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Eine Verkettung (un)glücklicher Umstände...

Morgen gibt BMW-Williams bekannt, ob Nick Heidfeld einen Rennvertrag bekommt oder nicht - Portrait des Testsiegers gegen Pizzonia

(Motorsport-Total.com) - Den 25. September 1999 wird Nick Heidfeld sicher nie vergessen: Mit einem zweiten Platz auf dem Nürburgring krönte er sich nach dem Vizetitel im Jahr zuvor - damals war er einem gewissen Juan-Pablo Montoya knapp unterlegen - endlich zum Formel-3000-Meister. Vier Siege in zehn Rennen hatte er auf seinem Weg dorthin errungen, drei weitere Male stand er auf dem Podium.

Titel-Bild zur News: Nick Heidfeld

Heidfeld blickt der Fahrerentscheidung voller Zuversicht entgegen

Von seinen damaligen Konkurrenten haben nur wenige den Durchbruch geschafft. Lediglich Franck Montagny, heute Renault-Testfahrer, Bruno Junqueira, inzwischen Spitzenmann in der amerikanischen ChampCar-Serie, und Stéphane Sarrazin, die große Neuentdeckung der Rallyeszene, haben sich im internationalen Motorsport dauerhaft einen Namen gemacht. Mehr als fünf Jahre nach seinem Formel-3000-Titel brennt Nick Heidfeld auf die Chance seines Lebens: "BMW-Williams ist eine großartige Gelegenheit für mich", sagt er. "Das Team ist mit Sicherheit das erfolgreichste und professionellste, für das ich bisher gefahren bin. Ich werde alles daran setzen, die Erwartungen, die man in mich setzt, zu erfüllen."#w1#

Geplatzter Button-Wechsel öffnete Heidfeld alle Türen

Dass er heute überhaupt einen BMW-Williams-Overall tragen darf, ist einer Verkettung unglücklicher - oder aus seiner Sicht glücklicher - Umstände zu verdanken. Am 20. Oktober 2004 hat das 'Contract Recognition Board', ein Genfer Notariatsbüro, welches die Gültigkeit von Fahrerverträgen im Streitfall zwischen zwei Teams prüft, entschieden, dass Jenson Button 2005 für BAR-Honda fahren muss. Damit stand BMW-Williams plötzlich ohne Teamkollegen für Mark Webber da.

Viereinhalb Wochen zuvor fuhr Antonio Pizzonia als Ersatzmann für den seit Indianapolis rekonvaleszenten Ralf Schumacher ein hervorragendes Rennen in Spa-Francorchamps, bei dem er zweifellos auf das Podium gekommen wäre, wenn nicht wenige Runden vor Schluss die Technik gestreikt hätte. Für Frank Williams war damit klar: Warum einen Fahrer von einem anderen Team verpflichten, wenn eine solide Lösung auch in den eigenen Reihen gefunden werden kann?

"Wir wollten eigentlich Antonio nehmen", gibt der 65-Jährige "Rollstuhl-General" im Nachhinein zu, dass die Entscheidung eigentlich schon gefallen schien, "aber dann ist mehrmals der Name Nick Heidfeld gefallen. Irgendwann ist BMW auf uns zugegangen und hat gesagt, 'Frank, Patrick, warum schaut ihr euch den Burschen nicht näher an?', also haben wir das in Betracht gezogen. Nick ist sehr schnell." Und plötzlich war der 27-Jährige im Spiel...

Am 1. Dezember nahm "Quick Nick", wie er von seinen Fans liebevoll genannt wird, erstmals im FW26 Platz, mit dem Juan Pablo Montoya ein paar Wochen zuvor den Grand Prix von Brasilien gewonnen hatte. Heidfeld absolvierte am ersten Tag 101 Runden und durfte sich nur 24 Stunden später darüber freuen, erstmals schnellster BMW-Williams-Pilot an einem Testtag gewesen zu sein - in Jerez 0,875 Sekunden vor Pizzonia. Insgesamt spulte er im November und Dezember 2.161 Testkilometer im BMW-Williams ab, während derer Frank Williams immer mehr ins Zweifeln kam, ob Pizzonia tatsächlich die beste verfügbare Variante sei.

