Feiern Testfahrten bald ein Comeback?

Das Testverbot in der Formel 1 steht bei Fahrern und Teams zunehmend in der Kritik - wie man es umgehen kann und warum es bald fallen könnte

(Motorsport-Total.com) - Vor einigen Jahren ächzte die Formel 1 unter den endlosen Testorgien. Und Flavio Briatore wunderte sich zurecht, warum man vor einer Geisterkulisse hunderte von Runden dreht, während dann an den Rennwochenenden die Motoren geschont werden und kaum Autos auf der Strecke sind. "Man dreht Runde um Runde, findet ein paar Zehntel. Doch das tut jeder, man bleibt also am Nullpunkt", brachte der ehemalige Renault-Teamchef das Dilemma auf den Punkt. "Niemand schaut zu - und es kostet ein Vermögen. Sagt mir, warum wir nicht mehr Rennen haben und den Freitag zum Testtag machen. Das ist es doch, was die Leute wollen."

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Auch Michael Schumacher könnte Testfahrten dringend gebrauchen

Gesagt, getan. Das Testen wurde inzwischen weitgehen aus der Formel 1 verbannt - gerade vor der Saison bleiben den Teams noch ein paar Tage, um die neuen Boliden auf den ersten Grand Prix vorzubereiten. Und tatsächlich: An den Rennwochenenden wird mehr gefahren, auch am Freitag kommen die Zuschauer wieder auf ihre Kosten. Doch auch die aktuelle Lösung ruft mehr und mehr Kritiker auf den Plan. War es wirklich richtig, die Testfahrten während der Saison zu verbieten?#w1#

Neue Fahrer als Opfer des Testverbots

Bereits im Vorjahr zeigten sich die Schattenseiten. Luca Badoer, Giancarlo Fisichella, Michael Schumacher, Jaime Alguersuari - sie alle konnten ein Lied davon singen. Während der Saison in einen gänzlich unbekannten Formel-1-Boliden einzusteigen erwies sich für viele Piloten als Alptraum. Vielen blieb bloß der Freitag, um sich auf ihre neuen Arbeitsgeräte einzuschießen. Dass dies auch gefährlich sein kann, zeigte der spanische Toro-Rosso-Neuling Alguersuari, der vor dem Ungarn-Grand-Prix keine Formel-1-Erfahrung vorzuweisen hatte und in seinen ersten Rennen haarsträubende Fehler machte, die durchaus auf fehlende Kilometer zurückzuführen waren. 2010 wirkt der Pilot aus Dr. Helmut Markos Red-Bull-Juniorteam bei weitem abgebrühter als noch im Vorjahr.

"Solange es keine teuren, eigenständigen Testteams gibt, bin ich dafür, dass wir rund um die Rennen oder danach testen." Ross Brawn

Auch die Piloten der Nachwuchsklassen leiden massiv unter der Testbeschränkung. War es in den vergangenen Jahren noch verhältnismäßig einfach, sich mit guten Leistungen für einen Formel-1-Test zu empfehlen, so steht den Youngster inzwischen nur noch der Young-Driver-Test am Ende der Saison zur Verfügung, um auf sich aufmerksam zu machen und Formel-1-Erfahrung zu sammeln - der "Jugendwahn" in der Formel 1 wurde somit unterbrochen.

Doppelbelastung: Tests am Rennwochenende

Doch nicht nur die Fahrer klagen, auch die Teams verzweifeln am Testverbot. So musste Mercedes seine Autos in Valencia auf eine frühere Stufe zurückbauen, weil die neuen Entwicklungen nicht den gewünschten Erfolg brachten. Man dachte ursprünglich, dass der Auspuff die Reifen überhitzt, was sich als Fehlurteil herausstellte. "Wir mussten die Isolierung vergrößern", erklärt Teamchef Ross Brawn. "Das hat es nicht leichter gemacht, da davon aerodynamische Teile betroffen sind. Das ist die Herausforderung, mit der bei diesem Reglement alle konfrontiert sind. Wir können nicht testen, also müssen wir es am Freitag tun. Wir dachten, dass wir die Probleme über Nacht lösen können, doch auch am Samstag funktionierte es nicht, weshalb wir weitere Modifikationen vornehmen mussten. Ich denke, wir begreifen es jetzt, doch in Sachen Performance hat das nicht geholfen."

Leidtragende sind auch die Mechaniker, die neben dem üblichen Stress eines Rennwochenendes zusätzliche Testarbeit verrichten müssen - Nachtschichten bis in die frühen Morgenstunden sind die Folge. Bei Testfahrten könnte man all die Entwicklungsprobleme schneller aussortieren - und dadurch vielleicht sogar Kosten einsparen, wenn man die Anzahl der Tests auf ein sinnvolles Maß reduziert. Dieser Meinung ist zumindest Brawn: "Das sollten wir uns genau ansehen. Ich finde nicht, dass wir wieder zu eigenständigen Testteams zurückkehren sollten, denn das ist ein Schritt, durch den die Kosten steigen. Doch ich wäre dafür, dass wir rund um die Rennen oder danach testen."

