• 11.08.2003 09:53

Die einzige F1-Frau in der Startaufstellung im Interview

Gill Hall ist die einzige Frau, die in der F1 am Auto im Grid arbeitet und spricht im Interview über ihre Arbeit

(Motorsport-Total.com) - Es gibt sie tatsächlich: Frauen in der Formel 1. Gill Hall von Toyota ist ein Beispiel dafür, dass es auch das weibliche Geschlecht in eine von Männern dominierte Sportart schaffen kann. Hall wurde in Chesterfield (Großbritannien) geboren und besitzt einen Abschluss in Elektrotechnik. Die 30-Jährige arbeitete zuvor in der Luftfahrtindustrie. Als ein Kollege einen Job in der Formel 1 ablehnte, war Rennfan Hall schnell zur Stelle und kam in das Jaguar-Testteam. Ende 2002 wechselte Hall nach Köln als Renningenieur für die elektronischen Systeme. Hall ist die einzige Frau, die als Teil eines Teams vor dem Start eines Rennens an einem Auto arbeitet ? in diesem Fall am TF103 von Olivier Panis.

Titel-Bild zur News: Gill Hall

Gill Hall arbeitet bei Toyota am Auto von Olivier Panis

Frage: "Gill, auf welchem Hauptgebiet liegt deine Verantwortung?"
Gill Hall: "Grundsätzlich dreht sich meine Rolle bei Toyota um die Elektronik an Olivier Panis Auto. Ich stelle sicher, dass alles korrekt abgestimmt ist. Alle Sensoren des Autos müssen korrekt kalibriert sein, ich muss deshalb sicherstellen, dass die richtige Software installiert ist und das Lenkrad sowie die Schaltwippen abgestimmt sind. Es gibt eine Menge Dinge, die man beachten muss, zum Beispiel was den Reifenumfang angeht, der bei Regenreifen, Trockenpneus und Intermediates unterschiedlich ist."

Am Rennwochenende nur noch Feintuning

Frage: "Bedeutet dies, dass du gar nicht zu viel im Voraus erledigen kannst, da du die Bedingungen am jeweiligen Tag kennen musst?"
Hall: "Wir bereiten das Auto in der Toyota Motorsportfabrik in Köln vor und fahren vor jedem Rennen 50-Kilometer-Shakedowns, wir fahren also mit dem Auto, bevor wir an die Strecke ankommen. Es sollte alles schon sehr weit vorbereitet sein, wenn das Auto an die Strecke ankommt und die Ingenieure nehmen dann im Verlauf des Wochenendes nur noch Feintuning vor. Ich halte mich darüber ständig auf dem Laufenden und nehme Änderungen vor, wenn diese erforderlich sind."

Frage: "Aber nehmen wir einmal Rennen wie auf dem Nürburgring oder Magny-Cours, wo es einen regnerischen Morgen und andere Bedingungen im Qualifying gegeben hat. Ist das problematisch?"
Hall: "Wir haben jedes erdenkliche Setup, die Software ist also gerüstet, da wir alle Fakten über Regen-, Trocken- und Intermediate-Reifen haben. Der Fahrer muss lediglich einen Schalter am Lenkrad aktivieren, um zwischen ihnen zu unterscheiden. Dies bedeutet, dass wir elektronische Optionen vorliegen haben müssen, auf die wir während des Tages zugreifen können."

Frage: "Betrifft dich auch die Datenanalyse?"
Hall: "Wenn es darum geht, sicherzustellen, dass alles sauber läuft, werde ich mit in die Datenanalyse einbezogen. Wenn etwas nicht in Ordnung aussieht, müssen wir uns das anschauen und untersuchen, was schief gelaufen ist."

Mittendrin statt nur dabei

Frage: "Was ist der interessanteste Teil deiner Arbeit?"
Hall: "Da ich schon seit rund elf Jahren ein Formel-1-Fan bin, ist es das interessanteste zu sehen, wie die Formel 1 wirklich funktioniert. Man sieht, was wirklich vor sich geht, als Zuschauer hat man nicht wirklich den wahren Eindruck über die massive Arbeit hinter den Kulissen. Dass ich in der Lage bin, Veränderungen an der Leistung des Autos vorzunehmen und die Auswirkung zu sehen, ist befriedigend, besonders in einem so jungen Team wie Toyota, wo die Lernkurve so steil ist."

Frage: "Was denkst du macht die Herausforderung von Toyota in der Formel 1 so speziell?"
Hall: "Für mich ist es besonders, da alles was wir erreichen neu für uns ist. Jeder Punkt und jede gute Qualifying-Position zeigt die Fortschritte, die das Team macht und zeigt das Potential, das wir für zukünftige Erfolge haben."

Interessante Arbeit im internationalen Team

Frage: "Was ist es für ein Gefühl, in einem solch internationalen Team wie Toyota zu arbeiten?"
Hall: "Es ist großartig, mit Menschen von der ganzen Welt zu arbeiten. Das Team besteht aus rund 30 verschiedenen Nationen und auch wenn alle verschiedene Temperamente und Arbeitsweisen haben sind es diese Unterschiede, die die Sache interessant und unterhaltsam machen."

