• 06.05.2011 01:55

  • von Stefan Ziegler & Dieter Rencken

Faszination Kurve acht: "Eine sehr spezielle Ecke"

Die Fahrer der Formel 1 schwärmen von Kurve acht in Istanbul: Mehrere Scheitelpunkte und einige Bodenwellen fordern den Piloten dort einiges ab

(Motorsport-Total.com) - Nicht jede Formel-1-Strecke der neuen Generation weiß so zu begeistern wie der 5,3 Kilometer lange Istanbul Park Circuit. Dies liegt vor allem an der schwierigen Kurve acht, die als ein Meisterstück von Architekt Hermann Tilke gehandelt wird. Mit über 250 km/h rasen die Fahrer in diese Passage hinein und meistern bei nahezu Vollgas nicht weniger als vier Scheitelpunkte und diverse Bodenwellen.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg

Aufsetzende Autos sind in Kurve acht von Istanbul wirklich nichts Außergewöhnliches

Entsprechend hoch sind die g-Kräfte in dieser Linkskurve, was durch die Fahrtrichtung in Istanbul noch verschärft wird: Das "Otodrom" ist einer der wenigen Kurse im Kalender der Formel 1, die gegen den Uhrzeigersinn befahren werden. Je mehr der 58 Rennrunden absolviert sind, umso heftiger zerren die Fliehkräfte in Kurve acht an den Nackenmuskeln der Piloten - ein spektakulärer Abschnitt!

Jenson Button (McLaren) ist ein erklärter Fan von Kurve acht, tut sich aber schwer damit, die besondere Faszination dieser Ecke in Worte zu fassen. "Es ist schwierig zu verstehen, wenn man selbst noch nie derartige Kräfte erlebt hat. Man ist ihnen dort für eine lange Zeit ausgesetzt. Aufgrund der Bodenwellen gibt es zusätzlich noch einige Vibrationen", beschreibt der britische Ex-Champion.

Kurve acht erwischt man nicht oft perfekt...

"Deswegen tut man sich auch schwer damit, im Rennen die Konzentration zu wahren. Man fährt nicht einfach nur durch, sondern ist immer am Lenkrad zugange. Als Fahrer bist du in dieser Passage immer sehr beschäftigt. Erst am Kurvenausgang kannst du kurz durchatmen. Es ist eine spezielle Kurve. Im Rennen sind wir nun aber nicht mehr ganz so schnell wir in den vergangenen Jahren."

"Diese Stelle wäre selbst schwierig zu durchfahren, wenn die Oberfläche glatt wäre." Jenson Button

"Dafür fährt man in der Qualifikation nach wie vor am Limit durch diese Kurve und macht aus diesem Grund entsprechend viel Druck. Man hat aber vielleicht nur nach einer von einhundert Runden das Gefühl, Kurve acht wirklich perfekt erwischt zu haben", gesteht Button. "Diese Stelle wäre selbst schwierig zu durchfahren, wenn die Oberfläche glatt wäre. Dort ist es allerdings sehr holprig."

"Es gibt insgesamt vier Scheitelpunkte - und genau jeweils dort einige größere Bodenwellen. Man findet nur schwer eine Balance für diese Kurve, weil das Auto dort gerne aufsetzt. Untersteuern oder Übersteuern kannst du in Kurve acht rein gar nicht gebrauchen, denn das kostet dich nur Zeit. Im besten Fall handelt es sich um eine sehr knifflige Ecke", fasst der McLaren-Fahrer zusammen.¿pbvin|512|3642|inside|0|1pb¿

Was ist der beste Kompromiss?

Laut Button sollte man es vermeiden, sein Fahrzeug einzig und alleine auf die Durchfahrt dieser einen Kurve abzustimmen. "Das passiert aber ganz automatisch und dann muss man sich immer wieder davon abbringen. Es geht schließlich um die Balance auf eine komplette Runde", erläutert der Formel-1-Routinier. "Du kannst viel Zeit vergeuden, indem du dein Auto nur auf Kurve acht ausrichtest."

