• 23.01.2016 11:06

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Ex-Technikchef über Schumacher-Erfolge: Kannte die Putzfrau!

Gary Anderson erklärt, warum Michael Schumacher der Liebling der Techniker war, Schlauberger nicht gut ankommen und Piloten keine Ingenieure sein sollten

(Motorsport-Total.com) - Die Statistik lässt keine Fragen offen: Michael Schumacher ist nackten Zahlen zufolge der beste Formel-1-Pilot aller Zeiten. Der Grund dafür ist aber nicht nur sein Können am Volant, vielmehr bedarf die Sache einer genaueren Betrachtung. Als Michael im Jahre 1991 sein Debüt in der Königsklasse für Jordan gab, war ich der Technikchef der Mannschaft. Ich habe also ein bisschen Erfahrung damit, mit ihm zusammenzuarbeiten. Und ich habe noch mehr Erfahrung, gegen ihn anzutreten.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Schumacher und seine Ingenieure bildeten meistens ein funktionierendes Team Zoom

Jedes Team will einen Fahrer, dem es blind vertrauen kann. Einen Piloten, der 101 Prozent in jede Aufgabe investiert, die ihm oktroyiert wird. Das unterscheidet die Guten von den Besonderen und Michael gehört zweifellos der zweiten Gruppe an. Seine Leistungen auf und abseits der Strecke führten dazu, dass er mit seinen Teams eine Einheit bildete. Deshalb verlangte er Respekt und den Status als Nummer eins. Wollte er, dass die Balance des Autos verändert wird, dann ist er damit schneller gefahren.

Viele Fahrer hätten behauptet, dass sich der Bolide anschließend besser anfühle, das Ganze aber nicht in die entsprechende Rundenzeit umgemünzt. Michael gelang das. Es war eine Genugtuung für das gesamte Team, denn sie wussten, dass er auf die Strecke fahren und es umsetzen würde, sobald sie das Auto schneller machten. Wer Möglichkeiten findet, den Wagen eine Zehntelsekunde zu schneller zu machen und weiß, dass der Fahrer das sofort voll ausnutzt, der hat mehr als genug Motivation.

Schumachers Domäne: Sonntags alles herausholen

Innerhalb eines Teams ist es der Pilot, der hauptsächlich zur Motivation beiträgt. Man könnte behaupten, dafür sein nur Erfolg verantwortlich, aber das wir dem Ganzen nicht gerecht. Es geht um mehr. Jedes Teammitglied, bei der Putzfrau angefangen, trägt zum Erfolg bei. Einige Fahrer, mit denen ich gearbeitet habe, kannten noch nicht einmal die Namen ihrer Mechaniker - von den Putzfrauen ganz zu schweigen. Meines Wissens nach war Michael häufig vor Ort in der Fabrik und drehte eine Runde, um jeden zu begrüßen.

Michael Schumacher

Debüt in Spa 1991: Schumachers Talent als Teambuilder war sofort augenfällig Zoom

Ein Verhältnis dieser Art und unbezahlbar. So rücken alle zusammen, um das Unmögliche möglich zu machen. Viele Leute behaupten, Michael sei ein guter Entwicklungsfahrer gewesen. Ich weiß nicht, ob das die ganze Wahrheit ist. Er investierte seine Arbeitskraft in den Tag, der anbrach, und in das Auto, in dem er gerade saß. Er arbeitete mit seinen Ingenieuren nahtlos zusammen, um das Maximum aus einem Rennwochenende herauszuholen.

An einem Sonntagnachmittag war Michael Schumacher besser als jeder andere, wenn es darum ging, das Maximum aus seinem Auto herauszuholen. Er mag Probleme mit der Balance gehabt haben, aber er hatte die Fähigkeit, sie zu überwinden - in einer Art und Weise, in der es anderen Piloten einfach nicht möglich war. Von den Fahrern, mit denen ich mehr als ein Rennen lang zusammengearbeitet habe, stachen zwei mit ihrem "Popometer" hervor: Rubens Barrichello und Roberto Moreno.

Sie fühlten und wussten, wie das Auto auf ihren Einfluss reagierte. Beide waren in der Lage, beim Zurückfahren zur Box ein klares Bild der Situation zu zeichnen. So haben Ingenieure eine Lösung für ein Problem, ehe das Auto überhaupt angehalten hat. Es geht darum, zu erkennen, was wirklich wichtig ist. Einige können sagen, wie hoch die Öltemperatur am Scheitelpunkt von Kurve 3 in Barcelona ist. Diese Information ist nutzlos, aber sie haben das Gefühl rechtfertigen zu müssen, warum gerade sie im Cockpit sitzen.


Fotostrecke: Schumachers Weg zum ersten WM-Titel

Gute Piloten sind egoistisch und rechthaberisch

Einer der Gründe, warum Schumacher ein Gewinn für ein Team war, war seine Mitgestaltung der Entwicklung. Jeder Fahrer tut das, denn es wäre schwierig für ihn, wenn ihm der Technikchef sagen würde: "Erledige deinen Job, aber deine Vorstellungen gehen zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Wir schlagen eine ganz andere Richtung ein als die, die du vorgeschlagen hast!" Aber von Zeit und Zeit gibt es Meinungsverschiedenheiten bei der Abstimmung.

