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  • 29.11.2013 08:09

  • von Dieter Rencken & Dominik Sharaf

Finanzkrise am Siedepunkt: Alarmglocken und Klagelieder

Lotus-Boss Lopez klagt über ein "krankes System" und Verleumdung, Sauber-Teamchefin Kaltenborn sieht "Fortschritte" - Schumacher: "Besorgniserregend"

(Motorsport-Total.com) - Hinter den Kulissen des Formel-1-Zirkus wird kaum ein Thema so intensiv diskutiert wie die Tatsache, dass die Mehrheit der Teams finanziell mit dem Rücken zur Wand steht. Mindestens ein Paydriver ist vielerorts Pflicht, Lotus kann seinen scheidenden Piloten Kimi Räikkönen seit Monaten nicht bezahlen, Sauber musste sich Investoren aus Russland suchen, bei Caterham und Marussia ist der Gürtel sowieso dauerhaft auf das letzte Loch geschnallt. Die Sorgenfalten in der Szene werden immer tiefer.

Titel-Bild zur News: Nachtschicht in der Marussia-Box

Kosten übersteigen Werbewert: Gehen die Lichter bei Marussia bald endgültig aus? Zoom

Michael Schumacher ist die Finanzkrise der Königsklasse nicht entgangen: "Es ist eine wirklich besorgniserregende Situation", warnt der Rekord-Weltmeister im Gespräch mit 'Bild' und spricht damit den Motorsport im Allgemeinen an. "Wirtschaftlich ist es einfach schwieriger geworden. Davon bleibt natürlich auch die Formel 1 nicht verschont." Schumacher ist nicht die erste Größe der Szene, die entschieden mahnt und Missstände anprangert. Getan hat sich auf dem Finanzsektor zuletzt trotzdem wenig.

Monisha Kaltenborn sieht das anders: "Einige werden mich für einen unverbesserlichen Optimisten halten, aber ich glaube, dass wir seit dem vergangenen Wochenende signifikante Fortschritte gemacht haben", so die Sauber-Teamchefin mit Verweis auf Gespräche am Rande des Saisonfinales in Sao Paulo. Die Schweizer treten seit langem für eine strikte Kostenkontrolle in Verbindung mit einer fixen Budgetobergrenze ein, um die Formel 1 für Privatiers wieder erschwinglich zu gestalten. Beaufsichtigen soll das eine rechtlich gestärkte Sportbehörde, die harte Strafe verhängen kann.

Sogar der Branchenprimus stöhnt

Die positiven Zeichen erkennt Kaltenborn in einem Bewusstsein für das Thema, das "jetzt bei allen vorhanden" wäre. Bester Beweis: Christian Horner. Der erste Mann bei Red Bull ist dank eines ausgabefreudigen Getränkeriesen im Kreuz nicht dazu verdammt, jeden Cent umzudrehen, klagt aber über die Turbozukunft: "Die Auswirkungen des neuen Reglements schlagen allein im nächsten Jahr irgendwo in der Größenordnung von 25 bis 40 Millionen Euro zu Buche. Dieses Defizit müssen wir erst einmal stopfen."

Wenn sogar der Branchenprimus bei seinen Rechnungen tief Luft holen muss, läuten bei Promoter Bernie Ecclestone und FIA-Präsidnet Jean Todt die Alarmglocken, weiß Kaltenborn: "Es geht nicht nur um ein oder zwei Teams, die manchmal von irgendwelchen Leuten ins Visier genommen werden", so die Österreicherin. "Das hat sich bis ganz nach oben, einschließlich des Inhabers der kommerziellen Rechte und der FIA, herumgesprochen." Maßgeblich dazu beigetragen haben dürfte auch die Situation bei Lotus.


Fotostrecke: Die wertvollsten Paydriver

Mehrheitseigner Gerard Lopez kokettiert offen mit einem Ausstieg aus dem Geschäft, das für seine Farben eigentlich längst keines mehr ist: "Wir hatten immer drei Möglichkeiten: Keine Formel 1 betreiben, Formel 1 betreiben und mit kleinerem Budget als andere gut sein, oder Formel 1 betreiben ohne in ein Team zu investieren", zählt der Luxemburger auf und meint unumwunden: "Ersteres ist für uns noch immer akzeptabel. Wir könnten gut sagen: 'Wir haben keine Lust mehr, weil das Modell Formel 1 zugrunde gerichtet ist.'"

"Wir könnten gut sagen: Keine Lust mehr!" Gerard Lopez

Kompensation durch Sponsoren? Höchstens an der Spitze

Besonders erschreckend am Fall Lotus ist, dass eine massive Finanznot nicht einen Hinterbänkler trifft, sondern eine Truppe, die um Siege wenn nicht sogar um den WM-Titel fährt. Als Besitzer des Unternehmens Genii Capital, dessen Logos auf den Seitenkästen prangen, sei er sehr viel risikofreier und kostengünstiger in der Lage, den identischen Ertrag erzielen - und könnte dabei hofiert werden wie einer der heiligen drei Könige: "Für ein Zehntel des Geldes könnte ich Sponsor sein, das wäre sehr viel billiger. Die Leute würden mir den roten Teppich ausrollen."

