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  • 19.10.2008 15:18

  • von Dieter Rencken

Domenicali: "Lewis war in einer anderen Liga"

Die große Rennanalyse mit Stefano Domenicali: Warum Ferrari gegen Lewis Hamilton keine Chance hatte und wie die Chancen auf den WM-Titel stehen

(Motorsport-Total.com) - Ferraris Grand Prix von China war von drei wesentlichen Merkmalen geprägt. Erstens: Lewis Hamilton und McLaren-Mercedes waren nicht zu knacken. Zweitens: Der Positionstausch zwischen Kimi Räikkönen und Felipe Massa war hinsichtlich der Weltmeisterschaft die einzig logische Taktik. Und drittens: Räikkönen scheint wieder zu alter Form zu finden.

Titel-Bild zur News: Stefano Domenicali

Stefano Domenicali weiß, dass Lewis Hamilton heute unschlagbar war

Letzteres lag an einigen Änderungen, die Ferrari für den Finnen vorgenommen hat. So fuhr Räikkönen in Shanghai ohne, Massa weiterhin mit "Haifischflosse". Das Comeback des "Icemans" ist für die Konstrukteurs-WM wichtig, hinsichtlich der man in Maranello bei elf Punkten Vorsprung schon den Champagner einkühlen darf. Bei den Fahrern geht Massa mit sieben Zählern Rückstand in sein Heimrennen. Teamchef Stefano Domenicali analysierte all das und vieles mehr im Rahmen seiner traditionellen Medienrunde in der Ferrari-Hospitality.#w1#

Ehrliches Kompliment in Richtung der Silberpfeile

Frage: "Stefano, hast du das Gefühl, dass ihr dieses Wochenende das Maximum aus den Autos herausgeholt habt?"
Stefano Domenicali: "Ich muss ehrlich und pragmatisch zugeben, dass unsere Hauptgegner an diesem Wochenende schneller waren als wir. Sie haben möglicherweise einen besseren Job gemacht und waren sicher schneller. Sie hatten seit Freitag die bessere Pace und eine schnellere Einzelrunde und wir haben heute gesehen, dass das kein Bluff war oder ähnliches."

"Sie waren einfach schneller, daher muss ich sagen, dass wir angesichts der Umstände das Maximum herausgeholt haben. Lewis war heute in einer anderen Liga, ist perfekt gefahren, schnell, konstant. Wir konnten nicht einmal daran denken, ihn zu attackieren. Heute Morgen haben wir gesagt, dass wir versuchen würden, Lewis von Anfang an zu attackieren, aber das war nicht möglich, denn er war einfach zu schnell."

"Sie waren einfach schneller, daher muss ich sagen, dass wir angesichts der Umstände das Maximum herausgeholt haben." Stefano Domenicali

"Vor Brasilien müssen wir analysieren, warum und wie das möglich war, denn in Singapur und Fuji waren wir wirklich schnell, sowohl auf eine Einzelrunde, wie auch im Rennen. Das müssen wir verstehen. Von unserer Performance her war dieses Rennen gemeinsam mit Deutschland sicher unser schlechtestes in diesem Jahr."

"Eine Gemeinsamkeit dieser beiden Rennen sind die zur Verfügung gestellten Reifentypen. Vielleicht war das alleine der Grund, aber ich glaube nicht, denn wir haben uns dieses Wochenende über zu wenig Grip beklagt, aber es hat auch die Balance speziell im ersten Sektor nicht gepasst. Daran müssen wir arbeiten, denn wir können in Brasilien nicht um den Titel kämpfen, wenn unser Auto weniger konkurrenzfähig ist als der McLaren."

Rätselraten über den Abfall seit Fuji

Frage: "Ist die Sorge groß, dass der McLaren-Mercedes am Saisonende das schnellste Auto sein könnte?"
Domenicali: "Ehrlich gesagt nicht, denn vor einer Woche war es noch nicht der Fall. Auch vor zwei Wochen nicht. Wir müssen verstehen, warum es diese Änderung der Performance gegeben hat. Wir müssen genau analysieren, wie es dazu kommen konnte, denn heute und schon das ganze Wochenende hat man gesehen, dass wir langsamer waren. Die anderen waren so stark wie erwartet, aber wir waren schlechter als erwartet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die anderen in einer Woche einen Schritt gemacht haben, den wir nicht gemacht haben. Daran müssen wir hart arbeiten, denn wir müssen sicherstellen, dass wir für den letzten Grand Prix ein konkurrenzfähiges Auto haben."

Frage: "War der Asphalt zu kühl für eure Reifenmischung?"
Domenicali: "Dazu möchte ich nichts sagen, denn ich möchte erst die Analyse der Techniker abwarten. Wie schon gesagt waren es hier die gleichen Reifen wie in Deutschland, aber heute war es heißer. Ich kann es nicht sagen, es ist noch zu früh. Es wäre falsch von uns, es jetzt auf die Reifen zu schieben. Wir müssen das Setup analysieren, aber wir haben eine Woche Zeit, um das herauszufinden. Das ist wichtig, um beim letzten Rennen eine gute Performance zeigen zu können."

