Die Mechaniker: Schlaflose Helden ohne Gesicht

Formel-1-Mechaniker leben Leidenschaft im Wortsinn und stehen im Schatten der Stars - Was sie antreibt, was sie durchmachen und was sie verdienen

(Motorsport-Total.com) - Sie sind meist die Ersten, die kommen und die Letzten, die gehen. Wenn es sich die Formel-1-Superstars längst im Hotelzimmer gemütlich gemacht haben, liegen sie noch immer mit schmierigen Fingern unterm Auto. Sie verdienen keine Millionen und doch würde nichts ohne sie laufen - das ist die harte Welt der Formel-1-Mechaniker. Geht mal was schief, wird sofort mit dem Finger auf sie gezeigt. Läuft alles nach Plan, heimst der Pilot die Lorbeeren ein. Oder der Stratege. Oder der Teamchef. Mechaniker werden hingegen nie als Helden hochstilisiert.

Titel-Bild zur News: Felipe Massa

Beim Boxenstopp muss es schnell gehen. Nur die Besten dürfen Reifen wechseln

Insgesamt sind es rund 400 Mechaniker, die sich an 19 Wochenenden im Jahr voll dem Team unterordnen. Sie sind 200 Tage lang weg von zuhause, sind oft ledig oder geschieden. Und auch der Ruhm hält sich in Grenzen, wie Teamchef Peter Sauber gegenüber der 'FAZ' bestätigt: "Sie werden nicht viel besser bezahlt als ein Industriemechaniker in der Schweiz." Pro Jahr verdient ein Mechaniker rund 40.000 Euro - wie bei den Piloten sind auch ihre Verträge erfolgsabhängig, sie bekommen Bonusgelder für WM-Punkte, Podestplätze und Siege. So will man die Motivation im Team hochhalten.#w1#

Im Bann der Formel 1

Ohne kindliche Begeisterung für die Formel 1 geht aber gar nichts - sonst würde man sich diesen Job nicht antun. Das bestätigt Peter Vale - ein Mechaniker, der bei McLaren einst den Tankschlauch bediente: "Der Rennstart ist für mich der Höhepunkt. Dann nehme ich die Kopfhörer kurz zur Seite und höre zu, wie sie alle beschleunigen. Das ist der Hammer! Deshalb sind wir da. Natürlich ist es auch ein tolles Gefühl, wenn wir ein Rennen gewonnen haben, wenn man sieht dass sich all unsere Mühe gelohnt hat."

Und auch der südafrikanische Entwicklungsingenieur Anton Stipinovich, der bereits für Red Bull, Ferrari und McLaren gearbeitet hat, weiß, warum die Mechaniker solch enorme Strapazen auf sich nehmen: "Wenn sie es auch nicht gerne zugeben: Sie lieben diesen Job. Es ist kein normales Leben, denn man ist vier bis zehn Tage am Stück von zuhause fort. Und wenn du nach Hause kommst, hast du es schwer, dich wieder umzustellen. Viele Menschen in dieser Branche haben kein Familienleben, oder zumindest kein problemloses. Aber niemand wird gezwungen. Am Ende der Saison gibt es unterschiedliche Meinungen - manche sagen, das war ihre letzte Saison und sie würden nie wieder kommen. Und dann nach den Ferien können sie es gar nicht mehr erwarten, weiterzumachen."

"Am Ende der Saison gibt es Mechaniker, die sagen, sie würden nie wieder kommen. Und dann nach den Ferien können sie es gar nicht erwarten, weiterzumachen." Anton Stipinovich

Schlaflos in der Box

Auch im gesichtslosen Kollektiv der Mechaniker gibt es klare Hierarchien: Manche dürfen ihr Leben lang nie am Auto arbeiten, sind Lastwagenfahrer, malen den Boden in der Box aus oder müssen Reifen oder Motorhomes putzen. Schließlich müssen auch die Lastwägen Millimeter-genau im Fahrerlager angeordnet sein. Die Elite legt am Formel-1-Boliden Hand an - doch gerade in dieser Saison ist dies oft mehr Fluch als Segen.

Durch das Testverbot kommen neue Teile ungetestet auf das Auto. Da erlebt man oft unliebsame Überraschungen: Das F-Schacht-System brachte bei Red Bull nach dem ersten Trainingstag in Istanbul nicht den gewünschten Erfolg - also blieb den Mechanikern nichts anderes übrig, als es über Nacht wieder auszubauen. Diese langwierige, komplexe Operation begann aber erst in den späten Abendstunden, denn zuerst mussten die Fahrer und Ingenieure die Daten des ersten Trainingstags analysieren und bezüglich des F-Schachts eine Entscheidung treffen: Mehr als eine Stunde Schlaf war da nicht drinnen, denn auch am nächsten Tag sind die Mechaniker gefragt.

Freilich ärgert sich der Pilot, wenn er auf der Strecke einen Fehler macht, seinen Boliden an der Mauer zerstört und dadurch wertvolle Trainingszeit verliert. Doch für den Mechaniker beginnt dann meist ein Wettlauf gegen die Uhr. Oft muss kurzfristig auf das Mittagessen verzichtet werden, damit der Bolide wenige Minuten vor dem entscheidenden Qualifying wieder einsatzbereit ist.

