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Funkverbot: Spannungselement oder Schnellschuss?

Unter den Formel-1-Piloten herrscht rege Diskussion über das Funkverbot, das in Australien in Kraft tritt: Wer dafür und wer dagegen ist...

(Motorsport-Total.com) - Es wird leise in der Formel 1. Nein, dabei geht es ausnahmsweise mal nicht um die flüsternden Turbomotoren, sondern um das neue Funkreglement. Noch im vergangenen Jahr erhielten die Fahrer beinahe pausenlos Anweisungen über den Umgang mit ihrem Arbeitsgerät, doch ab dem Großen Preis von Australien wird das vorbei sein: Viele Kommentare seitens des Kommandostands sind ab sofort verboten, sodass der Pilot wieder mehr auf sich alleine gestellt ist.

Titel-Bild zur News: Esteban Gutierrez

Die Formel-1-Piloten sind in Zukunft wieder mehr auf Boxentafeln angewiesen Zoom

Informationen über andere Fahrer sind beispielsweise nicht mehr gestattet, Informationen über die eigene Position im Qualifying ebenso wenig. Und selbst eigene Strategien sind für den Fahrer nicht mehr so ersichtlich, denn außer einem "Box, Box, Box" in der gleichen Runde des Stopps dürfen die Piloten auch darüber nichts mehr erfahren. Diskussionen a la Lewis Hamilton, der in Mexiko die Strategie in aller Ausführlichkeit hinterfragen wollte, sind nicht mehr möglich.

"Er kann sagen, was er gerne hätte. Aber wir dürfen ihm nicht antworten. Wenn dann in der nächsten Runde nicht der Befehl 'Box' kommt, kann er sich ausmalen, dass wir nichts davon halten", erklärt Mercedes' Chefstratege James Vowles bei 'auto motor und sport'. Das gleiche gilt für jegliche Informationen über die Reifen: "Er kann dann in jeder Runde der Box erzählen, wie sich die Reifen anfühlen, aber wir dürfen ihm nicht antworten, wie er damit umzugehen hat", so Chefingenieur Andrew Shovlin.

Routiniers im Vorteil?

So oder so wird es für die Fahrer eine enorme Umstellung werden, wie sie mit ihrem Boliden umgehen müssen. Vor dem ersten Grand Prix der Saison 2016 stellen sich einige Fragen: Bringt das Verbot überhaupt etwas? Welche Piloten kommen gut oder weniger gut damit zurecht? Und was halten die Fahrer eigentlich von dem Eingriff in den Funkverkehr? Antworten dürfte es größtenteils erst nach Australien geben.

Profitieren könnten vor allem die erfahrenen Piloten, meint McLaren-Routinier Jenson Button, der in seine mittlerweile 17. Formel-1-Saison geht: "Die Fahrer, die seit drei Jahren in der Formel 1 sind, sind es gewohnt, dass ihnen alles über Funk gesagt wird", meint er. "Ich erinnere mich noch an die Zeiten, als wir keine Ahnung hatten, was los ist. Ich finde es also gut. Hoffentlich wird das auch gut kontrolliert, damit es so fair wie möglich ist."


Fotos: Großer Preis von Australien, Pre-Events


"Für einen Rookie ist es schwieriger als für jemanden, der schon alles durchgemacht hat", stimmt Neuling Pascal Wehrlein seinem Kollegen zu und sieht mit Augenzwinkern vor allem einen Vorteil: "Der Funkspruch aus Spielberg ('Schieb ihn raus, Timo' in der DTM; Anm. d. Red.) wird mir nicht fehlen." Und auch Nico Rosberg freut sich, dass er sich nicht mehr ferngesteuert alles anhören muss.

Perez: Mehr Belastung statt freierer Fahrt

Die unerfahrenen Piloten bei Toro Rosso sind ebenfalls für die neuen Funkregeln: "Ich habe zwei Wochen nur gelernt und mich wie ein Student gefühlt", sagt Carlos Sainz, "aber wenn die Fans es mögen und es dadurch interessanter wird, dann lerne ich auch gerne noch ein paar Stunden mehr." Teamkollege Max Verstappen fügt an: "Ich bin ohnehin nicht sehr gesprächig im Funk. Ich ziehe es vor, wenn es ruhig ist und man das Fahren genießen kann."

Doch genau das könnte durch das neue Reglement zum Bumerang werden. Statt mehr Fahrgenuss dürfte es in den Rennen nun zu mehr Stress für die Piloten kommen, weil sie nun alles selbst im Blick haben müssen. "Ich glaube das macht für den Sport und die Fans keinen Unterschied. Es ist nur eine zusätzliche Belastung für die Fahrer", kann Force-India-Pilot Sergio Perez dem Unterfangen wenig abgewinnen - genau wie Renaults Kevin Magnussen: "Meiner Meinung nach wäre es schön, wenn wir uns einfach aufs Racing konzentrieren können - so schnell zu fahren wie möglich."

Kritik gibt es dabei vor allem an der neuen Qualifying-Regel, bei der man nicht einmal gewarnt wird, wenn ein schnellerer Kollege hinter einem auf seiner fliegenden Runde ist: "Das könnte zu Chaos führen", sagt Perez, und auch Romain Grosjean meint: "Das kann heiter werden." Zuletzt hatte sich auch Sky-Experte Marc Surer zu Wort gemeldet und gemeint, dass "impeding" - also aufhalten - zu einem häufig gebrauchten Begriff werden wird.

Alonso sieht Strategieelement wegbröckeln

Doch vor allem für das Rennen versprechen sich die Regelhüter mehr Spannung, wenn das Team nicht Spritverbrauch und Reifenmanagement bestimmt und der Fahrer diese Dinge selbst im Auge behalten muss. "Das hört sich recht aufregend und nach einer Herausforderung an. Ich freue mich darauf", sagt Nico Hülkenberg und Romain Grosjean ergänzt: "Wenn dein Lenkrad-Display nicht die richtigen Informationen anzeigt, dann geht einem der Sprit aus. Das könnte für die Zuschauer interessant werden."

Gegenteiliger Meinung ist mit Fernando Alonso ausgerechnet ein alter Hase, dem durchaus Vorteile bei der neuen Regelung eingeräumt werden. Er fürchtet, dass genau das Gegenteil des Plans herauskommen könnte: "Der Fahrer sollte mehr Freiheiten und mehr Einfluss bekommen, aber ich denke, dass wir jetzt gar keinen Einfluss mehr haben werden, denn wir können über den Boxenfunk keine Gespräche mehr führen. Wir werden uns also an das Programm halten, auf das wir uns zwei Stunden vor dem Rennen bei der Strategiebesprechung geeinigt haben", sagt er.

Fernando Alonso, Ron Dennis

Fernando Alonso muss sich die Strategie vorher genau überlegen Zoom

Und vor allem darf die Frage erlaubt sein, ob die Fahrer mit der neuen Technologie überhaupt alleine zurechtkommen, denn die hochkomplizierten Motoren sind schon eine Wissenschaft für sich: "Früher, als man teilweise noch ohne Funk unterwegs war, da waren auch die Autos ganz anders", weiß etwa Sebastian Vettel. "Wenn man jetzt ganz zurückgeht und uns die Autos der 80er-Jahre gibt, dann ist das alles kein Problem, aber das sind Dinge, die ein bisschen kompliziert werden und sich beißen können." Die Piloten werden auf jeden Fall auf eine harte Probe gestellt werden.

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