Ferrari: Mammutaufgabe Yeongam
Wie Ferrari sich auf die Unbekannte Yeongam vorbereitet hat, wie lange ein Fahrer zum Strecken-Lernen benötigt und welche Details ein Rennwochenende gefährden können
(Motorsport-Total.com) - Yeongam - das ist die wohl größte Unbekannte der Formel 1 seit langem. Und das, obwohl man heute so gut wie alles in sündteuren Simulationen testen kann. Doch was tun, wenn die Strecke erst im letzten Moment fertig wird und es lange gar nicht genügend Daten für ein Simulationsprogramm gibt? Ferrari gibt Einblicke in die harte Realität, in der trotz der schwierigen Ausgangslage keine Fehler erlaubt sind, zumal Fernando Alonso nach wie vor um den WM-Titel kämpft.

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Auch für die Teams bedeutete die Vorbereitung auf Südkorea viel Arbeit
"Um die Möglichkeit böser Überraschungen zu minimieren, schicken wir unsere Logistiker aus, sobald ein neuer Austragungsort im Kalender aufscheint", erklärt Ferraris Sportdirektor Massimo Rivola die ersten Schritte: "Sie erforschen dann den neuen Kurs, den Austragungsort sowie die nächsten Städte, Hotels und Transportmittel. Das ist wichtig, damit das Team mit einem Minimum an Stress arbeiten kann."
Doch damit nicht genug: Um konkurrenzfähig zu sein, ist jede Detailinformation über die neue Rennstrecke wertvoll. "Die Logistiker müssen uns Informationen über den Garagenraum, die zur Verfügung stehenden Einrichtungen und Stromquellen, Büroräume und so weiter geben, wir brauchen aber auch Daten über die technischen Charakteristika des Streckenlayouts."
Brennpunkt Boxenstraße
Doch wie kommt man überhaupt an diese Informationen? Speziell im Fall Yeongam dauerte es lange, bis man die Lage überhaupt einschätzen konnte - ein Lokalaugenschein ist da zu wenig. "Sobald wir erfahren, dass eine neue Strecke bestätigt ist, bitten wir die FIA, uns so viele Informationen wie möglich zu geben, damit wir mit dem Aufbau unserer Simulationsprogramme beginnen können, denn davon können wir viele Erkenntnisse gewinnen", erklärt Rivola. Schließlich stehen dem Automobilweltverband schon vor dem Bau die Pläne zur Verfügung.
Dabei steht nicht nur die Rennstrecke selbst im Vordergrund. "Vor allem Informationen über die Boxengasse sind wichtig", weiß der Ferrari-Sportdirektor. "Die Dimensionen beeinflussen schließlich die Sicherheit der Mechaniker während der Veranstaltung, vor allem bei den Boxenstopps. Es ist meine größte Sorge, dass sie in einer sicheren Umgebung arbeiten können. Von Interesse ist aber auch die Boxenstraße und die Abstände zwischen den Boxen, da dies die Art und Weise beeinflusst, wie man die Autos nach dem Stopp zurück ins Rennen schickt. Es ist nie leicht, diese Informationen zu bekommen, denn obwohl Boxen und Boxengasse meist zu den ersten Dingen zählen, die bei einem neuen Kurs gebaut werden, werden Details wie die weißen Linien meist zuletzt hinzugefügt."
Man versucht freilich trotz der enormen Herausforderungen, dem Original so nahe wie möglich zu kommen. Dass es Abweichungen geben wird, liegt auf der Hand, bestätigt Rivola: "Ich bin mir ganz sicher, dass wir kleine Unterschiede zwischen der Simulation und der Realität finden werden." Dennoch ist die Simulation für die Teams und auch für die Fahrer von enormer Bedeutung, da sie die einzige Möglichkeit vor dem Rennwochenende ist, sich an die neue Umgebung heranzutasten.
Formel-1-Neuland einst und heute
Ferrari-Chefingenieur Chris Dyer erinnert sich an die "alten" Zeiten: "Früher hatten wir nur eine CAD-Zeichnung (computer-aided design, Anm.), daraus rechneten wir die Ideallinie hoch. Mit den vorhandenen Werkzeugen errechneten wir dann die Übersetzung und das wahrscheinliche Abtriebslevel. Dennoch handelte es sich dabei bestenfalls um Schätzungen und wir mussten alles auf der Strecke nachprüfen."