"Es wäre falsch von uns, es jetzt auf die Reifen zu schieben." Stefano Domenicali

Frage: "Was ist deiner Meinung nach der Hauptunterschied zwischen diesem Rennen und Österreich 2002, als Rubens Barrichello Michael Schumacher vorbeilassen musste?"
Domenicali: "Das kann man nicht vergleichen. Ich verstehe deine Frage, aber ich kann darauf nicht antworten. Erinnert ihr euch noch an das, was in Deutschland zwischen Kovalainen und Hamilton passiert ist? Darüber hat sich auch niemand beschwert. Es war ein ganz normaler Vorgang. Die Fahrer kennen die Interessen des Teams, das müssen wir ihnen nicht extra sagen. Ich respektiere, was Lewis in der Pressekonferenz gesagt hat. Lewis hat gesagt, dass es ein Teamsport ist und dass wir einen guten Job gemacht haben."

Frage: "Ihr habt nun in der Fahrer-WM sieben Punkte Rückstand und könnt nicht aus eigener Kraft Weltmeister werden. Ändert sich dadurch etwas an der Herangehensweise?"
Domenicali: "Nein, die kann sich nicht ändern. Es liegt nicht mehr in unserer Hand. Um den Titel zu holen, muss Felipe zunächst einmal gewinnen und Hamilton darf kein gutes Rennen haben. Es wird sehr schwierig, aber wir werden bis zum Ende kämpfen. Bei den Konstrukteuren ist die Situation anders, denn wir haben einen Vorsprung, von dem wir wissen, dass er noch nicht groß genug ist."

Keine Überheblichkeit in der Konstrukteurs-WM

"Man weiß nie. Heute hat man auch gesehen, dass Kovalainen ein Problem hatte. Vielleicht haben nächstes Mal wir einen Reifenschaden zum falschen Zeitpunkt. Insofern ist es noch offen, denn so etwas kann allen vier Fahrern passieren, die in den WM-Kampf involviert sind. Wir müssen zunächst einmal verstehen, warum die Performance des Autos nicht gut war. Wir dürfen nicht in Panik verfallen, denn vor einer Woche war es noch ganz anders. Wir müssen hart und vor allem konzentriert arbeiten. Das ist das Wichtigste."

Frage: "Im Vorjahr hattet ihr auch sieben Punkte Rückstand auf Lewis, jetzt wieder. Inwiefern sind der Druck und die Herausforderung anders als 2007?"
Domenicali: "Den Druck haben beide Seiten, um ehrlich zu sein. Ich habe mich vor dem Meeting heute Morgen mit Martin Whitmarsh (McLaren-Geschäftsführer; Anm. d. Red.) unterhalten. Wir sind alle konzentriert und haben Angst, dass etwas passieren könnte. Den Druck haben also beide. Lewis denkt sicher: 'Meine Güte, das wird noch ein schwieriges Rennen!' Ihm geht das durch den Kopf und Felipe auch und uns als Team auch. Es ist ganz wichtig, dass wir auf Fahrer- und Teamseite cool bleiben und abwarten, wie die beiden Weltmeisterschaften in Brasilien ausgehen."


Fotos: Ferrari, Großer Preis von China, Sonntag


Frage: "Machst du dir Sorgen wegen des Drucks, den ein Brasilianer in Brasilien verspürt? Wie wirst du Felipe beruhigen?"
Domenicali: "Ich sehe das nicht so, denn heute war das schwierigste Rennen für Felipe. Lewis hätte schon Weltmeister werden können. Wenn du erkennst, dass du nicht schnell genug bist, um Lewis zu schlagen, wenn du an die Zuverlässigkeit denkst, die immer mal streiken kann, dann musst du sagen: 'Okay, wir haben erreicht, was wir erreichen konnten!' Ich erwarte, dass Felipe - entspannt wäre das falsche Wort - gelassener sein wird als hier. Ich bin mir sicher, er kann mit dem Druck positiv umgehen."

Frage: "Kimi war dieses Wochenende sehr konkurrenzfähig und er hatte andere Komponenten am Auto. Ist er seinen eigenen Weg gegangen, der ihm nun zum Durchbruch verholfen hat?"
Domenicali: "Als Team war es uns wichtig, seine Probleme von technischer Seite zu beseitigen. Ich denke, da bewegen wir uns in die richtige Richtung. Er war nicht schnell genug, zum Lewis zu attackieren und das Rennen zu gewinnen, aber es geht in die richtige Richtung, auch wenn es heute noch nicht gereicht hat."