Einblicke in die Rennstrategie bei Mercedes
Der Zeitpunkt des Boxenstopps kann nach wie vor über Sieg und Niederlage entscheiden - Mercedes-Rennstratege James Vowles gibt Einblicke in seine Arbeit
(Motorsport-Total.com) - Für die Saison 2010 wurde das Nachtanken verboten. Trotzdem kommt den Boxenstopps nach wie vor eine entscheidende Bedeutung zu. Bei den meisten Rennen wird nur noch einmal von der weichen auf die harte Reifenmischung, oder umgekehrt, gewechselt. Der Zeitpunkt dafür kann entscheidend für das Ergebnis sein. In Suzuka beispielsweise startete Jenson Button als einziger Fahrer im Spitzenfeld auf den harten Reifen und wechselte erst spät auf die andere Mischung.

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Die Boxenstopps können über Sieg oder Niederlage entscheiden
In die Rennstrategie werden viele Variable eingerechnet. Wie ist der Unterschied dabei zum Vorjahr? "Am Sonntag ist es in dieser Saison eine größere Herausforderung, aber nicht der Rest des Wochenendes. Im vergangenen Jahr war dein Rennen sehr davon diktiert, wie viel Sprit du im Qualifying mitgeführt hast", meint Mercedes-Stratege James Vowles. "War die Benzinmenge falsch, konnte es einen Unterschied in der Startaufstellung ausmachen und somit auch wichtige Plätze im Rennen."
"In dieser Saison hat sich das Augenmerk bei der Strategie im Qualifying auf die Reifen gerichtet. Welche Pneus man verwenden soll, ob man in der Garage bleibt, welche Motoreinstellungen man verwendet und wie man die Reifen am besten schont, damit der Fahrer in Q3 die besten Chancen hat. Man muss auch verstehen was die Konkurrenz tut und die Zeit maximieren, die das Auto nicht im Verkehr steckt."
Wie sehen die Aufgaben eines Rennstrategen genau aus? "Ich stelle den Fahrern Informationen bereit, wie sich die Reifen über das Rennwochenende verhalten sollten. Außerdem helfe ich das Freitagsprogramm zu erstellen, um sicherzugehen, dass wir die nötigen Informationen bekommen, die im Qualfiying und im Rennen zu den richtigen Entscheidungen führen", schildert Vowles.
"Ich studiere unsere Hauptkonkurrenten und versuche, ihre Stärken und Schwächen herauszufinden und streiche heraus, was uns dabei betreffen wird und wie wir diese Information zu unserem Vorteil nutzen können. Wenn wir die Daten über das Wochenende zusammentragen, baue ich den Plan auf, wie wir im Qualifying vorgehen sollten und wie wir unsere nächsten Konkurrenten schlagen können, um die bestmögliche Ausgangsposition für das Rennen zu haben."
In der Formel 1 beschatten sich die Teams seit jeher, Spionageskandale inklusive. Die Zeiten, in denen die Autos in der Garage hinter Stellwänden versteckt wurden, sind zwar am Rennwochenende vorbei, aber trotzdem wird jedes Detail der Konkurrenz aufgenommen und analysiert. "Wir richten unseren Fokus auf alle andere Teams genauso wie auf unseres", bestätigt Vowles. "Das ist speziell in dieser Saison wichtig, denn mit den neuen Regeln verändern sich die Leistungen der Teams an jedem Wochenende."
"Im vergangenen Jahr gab es nur vier Teams, auf die wir uns konzentriert haben", erinnert sich der Stratege an die erfolgreiche BrawnGP-Zeit zurück. "In dieser Saison sind es bis zu sieben Mannschaften, weshalb es eine größere Herausforderung ist." 2010 kämpft Mercedes nicht an der Spitze mit. Dreimal konnte Nico Rosberg in den ersten 16 Rennen als Dritter auf das Podest klettern.
¿pbvin|512|2880|reifen|0|1pb¿Auf den Reifen liegt derzeit der Fokus der Strategen. "Sie sind der wichtigste Teil des Autos. Da nicht mehr nachgetankt wird, bestimmen die Reifen den Zeitpunkt des Boxenstopps. Wir müssen ein Reifenfenster feststellen, zum Beispiel wenn eine Mischung besser als die andere ist. Dann müssen wir die Entscheidung treffen wann gewechselt wird. Wir müssen wissen wie sich ein Reifen aufwärmt, wie schnell er zum Körnen neigt, ob die Oberfläche beschädigt ist und wie es die Balance des Autos beeinflusst."
