• 28.09.2003 14:29

  • von Fabian Hust

Die Angst vor dem alles entscheidenden Crash

Wenn die Weltmeisterschaft auf die entscheidenden letzten Meter zusteuert, steigt auch das Risiko von unüberlegten Aktionen

(Motorsport-Total.com) - Wenn Michael Schumacher, Juan-Pablo Montoya und Kimi Räikkönen heute wenige Sekunden vor dem Start im Auto sitzen, dann wissen sie, dass bereits in Indianapolis eine Entscheidung im Titelkampf fallen kann. Millionen von Augen werden auf die Fahrer gerichtet sein, hinter ihnen stehen mehrere hundert Mitarbeiter, die das ganze Jahr über hart für den Titelgewinn gearbeitet haben. Und doch sitzen die Piloten heute Nachmittag alleine im Auto. Klar ist: Einen Fahrfehler kann sich kein Fahrer erlauben.

Titel-Bild zur News: Schumacher und Villeneuve

Jerez 1997: Michael Schumacher rammt WM-Rivale Jacques Villeneuve

Sollte das Rennen ohne Zwischenfälle über die Bühne gehen, dann wird die Titelentscheidung erst beim letzten Rennen in Suzuka fallen. Patrick Head, Technischer Direktor von Williams, ist sich bewusst, dass auf dieser Strecke Michael Schumacher in den letzten Jahren immer wieder über sich hinausgewachsen ist und schwer zu schlagen sein wird und will aus diesem Grund sicher stellen, dass sein Team mit einem ordentlichen Punktepolster nach Japan fliegt.

Head hat Angst vor einem zweiten Jerez

Der Brite gibt zu, dass ihn ein ungutes Gefühl in der Magengegend begleitet: "Wir haben die Erfahrung, mit einem Punkt Rückstand in das letzte Rennen zu gehen: 1994 und 1997", so Head gegenüber 'autosport.com'. "Beide Rennen endeten mit einem Zusammenstoß beider Autos ? einmal ging es zu Michaels Gunst aus, einmal nicht. Wir ziehen es vor, diese Situation zu vermeiden und das tun wir, wenn wir in das letzte Rennen in Führung liegend gehen."

Zwei Schumacher-Crashs mit Titel-Folgen

13. November 1994: In Adelaide kommt es zum Showdown um den WM-Titel mit Damon Hill. Michael Schumacher kommt von der Strecke ab, kann aber unmittelbar vor dem Briten wieder auf die Strecke komme. In der folgenden Rechtskurve kommt es zur Kollision. Schumacher muss sofort aussteigen, Hill gibt später mit gebrochener Aufhängung auf ? Schumacher ist zum ersten Mal Weltmeister.

26. Oktober 1997: Schumacher scheidet nach dem Rammstoß gegen seinen WM-Rivalen Jacques Villeneuve im Saisonfinale in Jerez aus. Der Kanadier kann weiterfahren, wird Dritter und ist Weltmeister. Michael Schumacher bekommt vom Automobilweltverband FIA nachträglich alle WM-Punkte und den Vizetitel aberkannt.

Der "Schattenmann" der schnell im Mittelpunkt steht?

Eine gewisse Brisanz liegt aber auch in möglichen Duellen anderer Piloten. So räumte im letzten Jahr Ralf Schumacher seinen Teamkollegen Juan-Pablo Montoya nach einem missglückten Ausbremsmanöver in der ersten Kurve von der Strecke. Das wäre heute der Super-GAU: "Er wird Juans Auto nicht mit einer ähnlichen Situation wie letztes Jahr riskieren", so Head. "Zumindest hoffe ich das?"

Villeneuve sieht bei Montoya Crash-Potential

Laut Jacques Villeneuve, der ein packendes WM-Duell gegen Michael Schumacher 1997 ja hautnah erlebt hatte, steckt viel explosiver Stoff auch in Juan-Pablo Montoya, der seiner Meinung nach ziemlich aggressiv fährt: "Das ist zwar großartig für das Publikum aber es kann für die anderen Fahrer gefährlich werden", so der Kanadier. "Er ist schnell aber macht Fehler. Er ist ein Latino, der Fehler nicht wegen des Drucks macht sondern er macht sie einfach so."

Räikkönen als lachender Dritter?

Auf die Leistung von Pole Setter Kimi Räikkönen ist der Ex-Weltmeister sehr gespannt. Der Finne dürfte gleich zu Beginn am Limit fahren, da gemutmaßt wird, dass er weniger Sprit getankt hat als seine direkten Verfolger: "Er ist schnell macht aber ebenfalls Fehler. Zweimal ist er von hinten gestartet, weil er das Auto im Qualifying weggeworfen hat. Das kann man sich nicht leisten."