Schließlich sind Geldgeber längst ein rares Gut - und das nicht erst seit der Krise in der Euro-Zone. Horner weiß, dass er in der glücklichen Lage ist, die Mehrkosten über Sponsoring-Einnahmen auszugleichen. Der Brite kennt aber auch die Situation der Mannschaften, die nicht um WM-Punkte geschweige denn um Podestplätze kämpfen: "Wenn man in der Startaufstellung weiter nach hinten schaut, dann scheint es mir unmöglich, den Spagat zu schaffen zwischen Kosten und Werbewert", so der Red-Bull-Teamchef.

Heikki Kovalainen

Bei Lotus sieht es ohne Investor in den Kassen eher trübe aus Zoom

Im Fall Lotus allerdings scheint dieses Modell mit sportlichem Erfolg nicht zu funktionieren - auch wenn Lopez darum bemüht ist, die Lage so rosig wie nur möglich darzustellen. "Wir haben das Team in den Griff bekommen, investiert und niemanden gefeuert", erklärt der Investment-Fachmann und mokiert sich über diejenigen, die ihn als säumigen Schuldner abstempeln: "Wir haben getan, was wir tun mussten. Ich finde es respektlos, dass einige Leute, sogar aus Teams, die mehr Geld kassieren, sagen: 'Wir finden es nicht normal, dass sie einen Fahrer nicht bezahlt haben.'"

Kaltenborn fordert: Lösen, nicht dramatisieren

Hinzu kommt, dass Lopez ihm und Lotus angedichtete Probleme für "reine Erfindung" hält und wittert, dass bestimmte Personen entweder vom herrschenden Modell profitieren und es um jeden Preis erhalten oder das Team ganz bewusst schwächen wollen. "Erstens sollten sie ihr eigenes Geld ausgeben, ehe sie Kommentare vom Stapel lassen. Zweitens Leistung anbieten ohne einen riesigen Konzern im Rücken zu haben. Drittens würde ich ja wirklich still sein, würde der Sport mehr Geld einbringen", macht Lopez seinem Ärger Luft.

Für Kaltenborn käme es nicht infrage, öffentlich so zu poltern: "Ich finde, dass man daraus kein großes Thema machen sollte, sondern wir sollten uns auf die Formel 1 als Sport konzentrieren", meint die Sauber-Verantwortliche und mahnt zur Contenance: "Man muss es nicht zu riesengroßen Problemen dramatisieren, aber es gibt welche, die wir lösen müssen." Allerdings ist die dringendere Frage nicht die nach dem "Ob", sondern die nach dem "Wie". Horner würde den Rotstift gerne auf der Ausgabenseite ansetzen.

Ihm sind die Umkosten für die Regelnovelle mit ihrer komplizierten Technik genauso ein Dorn im Auge wie die Tatsache, dass die Königsklasse wieder unter der Saison testen geht. Oder sind die Gehälter der Grund für die Finanzkrise? John Barnard ist jedenfalls dieser Auffassung. Der Ex-Designer, der einst die Halbautomatik und das Karbon-Chassis in die Szene brachte, erinnert sich im Gespräch mit 'Autosport' an die Zeit nach seinem Engagement bei Ferrari, als er mit einer eigenen Firma für die Hinterbänkler Arrows und Prost arbeitete.

"Für jeden Fabrikarbeiter wird zu viel hingeblättert." Ex-Designer John Barnard

Wahnwitzige Gehälter schuld an der Krise?

Barnard hat nur Spott für Teamchefs übrig, die auf hohem Niveau wehklagen würden: "Es bringt mich zum Lachen, wenn ich heute höre, dass die Jungs in der Formel 1 über knapp werdendes Geld jammern", so der Brite, der die Formel 1 in ganz anderen Sphären wähnt als den normalen Fließbandarbeiter im Autowerk: "Wenn man die Außenwelt zurückkommt, wird einem klar, dass für jeden zu viel hingeblättert wird - hinunter bis zu dem Kerl in der Fabrikhalle. Man erkennt, dass man grundlegende Strukturen verändern muss."

Christian Horner, Bernie Ecclestone

Horner (links) und Ecclestone haben Gesprächsbedarf, wenn es um Kosten geht Zoom

Diese Meinung vertritt auch Lopez, der glaubt, dass in der Beletage des Motorsport vieles schief läuft. Seine Beschreibung der Szene fällt alles andere als schmeichelhaft aus: "Ein Sport, in dem die Reichen reicher werden und die anderen, die einen großen Teil des Sport ausmachen, um das Überleben kämpfen - keine gesunde Situation." Horner wünscht sich, dass endlich Klartext gesprochen wird: "Das Problem ist: Solange wir nur herumtanzen und dem Kern der Sache nicht auf den Grund gehen, wird sich auch nichts ändern."