• 09.10.2003 14:43

  • von Marco Helgert

Ferrari: Der Moment der Wahrheit

Ross Brawn über die Anspannung vor dem letzten Rennen, die historischen Chancen und eine durchwachsene Saison 2003

(Motorsport-Total.com) - Michael Schumachers Vorsprung von neun Punkten auf Kimi Räikkönen sind ein gutes Ruhepolster, doch man darf nicht vergessen, dass Ferrari auch die Konstrukteursmeisterschaft gewinnen will. Hier haben die "Roten" gerade einmal drei Punkte Vorsprung. Umso wichtiger ist es, dass man gut vorbereitet nach Japan reist und alles Erdenkliche umsetzt, um im Kampf um beide Meisterschaften bestehen zu können.

Titel-Bild zur News: Ferraris Technischer Direktor Ross Brawn

Ferraris Technischer Direktor Ross Brawn: Angst vor dem Unerwarteten

"Eine zu konservative Herangehensweise könnte die Arbeit zerstören", so Ferraris Technischer Direktor Ross Brawn. "Wir können jedoch auch nicht zu viele unnötige Risiken auf uns nehmen, es wird ein Balanceakt. Zum jetzigen Zeitpunkt der Saison wird alles überprüft, und noch einmal überprüft. Abgesehen davon werden wir ein normales Rennprogramm absolvieren."

Außerdem habe "jedes Jahr eigene Herausforderungen", wie Brawn betonte. Manchmal sei die technische Basis nicht optimal, manchmal arbeiten das Team und die Fahrer nicht reibungslos. Auch politische Interessen der Formel 1 können sich negativ auswirken. "Es war von den technischen und politischen Herausforderungen ein normales Jahr. Ein hartes, aber hoffentlich auch ein lohnendes Jahr. Es war sicher nicht so einfach wie 2002, aber das war ohnehin eine anormale Saison."

Ferrari in der Saison 2003 ? ein Wechselbad der Gefühle

"Wenn Michael (Schumacher) seinen sechsten Fahrertitel und Ferrari seinen fünften Konstrukteurstitel in Folge gewinnen würde, dann wäre das etwas, was noch nie zuvor erreicht wurde. Es wäre wirklich etwas Spezielles", so der Brite. Doch ein Titelgewinn kann nicht die vorhandenen Schattenseiten dieser Saison erhellen.

"Es war ein sehr gemischtes Jahr für uns", so der 48-Jährige. "Die wichtigste Phase waren Michaels vier Siege in fünf Rennen zur Mitte der Saison, nach einem äußerst mittelmäßigen Start. Auch seine letzten beiden Siege waren Höhepunkte, davor gab es einige schlechte Ergebnisse. Auch Rubens' Sieg in Silverstone war fantastisch. Wichtig für mich ist, dass das Team nie aufgegeben hat. Es gab Enttäuschungen, aber das Team hat nie an den eigenen Fähigkeiten gezweifelt."

Im Falle von Michael Schumacher zweifelte die Fachwelt jedoch an der Einstellung des amtierenden Weltmeisters, denn Rubens Barrichello qualifizierte sich immer häufiger vor dem Kerpener. "Die Qualifikation mit nur einer Runde übt auf jeden Fahrer einen anderen Druck aus, und je weiter die Saison voranschritt, desto ungünstiger wäre ein Fehler gewesen. Ich bin sicher, dass es die Psyche der Fahrer beeinflusst hat."

"Rubens ist ein sehr schneller Fahrer, und er hat Michael immer Gegenwehr geleistet", so Brawn. "Michael hat sich in den letzten Jahren kaum verändert, und ich denke, dass dies eine seiner Stärken ist. Er hat sicher nichts von seinem Enthusiasmus, seiner Entschlossenheit oder seinen Fähigkeiten verloren. Er hat einfach an Erfahrung gewonnen, und daher ist er immer noch der Bezugspunkt für alle Formel-1-Fahrer."

Japan-Grand-Prix: Hauptsache zuverlässig

Als Vorbereitung auf den letzten WM-Lauf spulte Ferrari wie gewohnt ein großes Testprogramm ab, auch wenn keine großen Veränderungen mehr am Auto vorgenommen wurden. Wichtig ist jedoch die Zuverlässigkeit in Japan. "Wenn alles von einem Resultat abhängt, dann ist man für das Unerwartete immer anfällig. Man kann nur das tun, was einem möglich ist, über den Rest sollte man sich dann nicht sorgen."

Die Weltmeisterschaft ist in dieser Saison so spannend wie seit Jahren nicht mehr. Für Ross Brawn liegt dies jedoch nicht nur an den Regeln. "Einiges davon geht auch darauf zurück, dass zwei oder drei Teams einfach einen besseren Job machen. Wir sollten zu viele Änderungen vermeiden, das jetzige Format sollte sich setzen. Alles andere würde die Öffentlichkeit kaum verstehen und ein falsches Signal aussenden."

"Ich denke schon, dass wir das Abschlusstraining vielleicht etwas aufregender gestalten sollten, und dass wir am Sonntagmorgen ein bisschen aktiver sind. Wir müssen sicherstellen, dass die zahlenden Zuschauer für ihr Geld etwas geboten bekommen. Der freie Zugang zur Boxengasse am Donnerstag in Indianapolis war ein großer Erfolg, darauf kann man aufbauen."

Wie Michael Schumacher bereits im Vorfeld des Rennens betonte, ist "noch nichts gewonnen", daher hütete sich das Ferrari-Team auch davor, eine WM-Party zu organisieren. Aber: "Wenn wir gewinnen, dann wird es sicher eine große Party geben. Wir können unsere Erfolge noch genießen. Wenn wir verlieren sollten, dann brauchen wir wohl etwas Zeit, um uns zu erholen."