Räikkönen muss kühlen Kopf bewahren

Kimi Räikkönen dürfte den Start gewinnen können, aber Rubens Barrichello ist vermutlich ebenfalls leicht unterwegs und ist auf der Geraden rund fünf Stundenkilometer schneller, die BMW-Williams sogar rund zehn Stundenkilometer. Ferraris Plan könnte es sein, dass man den Brasilianer tatsächlich mit wenig Sprit in das Qualifying und Rennen geschickt hat, damit dieser das Feld ein wenig einbremsen kann, so dass Michael Schumacher mit einem schweren Auto seine Chance nutzen kann.

Panis bereitet niemandem ernsthafte Sorgen

Olivier Panis im Toyota auf Platz drei dürfte ebenfalls verhältnismäßig leicht unterwegs sein und kein Problem für den dahinter startenden Juan-Pablo Montoya darstellen, der auf der Geraden rund fünfzehn Stundenkilometer schneller ist. Vom fünften Rang geht Ralf Schumacher ins Rennen, der bemüht sein wird, sich aus dem Titeldreikampf herauszuhalten, so gut es nur geht.

Alonso wieder mit "Raketenstart"?

Beobachten muss man Fernando Alonso auf dem sechsten Rang, der für eine Überraschung gut sein kann, denn die Startautomatik der Renault ist bekanntlich sehr stark. Diese hat man nach Angabe von Chefingenieur Pat Symonds übrigens noch einmal weiterentwickelt: "Während den Simulationen haben wir am Samstagmorgen unseren eigenen Rekord gebrochen?"

Theissen setzt auf den verbesserten Motor

"Abgesehen vom Timing der Boxenstopps wird es entscheidend sein, wem Überholvorgänge auf der Geraden des Ovals gelingen", so BMW Motorsportdirektor Dr. Mario Theissen. Renault hat hier gegen BMW-Williams keine Chance: "Von der Höchstgeschwindigkeit her haben unsere Fahrer hierfür gute Voraussetzungen", so Theissen über den 920-PS-BMW-Motor, den man übrigens nur deshalb einsetzen wird, weil Ferrari in Monza so stark war.

Alonso will die Aggression nicht komplett zügeln

Alonso selbst will auf der einen Seite auf den Titelkampf Rücksicht nehmen, wird aber wohl dennoch aggressiv fahren: "Ich weiß, dass die Titelaspiranten dicht neben mir stehen, aber ich werde versuchen, am Start Positionen gutzumachen und ein normales Rennen zu fahren. Ich möchte den Titelkampf nicht stören und der beste Weg dazu ist es, vor ihnen ins Ziel zu kommen."

Ungünstiger Startplatz für Michael Schumacher

Die gefährlichste Startposition hat aber wohl Michael Schumacher. Der Deutsche startet zwar vom siebten Platz auf der sauberen Seite der Strecke aus, hat aber David Coulthard neben sich stehen und Jarno Trulli im starken Renault auf Platz zehn in gefährlicher Nähe. Und die Vergangenheit hat gezeigt, dass es gefährlich ist, von so weit hinten zu starten, da das Crash-Potential hoch ist.

Montoya gibt sich zuversichtlich

Am zuversichtlichsten ? wenn das Wetter denn hält ? kann wohl Juan-Pablo Montoya sein. Sein Auto ist auf der Geraden am schnellsten, was es ermöglicht, Konkurrenten auf dem 20-Sekunden-Vollgasstück über Start und Ziel zu überholen. Und im Williams-Lager will man erkannt haben, dass McLaren-Mercedes Reifenprobleme hat.

Das Psychoduell beginnt

Das "Psychoduell" gegen Michael Schumacher heizte Montoya gestern an, denn seiner Meinung nach lastet auf Schumacher der Druck, nicht auf ihm oder Räikkönen: "Kimi und ich sind noch junge Kerle die am Beginn unserer Karriere stehen und versuchen, Michael zu schlagen. Ich will nicht sagen, dass Michael nächstes Jahr zurücktritt, aber er war lange dabei und bevor er zurücktritt möchte er noch vorne stehen?"

Dass aber auch Montoya gewissen Druck verspürt, zeigte sich anhand seiner Reaktion auf das Überrundungsmanöver an Heinz-Harald Frentzen in Monza, bei dem er etwas Zeit auf Michael Schumacher verlor. In Indianapolis gibt es zumindest auf den Fantribünen ausgleichende Gerechtigkeit: "In Monza hatte Michael viel Unterstützung und ich wurde ausgepfiffen, hier ist es umgekehrt."

Ein wenig Spekulation

Das Drehbuch für das vorletzte Rennen ist perfekt. Die Reihenfolge im Ziel könnte durchaus wie folgt aussehen: Kimi Räikkönen vor Juan-Pablo Montoya, Ralf Schumacher und Michael Schumacher. Dann läge Michael Schumacher mit 87 WM-Punkten punktgleich vor Montoya und Räikkönen hätte mit 85 WM-Punkten ebenfalls gute Chancen, den Titel in Suzuka zu gewinnen. Aber es kommt sowieso immer alles ganz anders...