• 03.09.2005 14:18

Dupasquier: "Können das nicht akzeptieren"

Michelins Motorsportchef spricht sich erneut vehement gegen die Einführung eines Einheitsreifens in der Formel 1 aus

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Warum möchte die FIA in der Formel 1 einen Einheitsreifen einführen?"
Pierre Dupasquier: "Dafür gibt es drei 'offizielle' Gründe: die Kosten sollen gesenkt werden, die Leistung soll gedrosselt werden und es soll sichergestellt werden, dass ein Team nicht nachhinkt, weil es die 'falschen' Reifen hat."

Titel-Bild zur News: Pierre Dupasquier

Pierre Dupasquier ist weiterhin ein Gegner eines Einheitsreifens

Frage: "In welcher Weise würde ein Einheitsreifen die Kosten senken?"
Dupasquier: "Wenn man nur einen Reifentyp hat, an dem keine Entwicklungsarbeit geleistet wird, dann würde die zurückgelegte Distanz der Teams bei den Reifentests sinken. Wenn Formel-1-Auto eine begrenzte Anzahl von Reifen für das Jahr hätten - beispielsweise drei Satz Trockenreifen und ein Satz Regenreifen -, dann wären die Reifen immer dieselben, sie würden einfach zu Saisonbeginn in großen Stückzahlen gebaut werden. Auch die Anzahl der Reifen für jedes Team würde bei jedem Kurs festgelegt werden."#w1#

Frage: "Bedeutet das, dass es dann keine Test- und Entwicklungsarbeit geben wird?"
Dupasquier: "Daher sprach ich von 'offiziellen' Gründen, denn die Arbeit mit nur einem Reifenhersteller bringt ein grundsätzliches Problem mit sich: die Herabsetzung des Reifens zu einem Bestandteil des Autos, das keinen Zusatzwert liefert, sondern nur dafür sorgt, dass sich das Auto bewegen kann. Wir als weltweit führender Reifenhersteller können das nicht akzeptieren."

"Das würde für alle unsere Kunden keinen Sinn ergeben." Pierre Dupasquier

"Im täglichen Geschäft kommen immer wieder die Automobil- und Lkw-Hersteller zu uns und fragen nach weiteren Entwicklungen bezüglich des Laufverhaltens, Energieeffizienz und Straßenhaftung. Aber in der Formel 1, in der die Technologie zur Schau gestellt werden konnte, redet man nun darüber, dass die Reifen banal werden. Das würde für alle unsere Kunden keinen Sinn ergeben, auch nicht für das Image unserer Reifen. Wenn man der führende Reifenhersteller ist, dann stehen sich Verantwortung und Profession gegenüber."

Frage: "Heißt das, dass Einsparungen bei einem Kampf mehrerer Reifenhersteller nicht möglich sind?"
Dupasquier: "Wir haben bei den aktuellen Regeln bereits eine signifikante Absenkung der Anzahl der Reifen für ein Auto: drei Satz Trockenreifen, zwei Typen je Wochenende und ein Satz, der Qualifying und Rennen halten muss. Derzeit steht die Reduktion der Testkilometer im Fokus."

Frage: "Hat Michelin für die Reduktion des Testumfangs Vorschläge gemacht?"
Dupasquier: "Beim Brasilien-Grand-Prix 2004 haben wir Bernie Ecclestone, der sich in dieser Sache besorgt zeigte, Folgendes geschrieben: 'Michelin erklärt, dass sie in der Lage sind, Formel-1-Reifen ohne spezielle Tests zu entwickeln. Es ist möglich, unserer Testreifen an den Autos zu montieren, wann immer unsere Partner auf der Strecke Getriebe- oder Aerodynamiktests durchführen.' Ich möchte aber auch sagen, dass wir bei Michelin Tests bei speziellen Umständen haben wollen. Wir glauben, dass es aus Sicherheitsgründen erlaubt sein sollte, auf neuen Strecken oder Pisten mit verändertem Asphalt zu testen."

Frage: "Wenn die Vorschläge von Michelin in einer Phase umgesetzt worden wären, in der mehr als nur ein Reifenhersteller involviert gewesen wären, welche Kostensenkung hätte man erreichen können?"
Dupasquier: "Wir haben zwei Vorschläge für eine Kostensenkung: weniger Reifentypen und Einschränkungen bei den Testkilometern. Wenn man von Kosten von 800 Dollar je Testkilometer ausgeht, dann werden das schnell hohe Einsparungen. Man könnte die zurückgelegten Testkilometer je Team locker um 20.000 Kilometer verringern - das würde in der Formel 1 zu Einsparungen von 160 Millionen Dollar führen. In der Rallye-Weltmeisterschaft haben wir ein ähnliches Abkommen mit einem anderen Reifenhersteller bereits umgesetzt."