Michael Schumacher

Kein Besserwisser, aber immer offen und ehrlich: Schumacher und die Ingenieure Zoom

Ein erfolgreicher Pilot ist immer ziemlich egoistisch und rechthaberisch. Aber dann versteht das Team das Gesamtbild besser. Gehen Fahrer und Team d'accord, wird es angenehm und erfolgreich. Im Motorsport diktiert die Stoppuhr den Erfolg und wer das aus den Augen verliert, dem gehört der Kopf gewaschen. Der Technikchef muss erklären, wie das Auto funktioniert und wo der Fahrer etwas herausholen kann.

Bestes Beispiel ist der angeblasene Diffusor bei Red Bull, mit dem Sebastian Vettel klarkam und Mark Webber gar nicht. Es ist sehr wichtig, dass der Fahrer dem Auto vertraut. Was mich aber auf die Palme bringt: Wenn ein Pilot sagt, das Auto müsse sich mehr anfühlen wie sein vorheriges. Es gibt Vor- und Nachteile eines Konzepts und letzten Endes zählt es, das zu tun, was den meisten Erfolg bringt. Dem Handling eines anderen Wagen aus der Vergangenheit nachzujagen ist kein gangbarer Weg.

Ein Risiko besteht darin, dass Piloten sich zu sehr mit einem Projekt identifizieren und glauben, sie könnten es besser als jeder andere. Meist, wenn sie altersschwach werden. Gute Fahrer sind gut, aber wenn sie nicht mehr hungrig sind, dann sollten sie den Helm an den Nagel hängen und mit etwas anderem ihr Geld verdienen. Deshalb habe ich gerne mit Youngstern zusammengearbeitet. Wenn ein Fahrer sich nicht als Teil des Teams fühlt, dann hält er sich für etwas Besseres. Das passiert oft, wenn ein Routinier zu einer kleineren Mannschaft kommt und das Rad neu erfinden will.


Fotostrecke: 2000: "Schumis" erster Ferrari-Titel

Ehrlichkeit ist der Schlüssel zu allem

Mir waren immer die Piloten lieber, die keine Ingenieure waren. Wer zu technisch wird, der driftet in eine solche Richtung ab. Michael verstand die Ingenieurskunst, wusste aber, dass sein Talent am Volant lag und die Ingenieure ihre Aufgabe erfüllten. Ich habe wahrlich nicht viel Erfahrung im Cockpit und dachte immer mehr an Schrauben und Muttern. Anders herum sollte ein Fahrer sich darum keinen Kopf machen. Trotzdem haben sich die Anforderungen in der Formel 1 mit der Zeit gewandelt.

Michael Schumacher

Michael Schumacher in Diensten Jordans: Gary Anderson lernte ihn zu schätzen Zoom

Klar haben die Piloten noch immer das Talent, ein Rennauto schnell zu bewegen. Wenn aber die Ingenieure etwas verbessern wollen, dann brüten sie Stunden über dem Datenmaterial. Mit der Menge, die heute gesammelt wird, wissen wir, ob ein Fahrer nach links lenkt, ehe er das Lenkrad überhaupt einschlägt. Für Rennsiege und Titel braucht es die fortschrittlichste Fabrik, das fähigste Management, die klügsten Designer, die raffiniertesten Ingenieure und nicht zuletzt auch die besten Piloten.

Ein Team kann ein konkurrenzfähiges Auto stellen, ein Fahrer muss die Punkte an Land ziehen. Denken wir zum Beispiel an Nico Rosberg, Mark Webber, Felipe Massa, Rubens Barrichello oder Eddie Irvine, David Coulthard und Giancarlo Fisichella. Alle waren (oder sind) die Teamkollegen von Weltmeistern. Sie hatten die gleichen Voraussetzungen, haben aber nie den großen Coup gelandet.


Analyse: Michael Schumachers Fahrstil

Was machte Michael Schumacher so viel schneller als seine Teamkollegen? Weitere Formel-1-Videos

Der Schlüssel zu allem ist Ehrlichkeit. Michael analysierte 1991 in Spa-Francorchamps die Daten mit uns. Einer der Kernpunkte: wie ohne Lupfen durch Eau Rouge fahren? Keiner unserer beiden eigentlichen Piloten hatte das geschafft, aber Michael behauptete, es sei kein Problem und er müsse sich noch an das Auto gewöhnen. Er wolle samstags mit Vollgas durch die Kurve fahren. Andrea de Cesaris, sagte das Gleiche, also waren wir zufrieden. Am Samstag waren die Daten aussagekräftig: Michael fuhr seine erste Runde im Freien Training ohne Lupfen, Andrea schafft es erst im letzten Qualifying-Umlauf.