• 06.05.2011 03:07

  • von Stefan Ziegler & Dieter Rencken

Eine Reife(n)frage: Die neuen Regeln unter der Lupe

Nach drei Grands Prix ziehen die Fahrer der Formel 1 ein erstes Zwischenfazit zu den neuen Regeln: Hat sich die Show 2011 wirklich so sehr verbessert?

(Motorsport-Total.com) - Pünktlich zur neuen Rennsaison wurden die Fahrer und Teams der Formel 1 mit vielen neuen Regeln konfrontiert, wie sie in der Geschichte der Königsklasse selten in diesem Umfang eingeführt worden waren. KERS ist nach einem Jahr der Auszeit wieder an Bord, der Heckflügel kann verstellt werden und die Reifen stammen seit diesem Jahr nicht mehr von Bridgestone, sondern kommen von Pirelli.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel, Lewis Hamilton

Start frei zum Rennen: Ist die Show in diesem Jahr wirklich besser als früher?

All diese Neuerungen gingen nicht spurlos am Geschehen auf der Strecke vorbei, was in den drei Auftaktrennen in Melbourne, Sepang und Schanghai mehr als deutlich wurde. Zweifelsohne wird den Fans nun mehr Action geboten, doch kritische Stimmen bleiben ebenfalls nicht aus. Die Piloten sehen die Veränderungen allerdings größtenteils positiv und begrüßen die neue Art des Rennfahrens sehr.

Mehr Fairness dank der neuen Regeln?

Michael Schumacher (Mercedes), einer der erfahrensten Teilnehmer im Starterfeld, bezeichnet die neue Situation im Hinblick auf die vergangenen Jahre als "Unterschied wie Tag und Nacht", findet aber viel Gefallen an dieser Entwicklung. "Was wir bisher gesehen haben, würde ich als großen Erfolg werten", sagt der Rekordchampion und begründet seine Meinung mit der Dynamik im Grand Prix.

"Man muss noch immer schneller sein als der Gegner." Michael Schumacher

"Das beste Beispiel ist vermutlich Fernando Alonso beim Saisonfinale 2010, als er klar schneller war, aber im Verkehr festhing. Das war eine ganz normale Rennsituation. Wenn man nicht am richtigen Punkt der Strecke deutlich schneller war als der Vordermann, kam man einfach nicht vorbei", meint Schumacher. Dieses Blatt habe sich nun gewendet - und zwar dank zahlreicher Zusatzsysteme.

"Man muss noch immer schneller sein als der Gegner, denn sonst würde man ja nicht nahe genug herankommen. Aufgrund der diversen Systeme, die wir nun an Bord haben, braucht man aber nicht so viel schneller zu sein", erklärt der 42-Jährige und merkt an: "Du kannst nun mit diesen Systemen spielen, um dein Manöver durchzuziehen. Ich finde das fairer", gibt Schumacher zu Protokoll.

Button sorgt sich um den Schwierigkeitsgrad

Der Mercedes-Pilot vertritt nämlich die Ansicht, dass "der schnellere Fahrer vorne sein sollte, und nicht der Pilot, der vielleicht nur aus taktischen Gründen vorne liegt", wie Schumacher erläutert. "Die Strategie ist natürlich noch immer wichtig. Für mich geht es nun aber etwas gerechter zu und das Spektakel ist ebenfalls größer. Die Duelle sind toll. Speziell in China hatte ich wirklich viel Spaß."

"Ich habe mir sagen lassen, dass es reichlich Action gab." Jenson Button

Jenson Button (McLaren) tut sich indes noch ein bisschen schwer damit, die Neuerungen genau zu bewerten. "Ich habe mir sagen lassen, dass es reichlich Action gab. Für den Sport kann das nur gut sein, denn offensichtlich sind die Einschaltquoten sehr gut. Das ist prima", meint der Brite, fügt aber hinzu: "Überholen ist klasse, doch in China war es zu einfach. So fühlte es sich zumindest an."

"Ob es auch so aussah, weiß ich nicht." Möglicherweise müsse man bei künftigen Rennen etwas mehr Energien in die Frage investieren, wie genau die Überholzone für den verstellbaren Heckflügel (Drag-Reduction-System, DRS; Anm. d. Red.) dimensioniert werden solle. "Das ist in meinen Augen überaus wichtig. Hoffentlich wird uns das Überholen in der Türkei nicht gar so einfach von der Hand gehen."¿pbvin|512|3642|inside|0|1pb¿

Die Strategie als "bewegliches Ziel"

Grundsätzlich outet sich aber auch Button als Fan der neuen Regeln: "Für uns Rennfahrer ist es toll, denn es gibt viele Duelle." Diese Medaille habe jedoch zwei Seiten, merkt der McLaren-Pilot an und erklärt seinen Standpunkt: "Ich denke, wir befinden uns noch immer im Gewöhnungsprozess, was die neuen Regeln, den verstellbaren Heckflügel und die Reifen angeht. Eine gute Balance ist gefragt."

"Ich denke, niemand hat da bisher den idealen Weg gefunden." Jenson Button

Im Hinblick auf die vielen Boxenstopps und die zahlreichen Positionswechsel im Feld tue man sich 2011 durchaus schwer damit, den Überblick zu behalten. Button hält es für "sehr verwirrend zu wissen, wo man im Rennen steht und auf welchem Rang man schließlich einläuft". Man könne sich auch kaum eine Strategie zurechtlegen, "weil sich einfach so vieles tut", hält der Routinier fest.

