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Exklusive Formel 1: Wie der Segen zum Fluch wurde

Kaum ein Sport schottet sich so sehr von seinen Fans ab wie die Formel 1, wodurch vor allem die jungen Zuseher vergrault wurden - Doch es gibt Wege aus der Krise

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 hat ein Problem. Sie will es allen recht machen: den Automobilkonzernen, die umweltfreundliche Motoren fordern; den Sponsoren, die neue Märkte erobern wollen, weshalb man in Ländern ohne Motorsporttradition sündteure Rennstrecken aus dem Boden stampft und teilweise vor einer mäßigen Kulisse fährt; dem Haupteigentümer CVC Capital Partners, der durch die enormen Renngebühren viel Geld einnimmt, aber die Promoter dazu zwingt, horrende Ticketpreise zu verlangen.

Titel-Bild zur News: Bernie Ecclestone

Formel-1-Boss Bernie Ecclestone nutzt sein Handy vorrangig zum Telefonieren Zoom

Nur der Fan bleibt dabei oft auf der Strecke. Und er rächt sich: Seit 2006 hat die Formel 1 weltweit rund 130 Millionen TV-Zuseher verloren - das entspricht ungefähr einem Viertel des Fernsehpublikums. Und die Fans, die dem Sport trotzdem treu bleiben, werden immer älter. Der Grand-Prix-Sport hat es in den vergangenen Jahren verabsäumt, neue Zielgruppen zu erschließen und die Begeisterung der Jugend zu entfachen.

Studie: Durchschnittlicher Hardcore-Fan 39 Jahre alt

Das beweist eine neue Studie des weltweit führenden Marktforschungsinstituts Repucom, deren Ergebnisse auf 'gocar.gr' veröffentlicht wurden. Die Untersuchung wurde 2012 in zehn Ländern auf allen Kontinenten durchgeführt. Das Institut fand heraus, dass Formel-1-Fans, die ein großes Interesse am Sport haben, durchschnittlich 39 Jahre alt und zu 70 Prozent männlich sind.

Ein möglicher Grund dafür könnte das Geschäftsmodell der Formel 1 sein: Bernie Ecclestone hat in den vergangenen Jahrzehnten mit seinen sündhaft teuren TV-Deals dem Sport zu viel Ruhm verholfen - der 84-Jährige klammert sich nach wie vor eisern an diese Strategie.

Ecclestone kein Freund des Internets

"Was den Sport so groß und mächtig macht, ist das Fernsehen", bestätigt der Brite gegenüber dem 'Sydney Morning Herald'. "Dadurch werden die Leute angezogen. Wir sind hier im Showgeschäft, und alles, worauf wir achten müssen, ist, dass wir auch weiterhin in der Lage sein werden, die Menschen zu unterhalten."

Kameramann

Mit den sündteuren TV-Deals wurde die Formel 1 zum globalen Erfolg Zoom

Dass Unterhaltung aber heute längst nicht mehr ausschließlich auf die TV-Geräte beschränkt ist, wird Ecclestone erst nach und nach bewusst. Vor allem das Internet behandelt er nach wie vor wie ein Stiefkind. So besitzt die Formel 1 bislang weder eine eigene 'Facebook'-Seite noch einen 'Twitter'-Kanal. Und auch auf 'YouTube' wird man bestenfalls aktiv, wenn man gegen Urheberrechtsverletzungen vorgeht und Videos löscht.

Das späte Erwachen im Multimedia-Zeitalter

Dass die Rechtevermarkter diesbezüglich die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben, ist im Fahrerlager durchaus bekannt. "Wir müssen hart an den anderen Plattformen arbeiten, weil immer weniger Leute auf traditionelle Weise fernsehen", hatte der inzwischen entmachtete Ex-McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh bereits vor einigen Jahren gewarnt.

"Sie nutzen ihre mobilen Geräte, Laptops, Tablets und so weiter. Wir müssen uns das Gesamtpaket anschauen, wie die Menschen Entertainment konsumieren. Die Vorstellung, dass sich die Leute um 13 oder 14 Uhr an einem Sonntagnachmittag vor den Fernseher setzen, wird bald veraltet sein."

