Die V10-Situation in der 'F1Total.com'-Analyse

Das sagen Colin Kolles, Christian Horner und Marc Surer über die V10-Situation - Brief zweier Teams an die FIA ist kein offizieller Protest

(Motorsport-Total.com) - Seit Vitantonio Liuzzi beim Grand Prix von Australien spektakulär an Michael Schumacher vorbeigegangen ist, wird hinter den Kulissen wieder heiß über die Richtigkeit der Äquivalenzformel für die Cosworth-V10-Motoren der Scuderia Toro Rosso diskutiert. Zwei Teams, MF1 Racing und Super Aguri, haben deswegen sogar einen Brief an die FIA geschrieben.

Titel-Bild zur News: Scuderia Toro Rosso

Die Scuderia Toro Rosso sorgt mit dem V10-Motor weiterhin für Schlagzeilen

Allerdings handle es sich dabei "nur um einen Brief, nicht um einen offiziellen Protest", wie MF1-Racing-Teamchef Colin Kolles im Gespräch mit 'F1Total.com' klarstellte. "Es ist offensichtlich, dass die Äquivalenzformel nicht richtig ist. Es geht nicht um einen Protest, sondern es geht uns darum, dass sich die Leute das anschauen. Alle wissen ja, dass das so nicht stimmt. Wir wollen vernünftig miteinander umgehen."#w1#

Kolles verärgert über den Rennverlauf in Melbourne

"In meinen Augen kann es nicht sein, dass ein Rookie-Fahrer wie Liuzzi einen siebenfachen Weltmeister überholt." Colin Kolles

Der Deutsche, von Anfang an kein Freund der V10-Ausnahmeregelung, hofft auf ein baldiges Einschreiten der FIA: "In meinen Augen kann es nicht sein, dass ein Rookie-Fahrer wie Liuzzi einen siebenfachen Weltmeister überholt und ein anderer Rookie-Fahrer wie Speed einem mehrfachen Grand-Prix-Sieger wie Coulthard davonfährt. Coulthard hatte gegen Speed selbst mit dem neuen Auto keine Chance", sprach er den Rennverlauf in Melbourne an.

Am liebsten wäre Kolles ein komplettes V10-Verbot, doch vorerst würde er sich auch mit neuen Auflagen zufrieden geben: "Der V10 muss weiter gedrosselt werden, so wie wir das vor einigen Monaten getestet haben. Die FIA hat alle Daten von uns. Wir haben das live getestet, auf der Rennstrecke, nicht auf irgendwelchen Prüfständen. Der Unterschied war in Jerez fast eine Sekunde pro Runde", gab der 38-Jährige zu Protokoll.

Dass Kolles von einer Sekunde spricht, während Scuderia-Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost der Meinung ist, dass der V10-Motor zwar nicht am Ende des Feldes einzusortieren sei, aber keinesfalls im Spitzenfeld, entspricht der Natur der Formel 1 - die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte der beiden Aussagen liegen. Unabhängig davon gilt es aber als "unrealistisch", dass die FIA vor dem Europaauftakt in Imola handeln wird, wie ein Insider gegenüber 'F1Total.com' verriet.

Cosworth könnte ein zweites V8-Team beliefern

"Aus den engen Kurven heraus scheinen sie einen Drehmomentsvorteil zu haben." Marc Surer

Weil MF1 Racing und Super Aguri nicht offiziell protestiert haben, könnte kurzfristig nur ein freiwilliges Einlenken der Scuderia Toro Rosso den Streit beenden, doch davon ist nicht auszugehen. Die Idee, das ehemalige Minardi-Team während der Saison von V10- auf V8-Motoren umzurüsten - Cosworth beliefert ja auch Williams -, wäre zwar theoretisch umsetzbar, gilt praktisch aber als eher unwahrscheinlich, obwohl Cosworth die Ressourcen aufstocken könnte.

'F1Total.com'-Experte Marc Surer hält die Diskussion ohnehin für übertrieben: "Aus den engen Kurven heraus scheinen sie einen Drehmomentsvorteil zu haben, aber sie verlieren auf den Geraden vieles wieder. Jemand, der aus der Kurve heraus davonfährt, ist natürlich schwierig zu überholen, weil man bis zur Bremszone nicht nahe genug herankommt, um tatsächlich vorbeizufahren. Das wird auch in Imola noch der Fall sein, aber danach sehe ich nur wenige solcher Strecken", so der Schweizer.

Monaco doch nicht die große Chance für den V10?