Die Einführung der Simulatoren, die vor allem das McLaren-Team maßgeblich beschleunigte, ließ eine deutlich verbesserte Arbeitsweise zu: "Nachdem Fahrsimulatoren eingeführt wurden, stieg der Grad der Exaktheit der vorhandenen Informationen maßgeblich an: Die Fahrer können nun viel besser einschätzen, welche Linie man fahren muss. Zusätzlich bekommen wir dank dem Simulator wichtige Informationen in anderen Bereichen, zum Beispiel die Auswirkung der Randsteine auf das Fahrverhalten. Dank dieser Werkzeuge können wir heute vor dem Eintreffen an der Strecke unterschiedliche Abstimmungen evaluieren, vor allem was die Gewichtsverteilung und Steifigkeit angeht. Außerdem bekommen wir jetzt viel präzisere Informationen, um das aktive Differential und das Motor-Mapping einzustellen."
Doch auch die beste Simulation hat seine Grenzen. Es gibt keinen Ersatz für die reale Erfahrung an der Strecke. Deswegen läuft jeder Fahrer um den Kurs, wenn er an der Rennstrecke eintrifft. Dyer verrät: "Das machen auch wir Ingenieure. Es ist sehr wichtig, ein physisches Verständnis von der Strecke zu haben, zu sehen, wie die Randsteine gemacht sind und in welchem Zustand der Asphalt ist."
Keine Rückkehr nach Maranello
Wenn die Piloten am Donnerstag erstmals an der Strecke in Yeongam eintreffen und um den Kurs gehen, dann sind einige Teammitglieder schon eine Zeitlang vor Ort, wie Rivola bestätigt: "Um unnötige und ermüdende Reisen zu vermeiden, sind einige Mechaniker und operative Mitarbeiter nach dem Rennen in Japan gleich in Asien geblieben. Die Leute, die die Strecke meist zuletzt verlassen und alles zusammen gepackt haben, sind auch die ersten, die beim nächsten Rennen eintreffen und mit dem Aufbau der Garagen und anderer Dinge beginnen. Doch die Ingenieure sind nach dem Wochenende in Suzuka nach Maranello zurückgekehrt, um den F10 weiter zu entwickeln und Simulationen für diese neue Strecke durchzuführen."¿pbvin|512|3212||0|1pb¿
Davon profitiert der Rennstall, wenn es am Freitag gilt, die beste Abstimmung zu finden. Dieses Verfahren wird in Südkorea zu einer besonderen Herausforderung. Der Grund ist die Unberechenbarkeit des Asphalts, der erst zwei Wochen vor dem Rennen gegossen wurde. Dadurch kann sich das Griplevel sehr kurzfristig ändern. "Es ist wie es ist", zuckt Dyer mit den Schultern. "Man kann nichts dagegen tun. Aus diesem Grund muss man die Daten vom Freitag sehr sorgfältig evaluieren."
Wie schnell lernen die Piloten die Strecke?
Um repräsentative Daten zu erhalten, ist es wichtig, dass die Piloten die neue Strecke bald beherrschen. Doch wie lange dauert es, bis dies der Fall ist? Der Australier, der schon mit Michael Schumacher und Kimi Räikkönen zusammengearbeitet hat, sagt: "Es hat mich immer schon überrascht, wie schnell die Fahrer herausfinden, welche die beste Linie ist. Natürlich sind heute die Simulatoren eine große Hilfe, doch sie brauchen normalerweise ein halbes Duzend Runden, um zu 95 Prozent ein Verständnis der Strecke zu erlangen. Es bleibt also genügend Zeit, um die fehlenden fünf Prozent zu finden, die dann den Unterschied machen."
Vor allem in Yeongam ist es daher wichtig, dass die Piloten und ihre jeweilige Mannschaft gut zusammen arbeiten: "Es ist möglich, dass ein Fahrer eine Kurve etwas anders anfährt, als sein Teamkollege. Da ist es nützlich, wenn man vergleichen kann, um schnellstmöglich eine Lösung zu finden." Auch wenn die Tribünen in Yeongam vermutlich relativ spärlich besetzt sein werden, können sich die Fans auf viel Action gefasst machen. Dyer verspricht: "Bei neuen Strecken muss man es dem Fahrer erlauben, Vertrauen zu finden. Deswegen wird die gefahrene Kilometeranzahl wohl höher als üblich sein."