Caterham, Lotus und McLaren als Vorreiter

Einige Teams haben inzwischen aus der Not eine Tugend gemacht: Sie haben in den sozialen Netzwerken eigene Kanäle angelegt, um direkt mit den Fans zu kommunizieren und eine jüngere Zielgruppe anzusprechen. Das Lotus-Team sorgt mit seinen frechen 'Twitter'-Meldungen oder 'YouTube'-Videos immer wieder für Erheiterung, McLaren begeisterte in den Jahren unter Whitmarshs Führung mit der animierten Tooned-Kurzfilmserie, die mit viel Liebe und Aufwand produziert wurde.

mclaren tooned animationsfilm cartoon comic

Innovative Idee von McLaren: Die Tooned-Serie begeistert die Fans Zoom

Man darf gespannt sein, ob diese für das britische Traditionsteam früher schwer vorstellbare Herangehensweise auch unter dem neuen alten Boss Ron Dennis weiterverfolgt wird. Als Türöffner in die weite Welt der sozialen Netzwerke diente interessanterweise eines der schwächsten Teams: Caterham - seit 2010 in der Formel 1 und damals noch unter dem Namen Lotus am Start.

Damals erntete Ex-Caterham-Teamchef Mike Gascoyne von der Konkurrenz noch verächtliche Blicke, als er am Kommandostand während des Rennens 'Twitter'-Botschaften in die virtuelle Welt verschickte. "Als wir in die Formel 1 eingestiegen sind, da haben nicht viele Leute 'Twitter' genutzt", erinnert sich Caterham-Pressemann Tom Webb gegenüber 'f1zone.net'.

Als Gascoyne vom Kommandostand twitterte

Ein Ereignis ist ihm diesbezüglich besonders im Gedächtnis geblieben: als Gascoyne den Zeitpunkt von Jarno Trullis Boxenstopp eine Runde im Vorhinein via 'Twitter' verriet. "Ich war damals im Mediacenter, und einige Leute haben sich umgedreht und gefragt, warum wir das machen: 'Wie kann man nur so etwas Dummes machen?'", erzählt der Brite. "Dabei hatten wir nichts zu verlieren, weil wir um die Plätze 18 und 19 fuhren."

Noch heute ist er auf die unkonventionelle Aktion stolz: "Wir haben 'Twitter' genutzt, um den Fans etwas mitzuteilen, was sie noch nie so erfahren haben. Klar - als wir konkurrenzfähiger wurden, konnten wir das nicht mehr so oft machen, aber hin und wieder machen wir es immer noch. Es gefällt uns, die Leute zu schockieren, die meinen, dass ich so etwas nicht tun kann."

Mike Gascoyne

Gascoyne verblüffte viele mit seinen Tweets direkt vom Kommandostand Zoom

Das Team aus Norfolk gewann durch die direkte Kommunikation mit den Fans viele Sympathien und wurde diesbezüglich zu einer Art Vorreiter. Der Reihe nach sprangen immer mehr Teams auf den Social-Media-Zug auf. Webb fiel auf, dass sich manch arriviertes Team zunächst schwer tat, die sozialen Netzwerke zu nutzen, und so nüchtern wie in einer Pressemitteilung kommunizierte.

Wie Fernandes der Formel 1 die Augen öffnete

"Wir haben 'Twitter' nicht in die Formel 1 gebracht", erklärt der Caterham-Pressemann. "Aber wir haben wahrscheinlich viele andere Leute in der Formel 1 dazu ermutigt, es zu verwenden, um in Verbindung zu treten." Der Auslöser dafür war Caterham-Boss Tony Fernandes, der Webb 2010 animierte, neue Wege zu beschreiten und um die Ecke zu denken.

"Tony meinte, dass die Formel 1 einen Arschtritt benötigte", erinnert sich Webb. Fluglinien-Besitzer Fernandes, der für seinen innovativen Vermarktungsideen bekannt ist und dafür bereits mehrfach ausgezeichnet wurde, gilt als Verfechter sozialer Netzwerke und ist dort auch selbst aktiv.

