"Eine Welt": Vettel weist auf Reifenproblematik hin

Emotionales Plädoyer von Sebastian Vettel: Warum ihm die Pirelli-Reifen die Freude am Fahren verderben und woran die Lösungsansätze scheitern

(Motorsport-Total.com) - Bisher gab es unter Teams und Fahrern so etwas wie eine unausgesprochene Vereinbarung, dem neuen Reifenhersteller Pirelli eine Schonfrist zu gewähren und diesen nicht öffentlich zu kritisieren. Doch nach drei von vier Wintertests weist Weltmeister Sebastian Vettel erstmals lautstark darauf hin, dass die Formel 1 im Moment ein Reifenproblem hat.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Sebastian Vettel äußert sich erstmals ganz deutlich zum Reifenthema

Viele Fahrer stellten in Valencia, Jerez de la Frontera und zuletzt auf dem als reifenmordend geltenden Circuit de Catalunya in Barcelona fest, dass die Pirelli-Reifen schon nach nur einer Runde deutlich an Haftung verlieren. Nach ungefähr fünf Runden folgt die zweite Stufe des Einbruchs, nach 15 bis 20 Runden ist dann meistens alles vorbei. Das wirft die Frage auf, ob der Wechsel auf Pirelli "Reifenflüsterern" wie Jenson Button helfen könnte. Doch Vettel ist der Meinung, dass das Problem viel schwerwiegender ist.

Der Mythos der "Reifenflüsterer"

"In der großen Ära der Helden wie 'Professor' Prost konnte er sich damals sagen: 'Jungs, fahrt mal in Ruhe, aber am Ende kriege ich euch noch!' Am Ende hat er sie wirklich bekommen. Das wäre schön, denn dann würde der, der am Anfang ein bisschen mehr mit den Reifen haushalten kann, belohnt werden", erklärt der Red-Bull-Pilot bei 'Servus TV'. "Ich glaube aber, das Problem ist, dass die Reifen nach einer gewissen Anzahl von Runden einfach kaputt gehen, egal was der Fahrer macht. Dann ist der Reifen kaputt und verschossen."

Auf die Frage, ob seine Kritik als Auftrag der Fahrer an Pirelli zu verstehen sei, entgegnet Vettel: "Das Problem ist, der Reifen baut zu schnell ab. Wir hatten bei den Tests verschiedene Mischungen. Die halten zwischen zehn und 16, 17 Runden. Eine Grand-Prix-Distanz beträgt 60, 70 Runden. Man kann sich leicht ausrechnen, dass das drei bis vier Stopps gibt." Zwar haben sich die Teams im Interesse der Show ausdrücklich Reifen gewünscht, die rasch abbauen, doch in dieser Extreme scheinen sich zumindest die Fahrer dagegen zu wehren.

Denn: "Man hat für das ganze Wochenende, also ab dem Qualifying, sechs Reifensätze zur Verfügung. Im Qualifying braucht man mindestens drei, aber auch nur, wenn alles ideal läuft - vielleicht hat man ja mal eine gelbe oder eine rote Flagge oder auch mal einen Fehler, was vorkommen kann. Dann ist ein Satz verschossen", so Vettel. "Es ist nicht so, dass man den Reifen noch einmal aufbereiten und eine zweite Runde fahren kann, denn die zweite Runde ist direkt eine Sekunde langsamer. Mit einer Sekunde langsamer nur vom Reifen gewinnt man nichts mehr."

Nico Hülkenberg sieht die Problematik mit den Qualifying-Reifen besonders für die kleinen Teams: "Wir bei Williams hatten in Q1 zwei Reifensätze nötig und in Q2 sowieso, um ins Q3 zu kommen. In Q3 dann auch nochmal einen oder zwei. Dann sind schon mal alle sechs Reifen gebraucht. Das könnte wirklich zum Problem werden", fürchtet der Force-India-Testpilot. Außerdem könnte es ein Riesenvorteil für Fahrer außerhalb der Top 10 werden, nicht mit den schnellsten Qualifying-Reifen, sondern mit einem frischen Satz ins Rennen gehen zu dürfen.


Fotos: Sebastian Vettel, Testfahrten in Barcelona


Vettel holt zu einem wortgewaltigen Plädoyer aus: "Dass der Reifen so schnell abbaut, ist auch im Rennen selbst schade für uns, denn wir kennen die Autos so, wie sie sind. Mit wenig Benzin macht das richtig Spaß, es haut einen von links nach rechts und ist einfach geil! Jetzt fahren wir dann am Start des Rennens mit einem vollen Auto, sprich 160 oder 170 Kilo oder im Tank. Da sind wir schon mal von Haus aus fünf bis sechs Sekunden langsamer", gibt er zu Protokoll.

Ganz anderes Fahrgefühl

Und weiter: "Der Reifensatz vom Qualifying, den wir laut Reglement zumindest am Anfang des Rennens verwenden müssen, ist schon mal nicht mehr neu, sondern gebraucht - und damit auch um eine oder zwei Sekunden langsamer. Damit sind wir schon bei sieben oder acht Sekunden. Und dann baut der Reifen am Anfang noch ab. Innerhalb der ersten fünf bis zwölf Runden lässt der Reifen noch einmal um vier, fünf Sekunden nach", rechnet der 23-Jährige vor.

"Was ich damit sagen will: Das Fahrgefühl ist ein anderes. Als die neue Regel kam, mit einer Tankfüllung das ganze Rennen fahren zu müssen, haben viele Fahrer gesagt: 'Das ist am Start ja wie ein LKW!' Jetzt fragt sich der Laie: 'Was soll denn der Quatsch? Das Ding hat doch immer noch 750 oder 800 PS, ist er halt drei Sekunden langsamer!' Aber im Auto selbst sind diese drei Sekunden schon eine Welt, wenn man es mit dem Qualifying vergleicht. Jetzt reden wir aber nicht von drei oder vier Sekunden, sondern von zehn oder vielleicht noch mehr", erläutert Vettel.

"Ist das hinzukommen? Generell ja. Pirelli könnte ja sagen: Wir bauen einen neuen Reifen", glaubt der in der Schweiz lebende Deutsche. "Das Problem ist aber nicht, einen neuen Reifen zu bauen, sondern der muss auch für alle produziert werden. Für ein Auto ist das kein Problem - die paar Reifensätze sind schnell gepresst. Aber für das ganze Feld - da sprechen wir von zwölf Teams - dauert das ein bisschen. Das braucht mindestens eineinhalb Monate Vorlaufzeit."

Pirelli-Reifen

Zero Performance: Pirelli steht nach den Testfahrten stark in der Kritik Zoom

"Wir haben das Problem, dass es jetzt zu spät ist. In eineinhalb Monaten wird nicht mehr getestet, sondern Rennen gefahren. Da lässt sich also nichts mehr machen", befürchtet er. "Also müsste man das während der Saison testen, denn Pirelli will natürlich auch nicht ohne Tests einen neuen Reifen bringen. Das ist richtig und kann man verstehen. Das Produkt, das jetzt existiert, ist vielleicht nicht so gut, wie man möchte, aber es hält."

Denn aus Vettels Sicht steht auch fest: "Man kann keinen neuen Reifen bringen und damit das Risiko eingehen, dass der bei Tempo 280 oder 290 platzt", zeigt er Verständnis für die schwierige Situation, in der sich Pirelli so kurz vor Saisonbeginn befindet. "Das heißt, das muss probiert werden - und zwar nicht von einem Auto, sondern von allen. Bis sich da dann alle Teams auf einen Test während der Saison einigen, um die neuen Reifen zu probieren, das wird schwierig..."