Die große Spionage-FAQ mit Mario Theissen
BMW Motorsport Direktor Mario Theissen erklärt, was Formel-1-Teams gegen Spionage unternehmen und warum Plagiat im Motorsport durchaus üblich ist
(Motorsport-Total.com) - Die Spionageaffäre um die ehemaligen Ferrari- beziehungsweise McLaren-Mitarbeiter Nigel Stepney und Mike Coughlan beschäftigt die Formel 1. Natürlich gab es heute am traditionellen Medientag in Silverstone kaum ein anderes Thema. BMW Motorsport Direktor Mario Theissen nahm sich im Gespräch mit den deutschen Medienvertretern Zeit, das Thema Spionage grundsätzlich zu erörtern.

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Mario Theissen ist überrascht über die aktuelle Spionageaffäre in der Formel 1
Frage: "Herr Theissen, haben Sie je Bedenken, wenn Schlüsselpersonen das Team verlassen?"
Mario Theissen: "Grundsätzlich hat man Bedenken, wenn Schlüsselpersonen das Team verlassen, denn natürlich haben sie viel Wissen und man kann sie nicht davon abhalten, ihr Wissen beim anderen Team zu nutzen. Davon abgesehen mache ich mir darüber keine Sorgen."#w1#
Viele wichtige Daten werden geschützt
Frage: "Haben Sie ein Sicherheitssystem, haben Sie Passwörter, können Sie verfolgen, wer wo auf die Rechner zugreift, wo die Daten hingehen?"
Theissen: "Bei den IT-Details kenne ich mich nicht so aus, aber es wird wahrscheinlich schon so sein. Unsere IT-Leute haben schon die Möglichkeit, zu verfolgen, was mit den Daten passiert."
Frage: "Hat Sie diese ganze Angelegenheit überrascht?"
Theissen: "Ja."
Frage: "Wie stellen Sie denn sicher, dass keiner Ihrer Ingenieure Informationen von anderen beschafft, von denen Sie nichts wissen?"
Theissen: "Indem wir es nicht honorieren. Er hätte nichts davon."
Frage: "Wie oft kommt es vor, dass sich potentielle Mitarbeiter bewerben, die sagen, ich könnte euch auch noch Informationen von dem und dem Team mitbringen?"
Theissen: "Das habe ich noch nicht erlebt. Es ist klar, dass jemand, der von einem anderen Team kommt, das, was er im Kopf hat, an Bord hat - und mehr wird niemand erwarten. Und mehr würde auch nicht honoriert. Im Gegenteil: Wenn jemand sich mit so einem Ansatz bewerben sollte, dann müsste man auch unterstellen, dass er, wenn er das Team wieder verlässt, genauso handeln würde, und das ist mit Sicherheit keine gute Visitenkarte."
Frage: "Gibt es eine Art schwarze Liste von Mitarbeitern, die man besser nicht anstellt?"
Theissen: "Bei uns nicht, vielleicht gibt es die jetzt in zwei anderen Teams (schmunzelt; Anm. d. Red.)..."
Frage: "Wie kann man denn so einen Datensatz gewinnbringend auswerten, in welcher Zeit?"
Theissen: "Das kommt ganz darauf an, um welche Daten es sich handelt. Bei den meisten Entwicklungen ist es so, dass etwas, was bei uns funktioniert, nicht an einem anderen Auto genauso funktioniert."
Spionage muss nicht immer etwas bringen
"Das heißt: Sie müssen im Prinzip Daten bekommen, das dahinter liegende physikalische Verständnis entwickeln, also rückwärts gehen und dann versuchen, eine solche neue Idee in Ihrem eigenen Paket umzusetzen, und dazu müssen Sie in der Regel dann auch die ganze Peripherie mit verändern. Und es kann sogar sein, dass eine technische Lösung, die zum Beispiel in einem Aerodynamikgesamtpaket funktioniert, in unserem Paket genau das Gegenteil bewirkt, weil wir einfach einen anderen Ansatz gehen."
Frage: "Ist es denn grundsätzlich für ein Team interessant zu erkennen, was ein anderes Team so an Herangehensweisen und Strategien hat?"
Theissen: "Jede Information ist potentiell von Nutzen."
Frage: "Wird denn das BMW Sauber F1 Team ausspioniert?"
Theissen: "Ich weiß es nicht, nicht dass ich wüsste."
Frage: "Mit den aktuellen Erfolgen könnte es aber vielleicht bald soweit sein..."
Theissen: "Es ist sicher so, dass wir spüren, dass wir mehr in den Blickpunkt der Konkurrenz rücken, das sieht man an der Zahl der Konkurrenzmitarbeiter, die vor der Box stehen, das sieht man an vielen anderen Faktoren auch, ganz klar."