"Tony ist der Ansicht, dass es sich um eines der wichtigsten und mächtigsten Werkzeuge handelt, die es gibt", verrät Webb. "Man kann damit Journalisten umgehen und direkt mit den Menschen sprechen, die sich für das interessieren, was man macht. Man spricht nicht nur zu ihnen, sondern direkt mit ihnen. Es entsteht also ein Dialog mit den Fans."

Exklusivität ist nicht mehr Trumpf

Webb, der früher für Red Bull arbeitete, hält das langjährige Formel-1-Erfolgsrezept, das ausschließlich auf Exklusivität beruht, für überholt: "Bei der Formel 1 handelt es sich um ein exklusives Umfeld. Um an die Rennstrecke zu kommen, benötigt man ein Ticket. Für das Fahrerleger benötigt man einen speziellen Pass, der limitiert ist. Es muss exklusiv sein, weil prestigeträchtige Marken darauf Wert legen, dass der Zugang limitiert ist. Wir versuchen aber, etwas Exklusives zugänglich zu machen. Wir denken, dass 'Twitter', 'Facebook', 'YouTube' und all die anderen Dinge es den Formel-1-Fans ermöglichen, mit dem zu interagieren, was in der Formel 1 passiert."

Webb erhält von seinem Teamchef Rückendeckung. Cyril Abiteboul findet, dass die Formel 1 "das richtige Verhältnis aus Zugänglichkeit, Exklusivität und Wert finden muss". Derzeit herrsche noch die Meinung vor, dass mehr Exklusivität automatisch einen höheren Wert ergebe, doch er hat daran Zweifel: "Eine niedrigere Exklusivität bedeutet nicht automatisch einen niedrigeren Wert. Vielleicht ist das durch die neuen Medien anders geworden. Da geht es eher um die Verbreitung - und wie die Menschen mit den Inhalten in Verbindung treten, was den Wert steigert."

Fahrerlager Monaco Paddock

Der Traum vieler Fans: einmal im Paddock einen Piloten aus der Nähe sehen Zoom

Der Franzose nennt 'Facebook' als Beispiel: "Nichts daran ist exklusiv. Dennoch sind der Wert und der Börsengang von 'Facebook' geschichtsträchtig." Skeptikern aus dem Formel-1-Umfeld, die das Internet für eine Blase halten, antwortet er: "Die Formel 1 wäre froh, wenn sie so eine Blase kreiert hätte."

Tata-Deal als große Zukunftschance

Man darf also gespannt sein, ob sich auch die Formel 1 selbst in den kommenden Jahren mehr öffnen wird, um den Zuschauerschwund zu stoppen und ein jüngeres Publikum anzusprechen. Immerhin setzte Ecclestone im Februar 2012 mit einem mehrjährigen Deal mit dem indischen Unternehmen Tata einen vielversprechenden Schritt in diese Richtung.

Das komplette IT-Netzwerk der Formel 1 soll an jenes von Tata angeschlossen werden - das beinhaltet die Server der offiziellen Internetseite, die Einspeisung der Grand-Prix-Schauplätze in ein globales Netzwerk und verschärfte Sicherheitsvorkehrungen. "Wir haben diese Art von Kommunikation lange Zeit ein bisschen verschlafen", gab Ecclestone damals überraschend selbstkritisch zu.

"Wir haben diese Art von Kommunikation lange Zeit ein bisschen verschlafen." Bernie Ecclestone

Tata verfügt weltweit über das größte Netzwerk an Unterwasser-Kabeln - durch diese neue Form der Datenübertragung wird auch eine bidirektionale Kommunikation ermöglicht, wodurch auch der Endkunde mit dem Broadcaster kommunizieren kann. Das würde eine völlig neue Art von Rennübertragungen ermöglichen. Noch ist dies zwar reine Zukunftsmusik - zumindest schafft man damit aber eine vielversprechende Ausgangsbasis, um den nächsten Sprung in der medialen Kommunikation nicht zu versäumen.

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