Frage: "Du bist vielleicht beeinflusst aber als Fan, was denkst du über so viele elektronische Hilfen? Nimmt dies dem puren Rennsport nicht den Reiz?"
Hall: "Meiner Meinung nach ja und nein. Ich glaube, dass es nur eine andere Art des Fahrens ist. Man fährt in einer Art und Weise, die dem Auto liegt, mit dem man fährt. Wenn man die Fahrerhilfen nicht hätte, dann würde man einfach anders fahren. Ich denke, dass jeder immer noch gegen andere Fahrer und andere Autos und Elektroniken fährt, die Formel 1 ist also immer noch der Gipfel im Motorsport. Da wird nichts beeinträchtigt."

Frage: "Wirst du mit einbezogen, wenn es dabei geht, die Traktionskontrolle an solche Bedingungen anzupassen, wie wir sie in diesem Jahr beim Brasilien-Grand-Prix hatten oder wird dies alles über das Lenkrad erledigt?"
Hall: "Am Lenkrad wird man verschiedene Setups für verschiedene Bedingungen haben, so wird das grundsätzlich erledigt."

Wenig direkte Arbeit mit den Fahrern

Frage: "Arbeitest du direkt mit den Fahrern zusammen?"
Hall: "Ich rede nicht wirklich viel direkt mit den Fahrern. Ich arbeite hauptsächlich im Hintergrund, aber wenn etwas falsch gelaufen ist, dann werde ich mich mit ihnen unterhalten, um die Situation zu verbessern."

Frage: "Wäre es ein Unterschied, wenn du statt an Oliviers ans Cristianos Auto arbeiten würdest?"
Hall: "Was die eigentliche Arbeit angeht, so ist es genau das gleiche, aber man arbeitet mit seiner eigenen Mannschaft und andere Leute arbeiten auf unterschiedliche Art und Weise. Jeder hat seine eigenen Prozeduren aber ich arbeite manchmal auch am Ersatzauto, da kann ich ein paar kleinere Unterschiede ausmachen."

Hall musste sich den Respekt erst erarbeiten

Frage: "Findest du es schwierig, in einem von Männern dominierten Business zu arbeiten? Geben dir die Leute den Respekt zurück, den du verdienst?"
Hall: "Ich denke, dass es überhaupt nicht hart ist, in einem von Männern dominierten Business zu arbeiten. Es braucht zunächst einmal ein wenig Zeit, um sich die Anerkennung zu erarbeiten. Viele Leute hören einem zunächst einmal gar nicht zu, was man sagt, aber das ändert sich nach einer Weile. Ich denke nicht, dass im Team jemand wirklich denkt, dass ich anders bin, auch wenn ich mir sicher bin, dass sie dies außerhalb des Teams denken. In der Universität war ich eine von nur vier Frauen in einer Gruppe von rund 80 Männern, was eine ähnliche Umgebung wie jetzt hier. Ich bin also in guter Gesellschaft!"

Frage: "Es fühlt sich also nicht zu seltsam an, wenn man die einzige Frau in der Startaufstellung ist?"
Hall: "Zuerst machte ich mir Sorgen darüber, dass es viele Menschen geben könnte, die mich anstarren, aber so ist das überhaupt nicht. Man geht einfach da hin, macht seine Arbeit und denkt nicht an etwas anderes. Und es sind natürlich auch noch die Grid-Girls da, ich bin also in guter Gesellschaft!"

"In der Formel 1 sieht man alles zusammenkommen"

Frage: "Was macht die Formel 1 interessanter als die Luftfahrt, wo du zuvor gearbeitet hast. Ist es der Wettbewerb?"
Hall: "Es ist besser, da ich hier alles sehe, wohingegen ich in der Luftfahrtindustrie nur eine schwarze kleine Box gesehen habe. Das war alles. Man sagt der Box, was sie mit den Einganssignalen machen soll und sieht, was am anderen Ende herauskommt. In der Formel 1 sieht man alles zusammenkommen. Jeder hat seine Aufgabe, die Mechaniker fügen alles zusammen und das Auto fährt hinaus und geht seiner Arbeit nach. Man kommt mit seiner Arbeit mehr in Berührung und ist stolzer, wenn die Ergebnisse gut sind."

Frage: "Ist die Saison hart oder genießt du sie im August noch?"
Hall: "Ich genieße sie immer noch. Zu Beginn der Saison war alles neu. Zur Hälfte weiß man, was man macht und man kommt in eine Routine. Es ist auch ermutigend, die ersten konstanten Fortschritte zu sehen, die sich mit dem Verlauf der Saison einstellen. Wir haben nun vier Punkte in gleich viel Rennen gesammelt und haben tatsächlich ein Rennen für 18 Runden angeführt, das ist die Art moralischer Boost, die das ganze Team am Laufen hält. Wenn man mit Leidenschaft dabei ist ? wie wir das alle sind ? dann beendet man die Saison und freut sich schon auf die Wintertests!"