Fahrer als Chamäleon: Alles neu - oder alles halb so wild?

Für die Fahrer entwickelt sich die Formel 1 in diesem Jahr zu einem völlig neuen Sport: Anpassung ist Trumpf, doch manche sehen das relativ gelassen...

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 hat ein komplett neues Gesicht. Das neue Reglement mit der neuen Antriebstechnolgie hat die Königsklasse komplett umgekrempelt. Kaum ein Stein ist auf dem anderen geblieben, was nicht nur die Motorenhersteller Renault, Mercedes und Ferrari zu spüren bekommen, sondern auch die Teams und insbesondere die Fahrer, die sich auf einen fast vollständig neuen Sport einstellen müssen.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Neuer Arbeitsplatz: Die Formel-1-Piloten bekommen viel zu tun Zoom

Vorbei sind die Zeiten der großen V12-Motoren, der rundenlangen Vollgasfahrten und dem Kämpfen am Limit. Das Zauberwort der neuen Formel 1 heißt: Nachhaltigkeit. Die Fahrer sind nun zum Sparen gezwungen. Zwar mussten die 22 Piloten in der vergangenen Saison auch auf die Reifen aufpassen, und konnten deswegen selten am eigenen Limit und das des Fahrzeugs operieren, doch in diesem Jahr geht es noch einen Schritt weiter: Benzin wird reguliert, Energie wird zurückgewonnen - und nebenbei soll man auch noch ein Rennen fahren.

Für die Fahrer bedeutet dies, dass sie ihren Fahrstil komplett auf die neuen Umstände anpassen müssen. Niemandem nutzt es, der schnellste Pilot zu sein, wenn er am Ende nicht ins Ziel kommt. Statt Vollgastiere sind 2014 schon fast Professoren gefragt. "Es gibt viel, woran wir während eines Rennens denken müssen", erklärt Rookie Kevin Magnussen, der aus den Juniorserien auch eher Vollgas-Action kennt.

"Es geht nicht nur um das Fahren an sich. Man muss auf eine Menge von Dingen Acht geben: das Haushalten mit den Reifen, die Vielzahl von Knöpfen auf dem Lenkrad und so weiter", so der McLaren-Pilot. Wer mit ERS, Brake-by-Wire, MGU-K oder MGU-H nichts mehr anzufangen weiß, der hat schlechte Karten. Besonders dem Energierückgewinnungssystem ERS wird eine große Bedeutung beigemessen, das der Fahrer nun für 33 Sekunden pro Runde nutzen darf, was ungefähr pro Runde der zehnfachen Leistung des alten KERS entspricht.

Trennt der Sprit die Spreu vom Weizen?

Doch der Einsatz von ERS ist zwischen den Fahrern längst nicht so selektiv, wie andere Reglementanpassungen. Mit Sorgen blicken die meisten Piloten eher in Richtung des Benzinlimits von 100 Kilogramm, mit denen ein Fahrzeug pro Rennen auskommen muss. "Das ist sehr wichtig", betont Williams-Pilot Felipe Massa. "In manchen Rennen wird man Sprit sparen müssen, in anderen vielleicht nicht. Es kann also sehr unterschiedlich sein. Man muss natürlich wissen, wie man Sprit spart und gleichzeitig schnell ist."

Und das wird wohl der entscheidende Faktor sein: "Spritsparen ist für alle einfach, aber immer noch eine gute Pace zu fahren, ist eine Herausforderung", so der Brasilianer weiter. "Du musst es so machen, dass du keine Rundenzeit verlierst." Doch Spritsparen und Formel 1, passt das überhaupt zusammen? Oder gehört so etwas nicht eher in den Langstreckensport? "Ja, das ist manchmal schon ein bisschen wie bei einem Langstreckenrennen", sieht Adrian Sutil die Attribute der Formel 1 ein wenig verschoben.

"Spritsparen ist für alle einfach, aber immer noch eine gute Pace zu fahren, ist eine Herausforderung." Felipe Massa

"Man spult Runde um Runde ab und wartet auf die Ansage, dass man angreifen kann. Das Rennfahren ist definitiv anders, ein bisschen langsamer als früher", muss Sutil eingestehen. Der Gräfelfinger sieht die Formel 1 aber dennoch unangefochten an der Spitze des Motorsports - auch weil die Fahrzeuge schon bald wieder auf Speed kommen sollen, nachdem die Zeiten bei den Testfahrten besorgniserregend nah an denen der GP2-Serie waren. "Es muss sich niemand Sorgen darüber machen, was wir hier tun. Wir betreiben hier Rennsport auf höchstem Niveau", so der Sauber-Pilot.

"Wir reden hier von der Formel 1 und damit von der Königsklasse des Motorsports. Einzig die Regeln sind jetzt ein wenig anders. Das werden wir aber aussortieren und die Autos werden schon bald wieder schnell genug sein - kein Drama. Ich weiß nicht, warum die Stimmung im Fahrerlager so negativ ist. Es ist einfach eine neue Herausforderung. Das ist doch großartig. Wenn immer alles beim Alten bleibt, wird es doch langweilig."