Team schätzt Heidfelds Entwicklerqualitäten hoch ein

Beeindruckt hat Heidfeld seinen neuen Arbeitgeber nicht nur aufgrund seines schieren Speeds, sondern in erster Linie mit präzisen Aussagen über das Fahrzeug und mit seinen Entwicklerqualitäten. Entsprechend gut funktionierte auf Anhieb auch die Zusammenarbeit mit Tony Ross, seinem Renningenieur: "Man muss sich erst aneinander gewöhnen. Während so einem Test oder einem Rennen kommuniziert man am Funk extrem viel miteinander. Da muss man erst einmal herausfinden, was denn der Fahrer oder der Ingenieur genau meint, wenn er etwas sagt. Aber das hat sofort ganz gut funktioniert."

"Ich denke, ich habe bei den Tests mein Bestes zeigen können, und ich habe von allen Seiten ein gutes Feedback bekommen. Im Wagen habe ich mich recht schnell wohl gefühlt. Ich war eigentlich von Anfang an gut unterwegs, auch was die Rundenzeiten betrifft. Trotzdem habe ich natürlich gespürt, dass es mit jeder Runde noch besser wurde. Man bemerkt mit der Zeit immer mehr Feinheiten am Auto. Das war von Anfang bis Ende der Fall. Ich habe vor den ersten Tests extrem hart trainiert, wobei ich das auch in den letzten Jahren schon getan habe. Ich habe jetzt wieder mit einem Fitnesstrainer gearbeitet, mit dem ich schon während meiner Formel-3000-Zeit zusammen war. Nachdem ich bei Jordan weg war und dadurch keinen Trainer mehr hatte, habe ich mich mit ihm in Verbindung gesetzt", ergänzte er.

Was aber hat der Mönchengladbacher wirklich drauf? Ist er reif für ein Top-Team? "Nick ist ein sehr guter Entwickler, der auch schnell ist", attestiert ihm beispielsweise Peter Sauber, sein Teamchef in den Jahren 2001 bis 2003. Und BMW-Sportchef Mario Theissen, angeblich einer der größten Heidfeld-Fans im BMW-Williams-Team, ist sowieso von ihm überzeugt: "Nick ist ein schneller Mann. Das hat er in der Vergangenheit gezeigt - in allen Rennklassen, in denen er angetreten ist. Er hat fünf Jahre Formel-1-Erfahrung und ist vor allen Dingen im Regen außerordentlich stark. Wir haben inzwischen in der Zusammenarbeit aus den Tests gelernt, dass er auch ein sehr gutes Technikverständnis hat und mit den Ingenieuren und den Mechanikern eine sehr enge Zusammenarbeit führt."

Heidfeld erinnert Theissen "am ehesten an einen Jockey"

"Wir haben natürlich von ihm schon zwei sehr starke Saisons in der Formel 3000 gesehen, die damals gezeigt haben, dass er in der Formel 1 seinen Weg machen kann. In den letzten Jahren in der Formel 1 ist er jedoch nie in einem siegfähigen Auto gesessen", so Theissen weiter. Von der Statur her erinnert Heidfeld ihn übrigens "am ehesten an einen Jockey. Er ist klein, leicht - genau das braucht man in der Formel 1."