Frage: "Können Sie denn ausschließen, dass ein ähnlicher Fall auch bei Ihnen passiert?"
Theissen: "Ich kann Ihnen sagen: Nicht dass ich wüsste. Können Sie ausschließen, dass irgendwo in Ihrem Unternehmen spioniert wird?"
Sicherheitsmechanismen haben auch Nachteile

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Wie lange wird es dauern, bis auch das BMW Sauber F1 Team ausspioniert wird? Zoom
Frage: "Gibt es denn spezielle Sicherheitsvorkehrungen, dass so etwas nicht passiert?"
Theissen: "Da kann man sich natürlich das eine oder andere einfallen lassen, wie zum Beispiel jedem Mitarbeiter nur die Information zu geben oder zugänglich zu machen, die er für seinen ureigenen Job braucht. Das ist aber nicht unbedingt unsere Philosophie, denn das hat natürlich auch die Kehrseite, dass er dann nicht über den Tellerrand schauen kann und keine Gesamtzusammenhänge sieht. Und das macht die Entwicklung und die Zusammenarbeit nicht unbedingt schneller und besser."
Frage: "Rein hypothetisch: Wenn Sie jetzt zu einem anderen Team wechseln würden, wie lange dürften Sie dann nicht arbeiten? Gibt es so etwas wie eine Art Schutzsperre für hochrangige Teammitglieder?"
Theissen: "Das, was jetzt in meinem Vertrag steht, das werde ich Ihnen jetzt nicht im Detail erzählen, aber grundsätzlich gibt es so etwas. Es gibt Wettbewerbssperren bei Schlüsselpersonen."
Frage: "Wie lange sind die ungefähr?"
Theissen: "Soweit ich sie kenne, bewegen sie sich unterhalb eines Jahres."
Frage: "Muss man seine eigenen Strategien unter Umständen ändern, wenn man vermuten muss, dass die Konkurrenz über die Entwicklung und ähnliches Bescheid weiß - nur allein die Vermutung, oder dass man es nicht ausschließen kann?"
Theissen: "Ich würde nicht sagen, dass man die Strategie ändern muss, aber es ist Grund, sich schneller fortzubewegen. In der Formel 1 oder im Motorsport generell ist es anders als im Serienfahrzeuggeschäft so, dass man keine Patente macht, weil es einfach viel zu lange dauern würde. Im Motorsport geht es nur darum, schneller zu sein, schneller zu entwickeln als die Konkurrenz. Und das schließt auch ein - wenn ich keine Patente mache -, dass jeder sich alles anschauen und nachmachen darf. Das ist eben gängige Praxis im Motorsport und gehört mit zu den Informationen, die ich sammle, um den nächsten Schritt zu machen."
Legale Spionage ist durchaus üblich
"Das heißt, ich muss ständig davon ausgehen, dass die Konkurrenz etwas versteht, was sie an unserem Auto sieht. Oder sie kommt durch irgendwelche anderen Informationen dahinter. Das Einzige, was dagegen hilft, ist den nächsten Schritt zu machen, bevor sie das umgesetzt haben."
Frage: "Das bezieht sich jetzt auf die Entwicklung. Wenn Sie jetzt aber zum Beispiel nicht ausschließen können, dass Ihr Konkurrent weiß, wie groß Ihr Tank ist, wie Sie Ihre Strategie planen, welche Präferenzen Sie haben - wenn Sie das alles voraussetzen, müssten Sie dann nicht sagen: Okay wir müssen den Plan ändern, soweit man ihn überhaupt ändern kann?"
Theissen: "Nicht notwendigerweise. Wenn Sie jetzt auf Rennstrategie ansprechen, dann ist es so, dass am Anfang der Saison bei den Wintertests noch groß herumgeraten wird, wie groß könnte deren Tank sein, wie arbeiten die sich durchs Rennen, aber bis Mitte der Saison wissen Sie es sowieso."
Frage: "Wieviel gibt es überhaupt, was wirklich geheim ist?"
Theissen: "Ja, das wird glaube ich eher überschätzt."
Frage: "Die Teams wissen doch eigentlich sowieso fast alles übereinander, oder?"
Theissen: "Durch Beobachtung sammelt man im Verlauf der Saison genau diese Information."
Frage: "Das heißt, Sie könnten uns jetzt sagen, wie groß der Tank von Ferrari ist?"
Theissen: "Ich nicht, aber wir haben natürlich Anhaltspunkte, wie Ferrari sich von der Strategie verhält. Es geht ja gar nicht so um die Tankgröße sondern um die Frage, wie weit man den überhaupt füllt, wie lange man seine Stints macht. Es ist heute ganz selten, dass einer mit einem randvollen Tank fährt."

