Ergebnis, wenn nicht sogar einen Sieg, einzufahren. Vettel zum Beispiel startete in Barcelona von Position 15 und wurde am Ende Vierter. Darüber war er sehr glücklich. Wäre er als Vierter gestartet und einfach auf dieser Position ins Ziel gefahren, hätte er eine finstere Miene aufgesetzt."

Kann Marussia Sauber einholen?

Josue Lopez (Twitter): "Glaubst du a) dass Marussia zu Sauber aufschließen kann und b) dass Caterham in der kommenden Saison noch in der Formel 1 dabei sein wird?"
Anderson: "Jose, da Marussia und Sauber beide mit derselben Antriebseinheit, nämlich der von Ferrari, fahren, stellt sich diese Frage nicht. Sauber hat die Erfahrung von Adrian Sutil im Team, sollte also im Hinblick auf die Fahrzeugentwicklung die Nase vorn haben. Ich glaube aber, dass bei Marussia das bessere Designteam beschäftigt ist. Dort arbeiten von der Chefetage bis nach unten nur Racer."

Adrian Sutil, Jules Bianchi

Sauber und Marussia: Anderson sieht bei beiden Stärken und Schwächen Zoom

"Um also die Frage zu beantworten: Es wird letztlich vom Geld abhängen. Ich glaube, dass Marussia zumindest von Zeit zu Zeit näher dran sein kann. Wird das reichen, um ihnen den entscheidenden WM-Punkt mehr zu ermöglichen? Das wiederum wird von der Zuverlässigkeit des Gegners abhängen."

"Was Caterham betrifft: Tony Fernandes hat ja bereits den einen oder anderen Warnschuss für sein Personal abgefeuert. So nach dem Motto, dass Verbesserungen nötig sind, um im Geschäft zu bleiben. Ich finde, das ist sein gutes Recht. Von den neuen Teams macht Caterham ohne Zweifel die schlechteste Figur. Die Formel 1 ist ein sehr teures Geschäft. Tonys Taschen sind aber nicht unerschöpflich. Nur er selbst weiß, ob er schon bis zum Kleingeld vorgedrungen ist."

Red Bull für Anderson der bessere Mercedes

James Perry (Facebook): "Warum glaubst du, dass Red Bull das beste Aero-Paket hat, wenn Mercedes auf einer Strecke wie Barcelona, wo die Aerodynamik eine große Rolle spielt, eine Sekunde schneller fährt?"
Anderson: "Aerodynamik und Motorleistung sind auf jeder Strecke wichtig. Das entscheidende ist das Verhältnis. Ich würde sagen, mit den aktuellen Regeln sprechen wir bei Barcelona von 50 zu 50. Bei Monaco sprechen wir wahrscheinlich von 40 zu 60 - Motorleistung zu Aerodynamik."

"Wenn man die Autos draußen an der Strecke beobachtet, fällt auf, dass sich der Red Bull beim Einlenken auf die Außenseite der Reifen lehnt. Dabei kommt weder die Front noch das Heck zuerst. Beide Enden des Fahrzeugs rutschen gleichzeitig, wenn der Fahrer zu schnell in die Kurve gegangen ist. Im Vergleich dazu gibt es bei den Autos der Konkurrenz, auch bei Mercedes, ein Untersteuern und/oder ein Übersteuern. Das zeigt, dass die Balance bei diesen Autos nicht optimal ist."

Lewis Hamilton, Sebastian Vettel

Mercedes hat gegenüber Red Bull die Nase vorn, aber nicht in allen Bereichen Zoom

"Eines der Red-Bull-Geheimnisse der vergangenen Jahre war es stets, den Fahrern nicht einfach nur Abtrieb an die Hand zu geben, sondern nutzbaren Abtrieb. Wenn sich das Auto beim Bremsen oder Beschleunigen neigt oder wenn es schnelle Richtungswechsel gibt, dann hat der Red Bull meiner Ansicht nach das stabilste Aero-Paket."