"Aus der Perspektive eines Ingenieurs müssen wir fehlende Testfahrten mit Prüfstandversuchen und Analysen kompensieren. " Geoff Willis

Doch sind Testfahrten für die kleinen Teams in der Formel 1 überhaupt leistbar? Zuerst hatte man ihnen die "Königsklasse" des Motorsports mit der Budgetobergrenze schmackhaft gemacht - würde man die neuen Teams nach der Einführung der 107-Prozent-Regel für 2011 durch eine Testfreigabe endgültig vergraulen? Geoff Willis, Technikchef bei HRT, sieht die Lage differenzierter: "Aus der Perspektive eines Ingenieurs müssen wir fehlende Testfahrten mit Prüfstandversuchen und Analysen kompensieren. Es war richtig, unbeschränkte Testfahrten zu verbieten, doch es wäre ausgeglichener, hätten wir für alle Teams einige fixe Testzeiten, die kommerziell genutzt werden können. Oft gibt es lange Zeiträume, in denen die Formel 1 nicht in Europa ist - da würde sich ein Test in Spanien, in Italien und einer in Großbritannien anbieten. Der Nachteil wäre dann allerdings, dass wir wieder zusätzliche Testteams bräuchten."

Wie man trotz Testverbots testen kann

Die absurde Situation eines eigenen Teams, das bloß für Testfahrten eingesetzt wird, gibt es in der Formel 1 derzeit nicht, dafür gibt es absurde Schlupflöcher im Reglement, um versteckte Tests durchzuführen. So beantragte Ferrari bei der FIA Demonstrationsfahrten auf der hauseigenen Teststecke in Fiorano für Filmaufnahmen - zufällig setzte man dabei das Chassis mit der brandneuen, ungetesteten Heckpartie ein. Auch Renault und Mercedes kamen dieses Jahr bereits mit einer ähnlichen Strategie auf vereinzelte Testkilometer. Darauf angesprochen, verweist Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali auf das Reglement: "Der Filmtag war eine klare Sache, doch wenn die Leute sich so nicht wohl fühlen, dann sollte man den Wortlaut in Ordnung bringen. Damit hätte ich kein Problem."

"Der Filmtag war eine klare Sache, doch wenn die Leute sich so nicht wohl fühlen, dann sollte man den Wortlaut in Ordnung bringen. " Stefano Domenicali

In Silverstone setzt auch McLaren zum ersten Mal das neue in den Diffusor integrierte Auspuffsystem ein - stehen nun auch Filmaufnahmen an? Teamchef Martin Whitmarsh grinst und winkt ab: "Wir machen keinen Filmtag. Wir werden einen Straight-Line-Test machen und einen dieser Tage dafür verbrauchen - das ist fairer." Genau das Gegenteil wirft er Ferrari vor: "Ich habe eigentlich nicht gedacht, dass die Testregeln klarer formuliert werden müssen, doch für einige wäre das vielleicht notwendig. In der Formel 1 gibt es sehr viel Konkurrenz und die Leute versuchen, aus jeder Zweideutigkeit einen Vorteil zu ziehen."

Comeback der Tests?

Whitmarsh ist der Meinung, dass die Formel 1 in Zukunft vermehrte Testfahrten vertragen würde: "Durch die Weltwirtschaftskrise mussten wir harte Maßnahmen setzen, doch jetzt gibt es erste Anzeichen für eine Verbesserung der Lage, also können wir wieder mehr testen. Wenn sich das Wohlergehen der Teams wieder verbessert, dann sollte das möglich sein." Doch in welchem Ausmaß soll getestet werden, Martin? "Ein oder zwei Tests pro Jahr, bestehend aus vielleicht zwei oder drei Tagen mit nur einem Auto, damit wir die Möglichkeit haben, Dinge in Ordnung zu bringen."

"Durch die Weltwirtschaftskrise mussten wir harte Maßnahmen setzen, doch jetzt könnten wir wieder mehr testen." Martin Whitmarsh

Vielleicht geht es schneller als viele glauben, dass die Tests in der Formel 1 ein Comeback feiern. Zumal die kommende Saison radikale Änderungen verspricht: Neue Pirelli-Reifen, ein revolutionärer, verstellbarer Heckflügel, die Rückkehr von KERS - zumindest in Sachen Sicherheit wären da Testfahrten ein Schritt in die richtige Richtung.