Die Tücken der "Buckelpiste" von Interlagos
Sebastian Vettel, Nico Rosberg und Adrian Sutil erklären die Schlüsselstellen und Tücken der Rennstrecke in Interlagos bei São Paulo
(Motorsport-Total.com) - Das Autodromo José Carlos Pace in Interlagos bei São Paulo steht für 4,309 Kilometer anspruchsvollsten Formel-1-Asphalt. Dieser Asphalt ist aber nicht nur anspruchsvoll, sondern auch wellig, weil die Strecke auf eine Sumpflandschaft gebaut wurde. Nicht umsonst heißt Interlagos in der deutschen Übersetzung "zwischen den Seen".

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Die Boxeneinfahrt zählt in São Paulo zu den wichtigsten Schlüsselstellen
Doch seit 2007 ist die Situation für die Fahrer wesentlich komfortabler als früher: "Letztes Jahr wurde die Strecke komplett neu asphaltiert. Dadurch ist es deutlich besser geworden. Aber es hat schon noch viele Bodenwellen, gerade nach der letzten Kurve", erklärt Sebastian Vettel. Nico Rosberg sieht das ähnlich: "Der Belag ist wirklich in Ordnung, seit sie neu asphaltiert haben. Es ist immer noch wellig, aber das ist kein Problem."#w1#
Gleich nach der Start- und Zielgerade, die am welligsten ist, folgt das Senna-S, eine knifflige Bergabpassage, die sich ideal für Überholmanöver eignet. Alexander Wurz setzte dort 1998 gegen Heinz-Harald Frentzen eines der tollsten Überholmanöver in der Geschichte der Rennstrecke, aber auch Michael Schumacher bescherte den Fans der Tribüne am Senna-S in seinem letzten Formel-1-Rennen im Jahr 2006 fantastische Grand-Prix-Action.
Gute Überholmöglichkeit im Senna-S
Für Vettel ist das Senna-S die schwierigste Passage in Interlagos: "Sie hat eine lange Einfahrt, die ein bisschen zumacht, insofern ist es eine trickreiche Kurve. Und davor ist die längste Gerade, also ist das die beste Stelle zum Überholen. Im Infield ist es ziemlich schwierig", so der Toro-Rosso-Pilot. Rosberg nickt zustimmend: "Zum Überholen ist die Strecke generell sehr gut. Man kann einem anderen Auto in der letzten Kurve gut folgen, sich ransaugen und dann spät in die erste Kurve reinbremsen."

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Viele der Auslaufzonen sind in diesem Jahr mit blauer Farbe markiert Zoom
"Fast zu kurz" für Überholmanöver ist laut Adrian Sutil die Gerade nach dem Senna-S, die den ersten Sektor beschließt. Anschließend folgt das kurvenreiche Infield mit lauter langsamen bis mittelschnellen Passagen, für das viel Anpressdruck gefragt ist. Dies ist der längste der drei Sektoren. Anschließend folgt noch einmal ein kurzes Stück, das großteils unter Volllast gefahren wird. Es gilt also, einen Kompromiss zwischen Topspeed und Anpressdruck zu finden.
"Man verliert in den langsamen Kurven extrem viel, wenn man die Flügel flach einstellt. Aber im Moment ist der Griplevel sehr niedrig. Bei uns ging wenig Downforce nicht, aber wenn es morgen mehr Grip hat, kann es plötzlich funktionieren. Entweder riskiert man es oder nicht", analysiert Sutil und verweist auf Fuji, wo es am Freitag noch unmöglich war, mit flach eingestellten Flügeln zu fahren, ehe es mit zunehmendem Grip im Laufe des Wochenendes immer einfacher wurde.
Dieses Jahr scheint die Tendenz eher in Richtung mehr Topspeed zu gehen, denn die beiden Ferraris waren am Vormittag noch deutlich langsamer als die Silberpfeile. Erst als Felipe Massa seine Flügel flacher stellte und einen Topspeed von 311 km/h erreichte, verlor er im ersten und letzten Sektor keine Zeit mehr auf Lewis Hamilton. Abhängig ist die Höchstgeschwindigkeit in Interlagos natürlich auch von der Windrichtung.
Doch wie findet man heraus, welche Flügeleinstellung am besten für das Rennwochenende geeignet ist? Rosberg antwortet: "Wir wissen genau, welche Topspeeds die anderen haben, und dann orientieren wir uns an unseren direkten Gegnern und an der Simulation. Denn die Simulation sagt dir: Mit diesem und jenem Abtrieb machst du die beste Rundenzeit. Wenn Red Bull und Toyota zum Beispiel um drei km/h schneller sind als wir, werden wir wohl auch etwas flacher gehen."
Überdurchschnittlich viele Verbremser
Je flacher die Flügeleinstellung, desto höher die Wahrscheinlichkeit eines Verbremsers, wie man sie am Freitag oft sehen konnte. Das liegt an der Neigung der engen Kurven im Infield, die oftmals extrem weit innen angefahren werden: "In manchen Kurven fällt die Strecke sehr stark nach innen ab, was man im Fernsehen gar nicht so sehen kann. Da neigt das kurveninnere Vorderrad natürlich zum Blockieren", erläutert Vettel.

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Die breiten und inzwischen abgeflachten Randsteine sind typisch für São Paulo Zoom
Sutil sieht das genauso: "Es ist fast wie in einer Steilkurve. Da bleibt oftmals das innere Rad stehen." Stehende Räder sind natürlich Gift für die Lauffläche der Reifen, aber damit hatte das Graining fast aller Piloten in den ersten 180 Trainingsminuten dieses Wochenendes nichts zu tun. Durch die kühlen Temperaturen von unter 20 Grad erreichten die Bridgestones nicht ihr optimales Temperaturfenster. Das führte zum Auftreten des in Formel-1-Kreisen bestens bekannten Phänomens.
"Es ist besser als letztes Jahr, denn letztes Jahr waren die Reifen um einen Schritt weicher. Aber es ist immer noch schlimm", klagt Vettel über das Graining, während Sutil sagt: "Hier haben alle Reifenprobleme. Die Reifen haben sich schon nach einer Runde aufgelöst. Erst nach zehn Runden kam der Grip wieder zurück. Dieses Graining war heute besonders extrem." Mit zunehmendem Grip sollte sich die Lage ab Samstag jedoch bessern.
Eine weitere Schlüsselstelle auf dem brasilianischen Linkskurs ist die Boxengasse: Schon beim Einfahren müssen die Piloten aufpassen, weil jene Gegner, die auf der Strecke bleiben, die weiße Linie überqueren, um ihre Ideallinie zu halten. Aber auch die parallel zum Senna-S bergab führende Ausfahrt hat es in sich. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dort einmal im Eifer des Gefechts ein Rennen entschieden wird.
"Die Boxeneinfahrt", gesteht Vettel, "ist ziemlich schnell. Man kommt voll rum und muss dann auf der linken Seite bleiben. Die Linie, wo das Speedlimit greift, kann man sehr leicht überschießen. Bei der Boxenausfahrt ist es sehr rutschig, da hat es wenig Grip. Und man muss gut auf die weißen Linien achten." Sutil: "Es ist eine der gefährlichsten Boxenausfahrten." Und auch Rosberg stimmt ein: "Man kann sich dort keine Fehler erlauben, sonst ist man direkt in der Leitplanke."