Die Renntaktik sei in diesem Jahr "ein bewegliches Ziel", meint Button. "Ich denke, niemand hat da bisher den idealen Weg gefunden, doch wir kamen der Sache schon recht nahe. Nur so konnte Lewis in China siegen, denn das schnellste Auto hatten wir nicht. Wir lernen eben immer noch dazu", fasst der Weltmeister von 2009 zusammen. Teamkollege Hamilton hat damit jedenfalls viel Freude.

Ein Missgeschick eröffnet ganz neue Möglichkeiten

"2010 hatte man nur einen Boxenstopp - und das war langweilig. Jetzt spielt die Strategie eine viel größere Rolle. Das bedeutet, du verlierst zwischendurch deine Position und musst erst jemanden überholen, um wieder nach vorne zu gelangen. Das wollen die Leute sehen", sagt der Brite. "China war zweifelsohne eines der aufregendsten Rennen, an denen ich bisher teilgenommen habe."

"Bei uns resultierte diese besondere Strategie aus einem Versehen." Mark Webber

Auch für Mark Webber (Red Bull) hielt dieser WM-Lauf einige interessante Szenen bereit, schließlich hatte der Australier die Qualifikation verpatzt und musste von weit hinten aus losfahren. Dank einer guten Strategie und einiger frischer Reifensätze konnte sich Webber aber noch bis auf Rang drei nach vorne arbeiten. Eine taktische Meisterleistung, die bald Schule machen könnte - oder doch nicht?


Fotos: Großer Preis der Türkei, Pre-Events


"Das kann man sich durchaus überlegen", sagt Webber und merkt an: "Sepang und Schanghai waren zwei Kurse, auf denen du gut überholen konntest. Das sollte auf den meisten Strecken gelingen, wo wir doch nun den verstellbaren Heckflügel haben." Eine Fahrt, wie er sie in China gezeigt habe, sei aber kaum zu planen: "Bei uns resultierte diese besondere Strategie ja aus einem Versehen."

Gegensätzliche Strategien als Trumpfkarte?

Webber war schon in Q1 ausgeschieden und musste einige Reifensätze ungebraucht in der Garage stehen lassen. Dies kam ihm im Rennen zugute. "Wenn man vor der Wahl steht, wird man es immer vorziehen, frische Reifen zu haben", erklärt der Red-Bull-Fahrer. "Es ist aber ein schmaler Grat, zu überlegen, wie viele Startplätze du aufgeben musst, um noch neue Pneus auf Lager zu haben."

"Die Grands Prix sind nun halt sehr taktisch geprägt." Mark Webber

An ein taktisches Geplänkel im Qualifying glaubt Webber daher nicht, sondern sieht den Erfolg seiner Taktik vor allem in der Rennsituation auf der Strecke begründet: "Unser größter Vorteil war vermutlich, dass wir das Rennen auf der anderen Mischung beenden konnten. Wir hatten eine gegensätzliche Strategie", meint der 34-Jährige und fügt hinzu: "Die Grands Prix sind nun halt sehr taktisch geprägt."

"Wenn es die Leute mögen, dann ist das doch gut für die Show", sagt Webber. Button pflichtet seinem Fahrerkollegen bei: "Es zahlte sich aus für Mark, einige neue Reifensätze zu haben. Sein Rennen lief prima und seine Strategie ging auf. Meiner Meinung nach sollte man deswegen aber nicht riskieren, nicht in Q3 dabei zu sein", erklärt der McLaren-Pilot. "Diese Entscheidung ist jedoch sehr schwierig."

Die Reifen als neuer Entscheidungsfaktor

Genau wie die veränderte Reifensituation, seitdem Pirelli für die Belieferung der Teams verantwortlich zeichne, wie Button ergänzt. In Kombination mit KERS und dem verstellbaren Heckflügel ergebe sich eine wirklich knifflige Lage für Fahrer, die auf der Strecke angegriffen werden. "Hat dein Hintermann dann auch noch frische Reifen, wird es noch einmal deutlich härter", gibt Button zu Protokoll.

"Mit alten Reifen kannst du deinen Hintermann nicht in die Schranken verweisen." Jenson Button

Ist man als Fahrer in einem solchen Szenario wirklich ohne Chance? Offensichtlich, denn "neue Pneus bedeuten im Falle von Pirelli nämlich einen großen Unterschied", sagt Button. "Dank des verstellbaren Heckflügels ist das Überholen eh recht einfach. Mit alten Reifen kannst du deinen Hintermann aber nicht in die Schranken verweisen und schon gar nicht zum Konter ansetzen."

"Das geben die Reifen einfach nicht her", erläutert der 31-Jährige. Unterm Strich begrüßt Button die Technik-Spielereien in der Formel 1 aber doch: "Man muss schon sehr bedacht vorgehen, wenn man das DRS beim Überholen einsetzt. So ist es ja auch vorgesehen." Nur zu einfach dürfe das Überholen dadurch nicht werden: "Wir brauchen unsere Duelle, damit das Zusehen weiterhin Spaß macht."