Marc Surer

Marc Surer glaubt, dass die V10-Motoren im Laufe der Saison zurückfallen werden Zoom

"Für Monaco haben sie vielleicht sogar zu viel Leistung. Man fährt dort viel mehr mit Traktionskontrolle als anderswo. Aus den engen Kurven knattert es dort sehr stark, wenn man genau hinhört, was bedeutet, dass man das Drehmoment dort gar nicht voll ausspielen kann. Mit der kurzen Übersetzung für Monaco sollten die V8-Motoren in Monaco keinen großen Nachteil haben", analysierte der ehemalige Formel-1-Pilot nach dem Grand Prix von Australien.

"Auf das ganze Jahr gesehen ist der V10 eher ein Nach- als ein Vorteil", fügte Surer an. "Wenn, dann hätten sie den Vorteil in Malaysia nutzen müssen, wo viele Motorenprobleme hatten, aber da waren sie nirgendwo, weil es dort wenige solche Stellen gibt, aus denen man wirklich herausbeschleunigen muss. In den schnellen Kurven und auf den Geraden haben sie keine Chance." Und: "Wenn, dann hätte man von Anfang an sagen müssen, dass der V10 verboten gehört."

Allerdings versteht er den Standpunkt von MF1 Racing und Super Aguri, denn nur die Top 10 der Konstrukteurs-WM kommen in den Genuss von Reisekostenrückerstattungen bei den Überseerennen, was auf das Jahr gesehen Beträge in Millionenhöhe ausmacht. Darüber hinaus wird ja auch die Verteilungsformel für Bernie Ecclestones TV-Einnahmen anhand der Resultate eines Teams im jeweils vorangegangenen Jahr errechnet.

Verhalten von MF1 Racing und Super Aguri verständlich

"Natürlich verstehe ich MF1 Racing und Super Aguri. In deren Situation muss man protestieren." Marc Surer

"Natürlich verstehe ich MF1 Racing und Super Aguri. In deren Situation muss man protestieren. Das ist ganz normal", erklärte Surer. "Zumindest auf einigen Strecken haben sie einen Nachteil, und das können sie nicht durchgehen lassen. Red Bull hätte durch Cosworth Zugriff auf V8-Motoren und könnte sich die auch problemlos leisten. Somit stimmt diese Ausnahmeregelung, die die FIA ja eigentlich für das finanzschwache Minardi-Team eingeführt hat, nicht mehr."

Während MF1 Racing und Super Aguri ihren Unmut bereits brieflich zum Ausdruck gebracht haben, soll es auch seitens der großen Automobilhersteller Aufforderungen an die FIA gegeben haben, die V10-Ausnahmeregelung möglichst bald zu Fall zu bringen: "Die ganzen Hersteller haben schon Briefe geschrieben, dass die V10-Ausnahmeregelung auf keinen Fall auch 2007 Bestand haben darf", bestätigte Kolles gegenüber 'F1Total.com'.

Red Bull Racing hält sich aus der Sache heraus

"Die Sache ist es nicht wert, einen Aufstand deswegen zu machen." Christian Horner

Red Bull Racing, quasi der große Bruder der Scuderia Toro Rosso, will in der Angelegenheit "unparteiisch" bleiben, wie Teamchef Christian Horner gegenüber 'autosport.com' sagte: "Natürlich ist ihre relative Performance beeindruckend, aber das liegt nicht nur am Motor, sondern auch am Chassis. Auf den Geraden sind sie schnell, aber ihre Gesamtzeit ist nicht so viel schneller, daher ist es die Sache nicht wert, einen Aufstand deswegen zu machen", so der Brite.

Außerdem dürften MF1 Racing und Super Aguri das Schlimmste des V10-Vorteils für den unmittelbaren Konkurrenten bereits überstanden haben: "Wenn die V8-Motoren weiterentwickelt werden, stehen die V10-Motoren weiter still. Daher war von Anfang an klar, dass sie in den ersten Rennen gut aussehen würden, aber jetzt kommen wir nach Europa zurück. Dadurch wird sich ihr Vorteil relativieren", ergänzte Horner zu diesem Thema.

Fazit: Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass die Scuderia Toro Rosso vorerst einmal gar nichts ändern muss - und wenn, dann würde die FIA wohl im extremsten Fall eine geringfügige Änderung der Äquivalenzformel (momentan maximal 16.700 Umdrehungen pro Minute und 77 Millimeter Durchmesser des Luftmengenbegrenzers) anordnen. Dass das V10-Schlupfloch für nächste Saison komplett gestopft wird, ist aber sehr wohl anzunehmen.