"Daniel Ricciardo kann das im Moment sehr gut umsetzen. Ich glaube, bei Vettel wird es nicht mehr lange dauern, bis er es auch umsetzen kann. Man darf nicht vergessen, dass er sich während der zurückliegenden drei Jahre wie kein anderer den angeblasenen Diffusor zu Nutze gemacht hat. Diesen Fahrstil auf ein komplett neues Regelpaket zu übertragen, ist nicht ganz so einfach."

160 Millionen Euro als Idealbudget

Richard Chilton (Facebook): "Wie hoch sollte das ideale Budget eines Formel-1-Teams sein?"
Anderson: "Richard, wie lang ist ein Stück Schnur? Genau wie unserem Privatleben, so gilt auch für ein Formel-1-Team: Man muss die Finanzen soweit im Griff haben, um nicht in allzu hohe Schulden zu verfallen. Nehmen wir als Beispiel Red Bull, die mit rund 245 Millionen Euro wahrscheinlich das größte Budget aller Teams haben. Wenn wir das mit Marussia vergleichen, wo es ein Budget von rund 75 Millionen Euro gibt, dann wird die große Diskrepanz deutlich."

"Ich glaube, es wäre unverschämt, von Red Bull zu erwarten, mit 75 Millionen Euro konkurrenzfähig zu sein. Auf der anderen Seite ist es für Marussia nahezu unmöglich, 245 Millionen Euro zu finden. Wenn es also einen Weg gibt, um entweder eine Budgetobergrenze einzuführen oder aber die Regeln so zu gestalten, dass man sich irgendwo in der Mitte trifft - sagen wir bei 160 Millionen Euro, was immer noch ein Haufen Geld ist - dann wäre es für alle fairer und tragbarer."

"Es wäre unverschämt, von Red Bull zu erwarten, mit 75 Millionen Euro konkurrenzfähig zu sein." Gary Anderson

"Wichtiger ist aber, dass ein Team finanziell gesehen flüssig bleiben muss. Wenn dem nicht so ist oder aber wenn es Anzeichen gibt, dass man auf rote Zahlen zusteuert und kein Ausweg in Sicht ist, dann müssen sofortige Maßnahmen ergriffen werden."

Schrittweise zu mehr Effizienz

Joe Chrion (Twitter): "Welche aktuelle Formel-1-Technologie siehst du in Zukunft am ehesten im Straßenverkehr eingesetzt?"
Anderson: "Joe, die MGU-H ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein kosteneffizienter Transfer aussehen kann. Dieser Umformer, der dazu verwendet wird, um den Ladedruck zu kontrollieren und gleichzeitig elektrische Energie zu erzeugen, ist eine Win-Win-Situation. Mercedes in Brixworth ist einer der weltweiten Marktführer auf dem Gebiet von Batterietechnologie. McLaren Electronics unterhält Verbindungen mit allen möglichen Partnern außerhalb der Formel 1, wenn es um Steuereinheiten und Systeme zur Datensammlung geht. Die große Herausforderung besteht darin, das Ganze kosteneffizient zu gestalten."

Benzin, Sprit, Schild

Anderson regt an, Spritmenge und Durchflussrate schrittweise zu reduzieren Zoom

James Frankland (Twitter): "Wäre für die Saison 2015 eine weitere Einschränkung der maximal mitgeführten Benzinmenge sinnvoll, da die Formel-1-Autos derzeit mit weniger als 100 Kilogramm Benzin pro Rennen auskommen?"
Anderson: "Für 2015 wäre das wohl ein bisschen früh. Ich denke, die Motorenhersteller brauchen ein weiteres Jahr, bis sich der Staub gelegt hat und sie das Beste aus ihren Möglichkeiten machen können. Unter der Annahme, dass uns die Hybridmotoren langfristig erhalten bleiben, halte ich folgenden Weg für eine realistische Herausforderung: Alle fünf Jahre geht man sowohl mit der maximal mitgeführten Benzinmenge als auch mit der Durchflussrate um fünf Prozent nach unten. Ich kenne die genauen Zahlen nicht, glaube aber, dass dieser Weg im Zusammenspiel mit einer weiteren Vergrößerung der Batteriekapazität unterm Strich eine sukzessive höhere Effizienz bringen würde."