"Fahrer sollen nicht wie Bibliothekare aussehen"

Den Alkoholskandal von Räikkönen findet Renault-Boss Flavio Briatore nicht schlimm, stattdessen fordert er stärkere Fahrerpersönlichkeiten

(Motorsport-Total.com) - Kimi Räikkönen hat diesen Winter - fast wie auf Anfrage der Medien - mit seinen beiden Alkoholskandalen auf Gran Canaria und in London für jede Menge Schlagzeilen gesorgt. Es versteht sich von selbst, dass er dafür von seinem Team gerüffelt worden ist, schließlich kann es sich ein Weltkonzern wie Mercedes nicht leisten, sein lupenreines Markenimage zu beflecken.

Titel-Bild zur News: Flavio Briatore

Flavio Briatore hat genug von aalglatten PR-Robotern in der Formel 1

Wäre Räikkönen jedoch Renault-Pilot, hätte er sich den ganzen Ärger sparen können. Dies erklärte zumindest der Teamchef der Franzosen, Flavio Briatore, im Interview mit dem 'Sunday Telegraph': "Wenn Kimi mein Fahrer wäre und in ein Pub oder eine Bar gehen würde, um etwas Spaß zu haben, hätte ich damit kein Problem", gab er zu Protokoll. "Wir müssen verstehen, dass ein junger Fahrer kein Roboter ist. Solange er nicht in der Nacht vor einem Rennen trinkt, warum nicht?"#w1#

Briatore wünscht sich stärkere Persönlichkeiten

Der 54-Jährige, mit seinen prominenten Liebschaften selbst immer wieder für Boulevard-Schlagzeilen aus der Formel 1 verantwortlich, ist der Meinung, dass die Königsklasse Persönlichkeiten braucht und keine gezüchteten PR-Maschinen, denen Corporate Identity wichtiger ist als charakterliche Entfaltung. Dass derzeit unbekannte Fahrer wie Narain Karthikeyan oder Tiago Monteiro schillernden Talenten wie Vitantonio Liuzzi vorgezogen werden, stößt ihm ebenfalls sauer auf.

"Fahrer sollen nicht wie Bibliothekare aussehen", erklärte Briatore. "Ein Fahrer sollte Persönlichkeit haben. Was Kimi getan hat, ist wie eine erfrischende Brise. Vielleicht sollte man ihm in Zukunft einen Drink geben, bevor er mit der Presse spricht. Früher hatten wir Fahrer wie Nelson Piquet, der ganz normal geblieben ist, Gerhard Berger, Riccardo Patrese, Nigel Mansell. Heute sehen die Jungs aus, als seien sie künstlich fabriziert worden."

"Sie sehen alle gleich aus", beschwerte er sich weiter. "60 Prozent von ihnen erkenne ich in ihren Overalls gar nicht mehr. Früher habe ich alle Fahrer gekannt, aber heute kann ich zum Teil nicht einmal mehr ihre Namen aussprechen." Was der Italiener vermisst, sind Skandale wie jener legendäre Formel-1-Test von Ex-Weltmeister James Hunt, der nach einer durchzechten Nacht in seinen Boliden stieg, minutenlang nicht mehr an die Box zurückkam und von seinem damaligen Teamkollegen schlafend im Cockpit gefunden wurde - neben der Strecke, versteht sich.

"Es ist wichtig, dass wir wieder auf die Sportseiten kommen"

Außerdem findet Briatore, dass die Diskussionen um das Concorde Agreement beziehungsweise eine alternative 'GPWC'-Meisterschaft der Formel 1 schaden: "Es ist wichtig, dass wir wieder auf die Sportseiten der Zeitungen kommen", mahnte er. "Man hört zu viel über Geld und Probleme, dabei will das Publikum nur ein gutes Rennen sehen. Wir geben all dieses Geld für Technologie aus. Ist das gut für den Sport? Ich glaube nicht."

"Das Getriebe ist bei all unseren Diskussionen ein Riesenthema, aber hat schon jemals ein Getriebe ein Rennen gewonnen? Höchstens verloren", fuhr er fort. "Wir beschäftigen 800 bis 1.000 Leute für zwei Autos auf der Startaufstellung. Ich persönlich glaube, dass das zu viel ist. Vor zwölf Jahren hatten wir um 60 Prozent des Geldes eine bessere Weltmeisterschaft. Man muss den Leuten geben, was sie sehen wollen, nämlich einen Kampf zwischen Fahrern und eine Titelentscheidung im letzten Rennen."

Briatore gehört übrigens zu den Fraktion jener neun Teams, die im Moment noch nicht das neue Concorde Agreement unterschrieben haben, schließlich ist Renault Mitglied der Herstellervereinigung 'GPWC', der auch die angebliche Bevorzugung Ferraris durch die FIA ein Dorn im Auge ist. Daher konnte sich der Teamchef einen Seitenhieb in Richtung Maranello nicht verkneifen: "Die Fans wünschen sich auch einen Fight zwischen Stallkollegen, aber das ist bei Ferrari ja nicht erlaubt", beschwerte er sich.