Einheitsreifen "keine Garantie für Sicherheit"

Frage: "Das zweite Ziel ist, die Sicherheit zu verbessern."
Dupasquier: "Wenn ein Fahrer zu spät bremst und zu schnell in eine Kurve einlenkt, oder wenn er das Hinterrad eines vorausfahrenden Autos trifft, dann wird das Auto abheben - egal, ob es auf einem Einheitsreifen fährt oder nicht. Meisterschaften mit Einheitsreifen gibt es bereits, vor allem in den Vereinigten Staaten in der NASCAR, IndyCar und ChampCar. Aber das ist keine Garantie für Sicherheit. In diesem Jahr explodierten beim NASCAR-Rennen in Pocomo sieben Reifen während der Trainings und des Rennens."

Frage: "Das dritte Argument betrifft die Fairness zwischen den Teams. Wie würde man bei nur einem Reifenhersteller garantieren, dass alle Teams gleich behandelt werden?"
Dupasquier: "Gute Frage. Wenn es der Veranstalter möchte, dann gibt es Maßnahmen, die auch in der Vergangenheit schon angewendet wurden, wie das zufällige Zuweisen der Reifen und das Verhindern der Versuchung, die Reifen so zu verwenden, dass die Leistung ansteigt. In Einheitsformeln haben wir die Teilnehmer oftmals gebeten, zu unserem Truck zu kommen und die Reifen selbst auszuwählen."

Frage: "Könnte die Reifenentwicklung aber nicht einem Auto besser liegen als einem anderen?"
Dupasquier: "Ja, das kann passieren. Die Verbesserung eines Formel-1-Autos hängt von der Balance zwischen Reifen, Aerodynamik und Traktion ab. Das ist unabhängig vom Fahrer, der Motorleistung und von Rennzwischenfällen und Taktik. Wenn ich ein Team bevorzugen möchte, dann würde ich Reifen entwickeln, die deren Balance optimieren. Dann würde ich diesen Reifen für alle herstellen. Selbst wenn die Reifen dann zufällig zugewiesen werden, würde das Team dennoch davon profitieren, egal was passiert. Wenn ein Reifen optimal zu der Balance eines Autos passt, dann wohl kaum für die anderen Fahrzeuge. Ich war zu dieser Zeit nicht eingebunden, aber nach dem, was mir die Teams erklärten, die 1999 und 2000 an unsere Tür klopften und nun auch weiter mit Michelin fahren wollen, ist genau das passiert. Ich glaube, dass nur ein Reifenhersteller das Interesse am Rennsport nicht verbessern würden."

Frage: "Was sind die Nachteile eines einzigen Reifenherstellers in der Formel 1?"
Dupasquier: "Es gibt zwei große Nachteile: Man reduziert die zur Schau gestellte Technologie und macht die Formel 1 zu einer Einheitsformel. Außerdem verliert man das Interesse daran, etwas Neues zu entdecken und dies dann unter Wettbewerbsbedingungen einzuführen."

"Zwei oder gar mehr Reifenhersteller gehören zum Rennsport" Pierre Dupasquier

Frage: "Gibt es Überschneidungen zwischen dem Motorsport und der Technologie für die normalen Straßenreifen?"
Dupasquier: "Ohne Zweifel, ja. Das nimmt verschiedene Formen an, abhängig vom Wettbewerb. Spitzenmotorräder profitieren direkt von der Technologie der MotoGP. In der Rallye muss ein Reifentyp auf einer Vielzahl von Untergründen fahren und bietet daher eine gute Basis für Entwicklungen von Hochleistungsreifen. In der Formel 1 ist diese Verbindung zunächst nicht offensichtlich, aber die Aufgaben der Ingenieure in der Formel 1 deckt alle Gebiete ab und ist daher eine gute Schule für die nächsten Aufgaben. Es gibt einen regelmäßigen und fruchtbaren Austausch zwischen diesen Entwicklungsteams."

Frage: "Wenn die FIA einen Einheitsreifen einführen würde, wie würde Michelin darauf reagieren?"
Dupasquier: "Diese Frage muss man dem Management von Michelin stellen. Ich weiß nur, dass die Philosophie des Einheitsreifen nicht mit der Vision der Michelin-Chefs übereinstimmt. Das gilt für den gesamten Motorsport, in dem sich Michelin engagiert. Wenn es darum gehen würde, der Formel 1 eine helfende Hand zu reichen, dann würden wir uns dieser Verantwortung aber sicher stellen. Daher wiederhole ich, dass es zum Rennsport gehört, zwei oder gar mehr Reifenhersteller zu haben, wenn man nicht einen 'Holzreifen' für alle Teams bauen möchte - und dazu führt ein Einheitsreifen. Es wäre möglich, signifikante Kostensenkungen zu erreichen, ohne die Sicherheit der Fahrer oder das Interesse am Rennsport zu behindern."