• 20.08.2003 15:50

  • von Marco Helgert

Ferraris Elektronik-Wunderhirn

Der Deutsche Dieter Gundel, bei Ferrari für die Elektronik verantwortlich, spricht über seine Aufgabengebiete

(Motorsport-Total.com) - In der heutigen Zeit der hochtechnologischen Formel 1 fällt der Elektronik eine immer stärkere Bedeutung zu. Vorbei sind die Zeiten, in denen ein Gustav Brunner an einem Wochenende einen neuen ATS-Boliden konstruierte ? inklusive Getriebe. In einem Formel-1-Team müssen heute verschiedenste Arbeitsgebiete reibungslos verzahnt werden, und der Deutsche Dieter Gundel ist bei Ferrari dabei für die Elektronik verantwortlich.

Titel-Bild zur News: Dieter Gundel, Elektronikentwickler bei Ferrari

Dieter Gundel: Seit mehr als drei Jahren für Ferraris Elektronik verantwortlich

Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen war und ist Gundel kein enthusiastischer Motorsportfan. "Wie die meisten anderen verließ ich Universität um in die Industrie zu gehen, das hatte rein finanzielle Gründe", so Gundel. "Ich habe Mitte der 80er Jahre bei Bosch begonnen und stieß dann zum Motorenprogramm von TAG. Dann bin ich zu TAG electronics und schließlich zu Ferrari gewechselt. Ich bin an sich kein Motorsportenthusiast, aber gleichzeitig macht es mich stolz und zufrieden, wenn ich ein Auto gewinnen sehe, dass von einem Elektroniksystem unterstützt wird, welches ich mitentwickelt habe."

Der Umfang der Elektronik hat sich in den letzten Jahren spürbar erhöht. "Ein halbes Dutzend der heute in den Autos befindlichen Kontrollsysteme haben mehr Rechenpower als ein IBM-Großrechner von vor zehn Jahren", so Gundel, der nach jeder Fahrt des Autos von einem zentralen Punkt aus die Daten herauszieht und zur Analyse heranzieht. Dies geschieht sowohl an der Strecke und im Werk in Maranello.

"Der Fahrer ist der beste Sensor"

"Durch die Analysen der gesammelten Daten können die Ingenieure entscheiden, welche Veränderungen sie am Auto durchführen wollen", erklärte er. Die Systeme sind mittlerweiße so ausgeklügelt, dass sie vollkommen autark funktionieren, doch der Fahrer sei deshalb noch lange nicht unwichtig. "Der Fahrer ist der beste Sensor den wir haben."

"Dinge wie die Traktionskontrolle, die Differentialeinstellungen oder die Leistung des Motors können sehr stark vom Reifenabrieb, der Temperatur und anderen Dingen abhängen, der Fahrer kann dabei am besten entscheiden, was benötigt wird", so Gundel. "Auf einigen Kursen muss er womöglich in jeder Runde Einstellungen vornehmen, um eine bestimmte Kurve besser fahren zu können. Das zu automatisieren und immer zum richtigen Zeitpunkt zu schaffen wäre unmöglich."

Sicherheitsbedenken hat der Deutsche in Bezug auf die Elektronik jedoch nicht, doch "man soll niemals nie sagen. Uns ist es noch nie passiert, und die Wahrscheinlichkeit, dass ein System während des Rennens verrückt spielt, ist sehr gering. Manchmal funktionieren sie nicht mehr, aber das ist dann kein Sicherheitsrisiko. Jedes System wird ausgiebig getestet, ehe es in das Auto kommt, und wichtige Dinge wie die Gassteuerung haben ein Backup-System."

Elektronik erfordert riesigen Testaufwand während einer Saison

Vor seiner Zeit, Gundel ist erst seit etwas mehr als drei Jahren bei den Roten aus Maranello, gab es jedoch einen Vorfall bei Ferrari, der zeigte, dass auch die Elektronik ein gewisses Gefahrenpotential besitzen kann. In Estoril vergaß man beim Auto von Gerhard Berger dem Computer des elektronischen Aufhängungssystems zu sagen, dass neben der Start- und Zielgerade auch die Boxengasse verläuft. Das Auto war für die wellige Boxenstraße zu tief eingestellt, bei der Ausfahrt nach seinem Stopp setzt der Ferrari auf und Berger war nur noch Passagier. Um Haaresbreite schoss sein Ferrari zwischen zwei anderen fahrenden Autos hindurch.

Während die meisten Verantwortlichen bei den Teams mit der Abschaffung der Zwei-Wege-Telemetrie leben konnten, trauert der Deutsche diesem System nach. "Der größte Vorteil einer weiteren Verwendung hätte darin bestanden, dass wir Probleme während des Rennens diagnostizieren und lösen könnten. Das hätte sicher auch der Sicherheit einen Dienst erwiesen."

Nach dem Ungarn-Grand-Prix darf in der Formel 1 wieder getestet werden, und Ferrari hat als Top-Team die Testpause nicht tatenlos verstreichen lassen. "Der Monza-Test nach Ungarn wird sehr hart werden", so Gundel. "Wir haben viele neue Dinge in der Hinterhand, die in den letzten Wochen entwickelt wurden." In einer Saison entwickelt er mit seinem Team knapp 200 Softwareversionen, etwa zwölf werden bei einem Test ausprobiert. Kein Wunder, dass Ferrari zwei Testfahrer engagiert.