Fotos: Testfahrten in Sachir, Sonntag


Herausforderung Turbo

Und an neuen Herausforderungen mangelt es den Fahrern in diesem Jahr nicht, denn trotz allem Spritsparen und Reifenhaushalten müssen Sebastian Vettel & Co. auch in dieser Saison einen sensiblen Gasfuß beweisen. Die neu eingeführten Turbomotoren sorgen für ein völlig neues Fahrgefühl und doch wieder für einen Hauch Königsklasse - auch wenn sich viele Fans angewidert ob der V6-Bezeichnung und des komischen Sounds abwenden.

Doch die Kraft und das Drehmoment, die hinter der neuen Antriebsgeneration stecken, sind für die Fahrer auf der Strecke - und auch für Reifenhersteller Pirelli - eine echte Herausforderung, denn so viel Kraft will erst einmal auf die Straße gebracht werden. Und hier kommt der besonders sensible Gasfuß beim Herausbeschleunigen ins Spiel: "Am Kurvenausgang ist die Fahrbarkeit dieser Autos eine ganz andere", hat beispielsweise Ferrari-Star Fernando Alonso gemerkt.

"In der Hitze des Gefechts muss man da ein bisschen antizipieren, wann sich die Kraft entfaltet. Die Entfaltung auf der Geraden fühlt sich etwas anders an, weil das KERS jetzt sehr viel stärker arbeitet, da steckt fast doppelt so viel Kraft dahinter. Das ist schon merkwürdig", erzählt der Spanier und findet Zustimmung bei Marussia-Kollege Jules Bianchi: "Es ist mehr Power da, wenn du aufs Gas steigst, also musst du mit mehr Gefühl Gas geben", stimmt er zu.

Doch auch bereits auf die Fahrt in der Kurve habe dieses neue Feature Auswirkungen, wie er weiter beschreibt: "Du musst jede Kurve einen Gang höher fahren als vergangenes Jahr. Wenn die erste Kurve im ersten Gang war, dann fährst du sie jetzt im zweiten." Zudem sorgt der der viel niedrigere Abtrieb als im Vorjahr dafür, dass die Piloten zudem durch viele Kurven langsamer fahren müssen, was auch geringere Fliehkräfte auf die Fahrer zur Folge hat. Experten sprechen von rund 30 Prozent weniger. "Das bedeutet, dass der Nacken nicht mehr so stark schmerzt", sieht Sutil die Sache positiv.

Vorteil alt oder Vorteil jung?

Der Sauber-Pilot gehört mit seinen 109 Rennstarts zu den relativ erfahrenen Piloten im Feld und weiß dementsprechend, wovon er spricht. Er kennt die Entwicklungen der Königsklasse seit seinem ersten Testjahr bei Midland 2006 aus eigener Erfahrung und kann die Veränderungen genau nachvollziehen. Doch dieser Fakt könnte auch zum Problem werden: Die alten Hasen der Königsklasse haben sich an die V8-Saugmotoren und an ganz andere Level Abtrieb gewöhnt (Stichwort angeblasener Diffusor zum Beispiel). Die Rookies hingegen kennen die Formel 1 dann nur in ihrer aktuellen Form und kommen aus den Juniorklassen, die ebenfalls nicht gerade durch hohe Abtriebslevel bekannt sind.

Felipe Massa

Für Felipe Massa kommt am Ende doch die Erfahrung zum Tragen Zoom

Im Fahrerlager geht daher die spannende Frage um, welche Seite durch das neue Reglement nun Vorteile hat. Felipe Massa sieht beispielsweise die "Alten" im Vorteil: "Es stimmt, dass es für junge Fahrer der ideale Zeitpunkt zum Einstieg ist. Weil alles bei Null beginnt", so der Brasilianer. Doch das Problem von Magnussen, Kwjat und Co. wird sein, dass sie bislang nur volle Attacke kennen: "Die jungen Fahrer wollen unbedingt gewinnen. Deshalb kann es schwierig sein, wenn man ihnen sagt, dass sie Sprit sparen müssen."

"Ich kann mich noch gut an mein erstes Jahr in der Formel 1 erinnern. Da hatte ich mit Reifenschonen und Spritsparen nichts am Hut. Ich wollte auf die Strecke und Attacke machen. Kids bleiben eben Kids", glaubt er an die Power der alten Hasen, muss jedoch gleich relativieren: "Jetzt ist es für Rookies eine gute Zeit, denn das Auto ist für alle neu. Deshalb könnte es für Leute wie Magnussen und Kwjat ein Vorteil sein. Mit einem guten Auto können sie sofort schnell sein, aber sie müssen auch nachdenken."

"Am Ende des Tages ist es ein Auto mit vier Rädern, das wir schnell fahren müssen." Nico Hülkenberg

Und während einige Fahrer über Vorteile, Spritsparen und veränderte Fahrstile nachdenken, gibt es andere, denen ist das einfach egal: "Also ich finde das Fahren gar nicht so anders als zuvor. Die neuen Renner haben erheblich mehr Drehmoment. Aber das reine Fahren muss nicht neu erfunden werden", lässt sich Kimi Räikkönen gegenüber 'Speedweek' zu einem Kommentar hinreißen. Und auch Nico Hülkenberg sieht die Diskussionen gelassen: "Natürlich mussten wir uns ein wenig anpassen, aber am Ende des Tages ist es ein Auto mit vier Rädern, das wir schnell fahren müssen." Diskussion beendet.