"Schon die Einfahrt in diese Kurve ist etwas Spezielles..." Felipe Massa

Felipe Massa (Ferrari) stimmt zu. Der Brasilianer gilt als Istanbul-Spezialist und bestätigt den Eindruck seines britischen Konkurrenten: "Es handelt sich um eine sehr spezielle Kurve. Du brauchst dort ein gutes Auto und musst dir beim Setup besonders über diese Ecke einige Gedanken machen. Und wenn du etwas zu aggressiv hineinfährst, kannst du leicht das Heck des Fahrzeugs verlieren."

Bei über 250 km/h dürfte dies keine angenehme Erfahrung darstellen. Doch genau darin liegt wohl der Reiz für die Fahrer. Massa schwärmt: "Schon die Einfahrt in diese Kurve ist etwas Spezielles, denn sie ist sehr schwierig. Der zweite Abschnitt in Richtung des Kurvenausgangs ist hingegen eine einfache Vollgaskurve. Das macht sehr viel Spaß", betont der 30-Jährige in der Pressekonferenz.

Das Alleinstellungs-Merkmal von Istanbul

"Verglichen mit den Kurven, die wir von anderen Strecken gewohnt sind, sticht diese Ecke heraus", findet Massa. Lewis Hamilton (McLaren) teilt diese Ansicht: "Es ist eine großartige Kurve, in die du mit Vollgas hineinstichst. Du musst eine sehr präzise Linie fahren und genau darauf achten, wie viel du den Reifen zumutest. Wichtig ist auch: Nicht zu viel Tempo verlieren, denn es folgt eine Gerade."

"Du musst eine sehr präzise Linie fahren und genau darauf achten, wie viel du den Reifen zumutest." Lewis Hamilton

Apropos Reifen: Just in dieser Passage hatte Hamilton schon einmal eine Schrecksekunde. "Ich kann mich erinnern, dass ich 2008 in Kurve acht eine ziemlich interessante Erfahrung gemacht habe", sagt der Brite mit einem Grinsen im Gesicht. Damals fing sich Hamilton ausgerechnet an dieser Stelle einen Pneuschaden ein. "Danach habe ich meinen Fahrstil in dieser Kurve etwas angepasst."


Fotos: Großer Preis der Türkei, Pre-Events


"Hoffentlich funktioniert das auch an diesem Wochenende wieder", sagt Hamilton. Aufgrund der neuen Pirelli-Reifen sind die Piloten in der Türkei nämlich mehr gefordert als in der Vergangenheit. Noch ist schließlich nicht klar, wie sich die Formel-1-Pneus der Generation 2011 in der schwierigen Kurve acht verhalten werden. "Speziell in dieser Kurve müssen wir in auf den Verschleiß achten", erklärt Massa.

Wie schlagen sich die neuen Pirelli-Reifen?

Button sieht dies nicht anders: "In diesem Jahr könnte es dort etwas anders laufen als bisher. Kurve acht nimmt die Reifen sehr hart ran. Wir Fahrer werden uns beim Setup daher vermutlich etwas mehr in diese Richtung orientieren. Das ist aber auch gut so", meint der McLaren-Pilot. Weltmeister und WM-Spitzenreiter Sebastian Vettel (Red Bull) erwartet ebenfalls eine "schwierigere Aufgabe".

"Es war schon in den vergangenen Jahren keine einfach Kurve." Sebastian Vettel

"Es war schon in den vergangenen Jahren keine einfach Kurve", gibt der Deutsche in Istanbul zu Protokoll. "Dieses Jahr haben wegen der Regeländerungen alle viel Abtrieb verloren. Auf eine gezeitete Runde sind die Zeiten genauso schnell - wenn nicht sogar ein bisschen schneller - als im Vorjahr. Man darf allerdings nicht vergessen, dass wir jetzt den Heckflügel verstellen können."

"Das hilft auf den Geraden sehr und bringt gratis etwas an Rundenzeit. Ich glaube, dass es dieses Jahr schwieriger wird, Kurve acht zu meistern. Klar: Je mehr Abtrieb du hast, desto besser, aber im Vergleich zu den vergangenen Jahren wird es kniffliger." In welchem Maß, zeigt sich wahrscheinlich bereits im 1. Freien Training am Freitag. Ausritte in Kurve acht sind schließlich keine Seltenheit...