Auch die Farbe des Bodens in der Box hat einen Zweck Zoom

Die Arbeit der Mechaniker selbst erinnert eher an eine Notoperation im Kreißsaal als an das Basteln in einer Werkstätte: Dass der Boden vor jedem Rennwochenende frisch hellgrau gestrichen wird, ist keineswegs ein Ausdruck von Dekadenz. So erkennen die Mechaniker an der Farbe sofort, welche Flüssigkeiten aus dem Auto ausrinnen - die Fehlersuche wird dadurch deutlich verkürzt. Auch die Wäsche der Mechaniker ist blitzsauber, mit schnellen Handgriffen wird am offenen Boliden gearbeitet - gesprochen wird dabei kaum.

Zapfenstreich für Formel-1-Mechaniker?

An einem Rennwochenende sind sechzig Stunden Dienst eher das Minimum - das kann freilich böse Folgen haben. Das Formel-1-Debüt von Nick Wirths Virgin-Rennstall brachte die Mannschaft dermaßen an die Grenzen, dass ein ausgelaugter Mechaniker den Zentralverschluss des linken Vorderreifens nicht ordentlich festschraubte. Plötzlich verlor Timo Glock im Freien Training das Rad - ein Unfall, der in einer Katastrophe hätte enden können.

Wirth fordert nun gegenüber 'Motorsport-Total.com' einen Zapfenstreich für Formel-1-Mechaniker: "Es wäre ganz leicht, in der Formel 1 eine Sperrstunde ab Mitternacht einzuführen, denn so würde jeder zumindest sechs Stunden Schlaf bekommen - und ich kenne einige Menschen, die mit sechs Stunden Schlaf nicht richtig funktionieren. Einige von uns haben in keiner Nacht sechs Stunden Schlaf". Als Vorbild dient die US-amerikanische IndyCar-Serie: "Als ich 2004 bei den IndyCars war, kamen pünktlich um 17:30 Uhr ein paar bewaffnete Männer mit einem Vorhängeschloss. Da war Ruhe in der Kiste! Es geht also, wenn man nur will."

"Es wäre ganz leicht, in der Formel 1 eine Sperrstunde ab Mitternacht einzuführen." Nick Wirth

Wer darf beim Boxenstopp Hand anlegen?

Wenn man es als Mechaniker in die Boxencrew geschafft hat, dann zählt man zur absoluten Spitze, doch auch der Druck ist am Größten: Das Team vertraut nur den Besten der Besten, zumal viele Rennen in den Sekunden beim Reifenwechsel entschieden werden. Auch hier sind dieses Jahr die Sitten rauer geworden. Durch das Verbot der Tankstopps haben die Mechaniker nur noch rund drei Sekunden Zeit, um alle vier Gummis zu tauschen.

Was in der Hektik passieren kann, bewies die Force-India-Mannschaft in Hockenheim: Weil Adrian Sutil und Tonio Liuzzi nach der ersten Runde unplanmäßig die Box ansteuerten, verwechselte man die Reifen. Der Deutsche wurde mit drei harten und einem weichen Reifen auf die Strecke geschickt, beim Italiener passierte das Gegenteil. Spätestens dann war das Rennen für die Truppe gelaufen - die Mechaniker wurden mit Spott überschüttet. Noch am Vortag musste man Überstunden einlegen: Liuzzi hatte seinen Boliden im Qualifying an der Boxenmauer zerstört.

Scott Speed

Red Bull hat sich bei den Boxenstopps in der NASCAR-Serie Ideen geholt Zoom

Um wirklich die besten Kräfte für die Boxencrew zu finden, ließ sich Red Bull von der NASCAR-Serie inspirieren. "Da profitieren wir sehr von den Erfahrungen mit unserem NASCAR-Team", bestätigt Red-Bull-Motorsportkonsulent Helmut Marko gegenüber 'ServusTV'. "Wir haben einen eigenen Physiotherapeuten engagiert, der aus einem Pool von 45 Mechanikern für jede Position beim Boxenstopp nach körperlichen Merkmalen den Richtigen aussucht." Das hat sich ausgezahlt: Die Boxencrew von Sebastian Vettel und Mark Webber zählt zu den besten der gesamten Formel 1.

Karrieresprungbrett Mechaniker?

Früher war es noch möglich, als Mechaniker in der Formel 1 Karriere zu machen. Und zwar bis ins Management. Ob das in Zeiten wie diesen noch möglich ist, ist fraglich. Zu klar sind die Strukturen, zu professionell ist die Formel 1 geworden. Einer, der es jedenfalls geschafft hat, ist Ex-McLaren-Teamchef Ron Dennis. Größenwahn und ein fast krankhafter Hang zum Perfektionismus lassen den ehemaligen Mechaniker von Jochen Rindt auch nicht davor zurückschrecken, mit seinem Supersportwagen McLaren MP4-12C eine Art neuer Enzo Ferrari werden zu wollen.

Dass er aber auch alles mitbrachte, um ein perfekter Formel-1-Mechaniker zu sein, beweist seine Geschichte: Er verbrachte oft Stunden damit, den gesamten Wagen zu zerlegen, jedes Teil sorgsam zu reinigen und das Ganze dann wieder zusammenzubauen. Sein ehemaliger Partner Neil Trundle erinnert sich an gemeinsame Brabham-Zeiten, wo Dennis Chefmechaniker war: "Brabhams Fahrzeuge waren immer die, die am besten aussahen, am schönsten glänzten und am saubersten und am perfektesten vorbereitet waren - das galt auch für die Fabrik: Als der Konstrukteur einmal auf Urlaub war, stiftete uns Ron an, die ganze Werkstatt zu streichen. Er selbst packte am meisten zu."

"Als der Brabham-Konstrukteur einmal auf Urlaub war, stiftete uns Chefmechaniker Ron Dennis an, die ganze Werkstatt zu streichen - er selbst packte am meisten zu." Neil Trundle