"Die wichtigsten Überlegungen drehen sich darum, wie die beiden Mischungen verschleißen. Man hat in der Vergangenheit gesehen, dass wir das beste Team sind, wenn es darum geht, den richtigen Moment zum Wechseln zu finden", lobt Vowles seine Mannschaft. Der Benzinverbrauch spielt ebenfalls eine Rolle, denn mit jeder Runde wird das Auto leichter.
"Zehn Kilo Sprit machen 0,3 bis 0,4 Sekunden pro Runde aus. Deshalb müssen wir entscheiden, wieviel Benzin wir verwenden, wann wir den meisten Kraftstoff verwenden mit Bezug auf den Fahrstils des Piloten, oder ob wir auf zwei Stopps umstellen sollen. Die Formel 1 erlaubt nur einen kleinen Spielraum für Fehler. Es ist entscheidend, die richtige Benzinmenge einzustellen und die Leistung der Reifen einzuschätzen. Sonst kann man schnell zwei Sekunden auf die Konkurrenz verlieren."
Unvorhergesehenes kann schnell passieren
Speziell bei wechselnden Bedingungen herrscht des Öfteren Chaos an der Boxenmauer, doch auch bei optimalen Verhältnissen ist es nicht immer leicht, den Überblick zu behalten. "Es kann manchmal kompliziert werden, denn viele Aspekte, die den Benzinverbrauch bestimmen, ändern sich ständig", beschreibt Vowles.

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Safety-Car-Phasen werfen die geplante Strategie meist über den Haufen Zoom
"Zum Beispiel kann ein Reifen, der stark körnt, plötzlich wieder normal funktionieren. Oder die Streckentemperatur ändert sich und die Leistung fällt ab. Auf einem Straßenkurs wie Monaco, wo auf öffentlichen Straßen gefahren wird, können sich die Bedingungen zwischen jedem Training verändern. Nur wenige Minuten vor einer Einheit muss man die Änderungen verstehen und dann darauf reagieren."
Da es während der Saison keine Testfahrten mehr gibt, müssen die Teams alles am Freitag ausprobieren und auch die Eigenheiten der Strecke erkunden. "Wir müssen so viele Daten wie möglich über das Verhalten des Autos auf der Strecke sammeln. Wenn wir den Benzinverbrauch falsch kalkulieren, dann könnte das Auto zu schwer sein, oder zu leicht. Dann würde es nicht die volle Leistung zeigen können."
"Wir arbeiten auch an den Boxenstopps und messen, wie viel Zeit ein Reifenwechsel von Beginn der Boxengasse bis zur Ausfahrt dauert. Wir haben glücklicherweise die schnellste und konstanteste Boxenmannschaft, die meinen Job viel leichter macht", ist Vowles glücklich.
Vorbereitungen schon lange vor dem Rennen
Die strategischen Überlegungen beginnen bereits vor der Ankunft an der Rennstrecke. "Wir starten damit am Dienstag und Mittwoch vor dem Rennen, damit unsere Fahrer eine gute Idee davon bekommen, was wir erwarten werden. Wir schätzen die Benzinmenge ab und testen sie am Freitag. Das gibt uns eine gute Vorstellung darüber, welch Strategie wir im Qualifying und Rennen verwenden werden. Nach der Qualifikation wird auch geplant, aber nicht soviel, wie man allgemein erwartet."
"Hauptsächlich geht es bei den Vorausplanungen um den Einsatz des Safety-Cars, einen Unfall oder wie man reagieren muss, wenn man zu einem frühen Stopp gezwungen wird. Wenn man Pläne parat hat, ist es einfacher auf die vielen Möglichkeiten zu reagieren. Manchmal verlassen wir uns auf das Glück, aber wenn man detailliert vorbereitet ist und versteht wie man auf gewisse Situationen reagieren muss, dann kann man effizienter und erfolgreich reagieren. Die Strategie in der Formel 1 ist ein Fall von 'sich nicht vorzubereiten, ist die Vorbereitung zu versagen.'"