Fakt ist, dass sich Heidfeld im Verlauf seiner bisherigen Karriere gegen starke Teamkollegen stets behaupten konnte. Obwohl damals noch ein "Greenhorn", setzte er sich 2000 bei Prost gegen den weitaus erfahreneren Jean Alesi in acht von 17 Qualifyings durch. 2001 war er in ebenfalls 17 Qualifyings zehnmal schneller als der heutige McLaren-Mercedes-Superstar Kimi Räikkönen, den er auch in der Punktewertung mit zwölf zu neun schlagen konnte. 2002 hatte er kaum Probleme mit Felipe Massa, 2003 war er am Samstag zehn von 16 Mal schneller als Heinz-Harald Frentzen und seine beiden Jordan-Teamkollegen 2004, Giorgio Pantano und Timo Glock, hatte er sowieso locker im Griff.

Dennoch konnte Heidfeld sein "Underdog"-Image nie ganz abschütteln. "Nick ist schon sehr lange im Geschäft, hat es aber bisher versäumt, ein Highlight zu setzen", fand beispielsweise Ex-Formel-1-Pilot Hans-Joachim Stuck noch im vergangenen Juli. "Irgendetwas fehlt mir bei ihm." Nach Heidfelds ersten Tests im FW26, revidierte Stuck dann seine Meinung gegenüber 'F1Total.com': "Nick hat das Zeug dazu, der große Gewinner des Wechselkarussells zu werden. Vor der Leistung, die er 2004 im Jordan gezeigt hat, ziehe ich den Hut. Es muss für ihn ein Traum sein, jetzt in einem BMW zu sitzen. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Nick ähnelt in gewisser Hinsicht Michael Schumacher. Auch er arbeitet äußerst konzentriert und ist erst zufrieden, wenn das Auto perfekt passt. Viele seiner Kollegen lassen eine derartige Arbeitseinstellung vermissen. Ich bin überzeugt: Wenn BMW-Williams ihm ein gutes Auto gibt, dann kann Nick auch Ferrari schlagen."

Von Titelehren hat Heidfeld wohl auch im Sommer 2001 insgeheim schon geträumt, als McLaren-Mercedes nach einem Nachfolger für Mika Häkkinen suchte. "Quick Nick" war jahrelang von Mercedes für eine Formel-1-Zukunft aufgebaut worden, fuhr 1997 in der Deutschen Formel 3, in der er übrigens die Meisterschaft überlegen gewann, sowie 1998 und 1999 in der Formel 3000 im "Silberpfeil"-Outfit von 'West', und selbst sein Prost-Deal für die Saison 2000 wurde von den Herren Haug und Co. in Stuttgart eingefädelt. Dennoch entschied sich McLaren-Mercedes für Kimi Räikkönen.

Heidfeld war lange sauer auf McLaren-Mercedes

Erwartungsgemäß war Heidfeld erst einmal stinksauer: "Ich denke nicht, dass ich etwas falsch gemacht habe, und ich bin glücklich mit dem, was ich in diesem Jahr erreicht habe", erklärte er im Dezember 2001. "Ich denke, dass ich eine gute Saison hatte. Leider hat mit mir niemand aus dem McLaren-Lager über den Deal mit Kimi gesprochen. Ich denke, dass das nicht sehr nett war. Natürlich wäre ich dort gerne hingegangen. Sie hätten mir zumindest davon erzählen sollen, dass sie Kimi wollen."

Inzwischen ist alles vergeben und vergessen, Gras über die Sache gewachsen - doch es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der 27-Jährige jetzt ausgerechnet beim Mercedes-Erzfeind BMW angedockt hat. Und noch ein interessantes Detail fällt auf: Mit Montoya ersetzt Heidfeld jenen Piloten, der ihm 1998 den Formel-3000-Titel vor der Nase weggeschnappt hat. 2005 ist es also an der Zeit, alte Rechnungen zu begleichen...

Zunächst einmal muss sich aber das BMW-Williams-Team für ihn entscheiden. Heidfeld hat im Dezember und Januar insgesamt sieben Testtage gemeinsam mit Antonio Pizzonia bestritten - und die Statistik weist ihn als klaren Sieger in diesem Duell aus: Fünfmal war der Deutsche schneller, nur zweimal der "Jungle Boy" aus Brasilien. Im Durchschnitt freilich hatte "Quick Nick" nur 0,033 Sekunden Vorsprung, insgesamt genau 0,230 Sekunden an sieben Tagen. Grund dafür ist, dass er nur selten langsamer war als Pizzonia, dafür dann aber recht deutlich - am 20. Januar verlor er in Barcelona 0,724 Sekunden auf seinen Teamkollegen, fünf Tage später in Valencia gar 0,941.

Diese und weitere Daten hat Sam Michael, der Technische Direktor, analysiert, um sie morgen Teamchef Frank Williams, Teilhaber Patrick Head und BMW-Sportchef Mario Theissen präsentieren zu können. Im Anschluss daran soll laut 'Reuters' die Entscheidung fallen - also nur Stunden vor der offiziellen Bekanntgabe. Selbst die Pressesprecher von Williams und BMW tappen im Dunkeln und mussten in den vergangenen Tagen Pressemitteilungen für beide Varianten vorbereiten.

In Webber hat Heidfeld einen wichtigen Fan

Neben BMW und den Leistungen bei den Tests spricht vor allem die Tatsache für "Quick Nick", dass Mark Webber mit Pizzonia seit dem gemeinsamen Jaguar-Jahr 2003 nicht kann - und der Australier genießt intern hohes Ansehen, obwohl er neu zum Team gestoßen ist. Dennoch: "Ich denke, dass es für Mark ein wenig unbehaglich wäre, aber wenn Antonio der schnellste Fahrer ist, dann werden wir das tun, was für das Team das Beste ist. Grundsätzlich ist uns Marks Meinung aber schon wichtig", stellte Frank Williams unmissverständlich klar.

In der Szene gilt Heidfeld - im Gegensatz zum etwas blassen Pizzonia - als angenehmer Zeitgenosse. Er ist beliebter Interviewpartner, immer freundlich und meist gut gelaunt, bodenständig geblieben. Der Vorwurf, er sei einer von den farblosen Typen, die die Formel 1 immer häufiger produziert, ist auch nicht unbedingt richtig. Auf die Frage, wer denn sein größtes Vorbild sei, nennt der 164 Zentimeter kleine und durchaus humorvolle Klamotten-Liebhaber Basketball-Legende Michael Jordan: "Ich habe ihn sehr für seine Einstellung bewundert, nie ein Spiel aufzugeben. Selbst wenn es hoffnungslos aussah, hatte er die persönliche Stärke, um das Ding umzudrehen und eine fast unvermeidbare Niederlage in einen Sieg zu verwandeln."

Im Gegensatz zu "Air" Jordan ist er selbst nie abgehoben. Als er von Prost zu Sauber wechselte, nahm er sich mit seiner Langzeit-Freundin Patricia ("Sie drängt sich nie ins Rampenlicht.") eine Wohnung in Zürich, in der er noch heute lebt. Davor hatte er ein kleines, aber feines Appartement im Steuerparadies Monaco. In Yachten, einem Privatflugzeug oder anderen teuren Spielzeugen sieht man ihn selten - nur einen Porsche 911 GT2 mit 462 PS hat er sich in seinem zweiten Sauber-Jahr zugelegt. "Als ich die ersten Testberichte über den GT2 gelesen habe, war mir klar, dass für mich nur dieser Sportwagen in Frage kommt. Das ist mein Auto", schwärmt er.

Wenn Heidfeld einmal von schnellen Autos und der Formel 1 abschalten will, trifft er sich gerne mit alten Kumpels in seiner Heimatstadt Mönchengladbach. "Da kann es auch mal passieren, dass mich jemand in einer Kneipe sieht", grinst der BMW-Williams-Pilot, der dazu steht, dass er ab und zu eine Zigarette raucht. Von einem aalglatten 08/15-Typen kann also keine Rede sein...